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Berlinguer als Zielscheibe?

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In Italien hat in den letzten zwei Jahren die Kommunistische Partei den Weg an die Machtbeteiligung im Zeichen des Eurokommunismus verfolgt. Seit dem denkwürdigen 16. März, als Aldo Moro entführt wurde, ist die KPI regelrechte Koalitionspartei: Würden die Kommunisten dem vierten Kabinett Andreotti das damals ausgesprochene Vertrauen entziehen, so würde die Regierung ihres wichtigsten Rückhaltes entbehren und müßte zurücktreten. Niemand darf behaupten, die KPI hätte zur Erreichung dieses Zieles - bisher der bloßen Machtbeteiligung - physische Gewalt angewendet. Freilich sind von Seiten der Kommunisten besonders seit zehn Jahren direkte und indirekte Druckmittel eingesetzt worden. So hat die kommunistisch beeinflußte CGIL-Gewerkschaft - die weitaus größte des Landes - Arbeitgebern und der Regierung immer wieder mit Generalstreiks gedroht, oder diese aber mit dem Lockmittel der Streikabsage zu so mancherlei - allzuvielen? - Zugeständnissen genötigt. Die Erfolge in den Gemeinde-, Provinz- und Regionalwahlen vom 15. Juni 1975 haben es den Kommunisten gestattet, fast überall im Lande, nicht nur in der „roten Zone“ Mittelitaliens, Einzug in die Verwaltungen der meisten Städte und großen Dörfer zu halten. Mit dem Stimmengewinn der KPI und dem Verlust der von den Christdemokraten angeführten Mehrheit der Zentrumsparteien sind in den Parlamentswahlen vom 20. Juni 1976 Kommunisten da und dort auch in der Staatsverwaltung zum Zug gekommen. Eine nur aus Christdemokraten bestehende Regierung, die auf Gnaden Berlinguers lebte, konnte das nicht verhindern. Nach den Wahlen vom Sonntag bleibt abzuwarten, wie sich diese stillschweigende Koalition weiterentwickelt - vor allem auch, ob sich der „Pfingsttrend“ über den Moro-Schock hinaus am Leben erhält.

Doch unbestreitbar bleibt, daß die KPI diese Machtbeteiligung nicht auf blutige, gewaltmäßige, undemokratische Art vollzogen hat.

Der Unterschied zum Vorgehen Lenins vor und nach der Oktoberrevolution von 1917 war beträchtlich. Im Gegensatz zur sowjetischen KP - gar nicht zu reden von Stalin und dem Stalinismus - hat die seit Gramsci auf den

historischen Kompromiß mit der Partei der Kirche eingeschworene KPI den „Weg durch die demokratischen Institutionen“, nicht den Weg gegen die demokratischen Einrichtungen liberalen Zuschnittes beschritten.

Nicht alle Italiener haben dieser wachsenden Machtbeteiligung der KPI einfach zugesehen. Erst versuchten die Christdemokraten in den fünfziger Jahren diesem kommunistischen Aufstieg durch einen wirtschaftlichen Fortschritt sondergleichen - dem „Mi-racolo Economico“ - den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dann haben sie in den sechziger Jahren die Linkssozialisten Nennis für gemeinsame Centro-Sinistra-Regierungen gewonnen und damit der KPI abspenstig gemacht. Mit dem heißen, streikgeladenen Herbst 1969 und dem Einbruch der internationalen Währungs- und Wirtschaftskrise haben die Christdemokraten jedoch einen immer schwereren Stand, um der mit Korruption und allgemeiner Mißwirtschaft der DC-Re-gierungen nur um so mehr fortschrei-

tenden KPI die Stirne zu bieten. Schließlich blieb nichts mehr anderes übrig, als sich nicht nur mit den Linkssozialisten, sondern auch den Kommunisten zu einigen, und das ist mit Aldo Moros großem Geschick unter ungeheuren Schwierigkeiten im Laufe der letzten zwei Jahre gelungen.

Uberall auf der Welt tun sich Christdemokraten und Kommunisten schwer miteinander. Der ideologische Gegensatz zwischen einem transzendentalen Engagement und einer materialistisch-diesseitigen Verhaftung ist beträchtlicher, als heute zugestanden wird. Nur zur dringlichen Meisterung konkreter Ubelstände - der wirtschaftlichen und sozialen Notlage des Landes - sollte es überhaupt zu einem Einvernehmen kommen, sagte Moro in seiner letzten großen Rede,vor dem von ihm eingefädelten Kompromiß mit der KPI zur Bildung des vierten Kabinetts Andreotti.

Zwei große Heerlager entschiedener Gegner jeglichen Einvernehmens mit

der KPI - „dieser straff geführten, eigentlich undemokratischen Partei“ -hat Aldo Moro besiegt, dem dritten -gefährlichsten - Feind eines solchen Schulterschlusses ist er selbst erlegen. Die Roten Brigaden haben in ihren Botschaften I bis IX vom 18. März bis 6. Mai nie ein Hehl aus ihrer Abneigung gegenüber beiden Parteien - DC und KPI - gemacht. Berlinguers Gesinnungsgenossen eines gewaltlosen Weges zu einem demokratischen, menschlichen und freien Kommunismus nannten sie verächtlich „Berlin-gueriani“ und „Handlanger“ oder „Wasserträger der Christdemokraten“. Die letzte Botschaft ist an die Proletarier und „echten Kommunisten“ wie sie gerichtet, jene, die zu wissen meinen, daß nur ein Umsturz von der Art der Oktoberrevolution, nur die Anwendung von physischer Gewalt und Terror - wie von Stalin anfangs des Jahrhunderts in Dutzenden von Fällen erwiesenermaßen angewendet - dem Ziel der Weltrevolution diene.

„Moralisch ist nur, was zur Zerstörung der alten ausbeuterischen Gesellschaft nützt.“ Diesen Satz von Lenin von 1920 schrie Renato Curcio, ideologischer Führer der Roten Brigaden und Angeklagter im Turiner Prozeß, den Richtern zu, als ihm im Gerichtssaal die Ermordung des DC-Präsiden-ten mitgeteilt wurde. Die „Hinrichtung“ durch die Roten Brigaden bezeichnete er als „Akt der Menschlichkeit, der höchstmöglichen in einer durch den Klassengegensatz gespaltenen Gesellschaft“. Curcio prophezeite, daß dies nur den Anfang der Zerstö-

rung der bürgerlichen Gesellschaft darstelle.

Mit rechtsextremen Neofaschisten und Widerspenstigen in den eigenen Reihen sind Moro, Berlinguer und ihre Anhänger bisher fertig geworden. Die Roten Brigaden - diese dritten Gegner - stellen über Nacht - mit Moros Entführung und Ermordung - die größte und gefährlichste Belastung des historischen Kompromisses und des eurokommunistischen Weges durch die Institutionen dar.

Im Blick auf die schrecklichen Aussagen der Terroristen im Turiner Prozeß, auf die Zielscheibe ihres ersten Opfers unter den maßgeblichen Politikern, wird man den Eindruck nicht mehr los, die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten - wahrscheinlich die DDR und die Tschechoslowakei -stünden hinter den Roten Brigaden, um alle Drahtzieher eines unrevolutionären Kompromisses und des Eurokommunismus, dieses lebendigen Vorwurfes an die eigene Adresse, mit Gewalt und Terror auszuschalten. Bei den Kommunistentreffen in Moskau, Berlin und am Schwarzen Meer versuchte Breschnew Berlinguer, Carrillo und Marchais vom „verräterischen europäischen Eigenweg“ abzubringen. Der KPI-Chef scheint kein Einsehen in die Richtigkeit und Notwendigkeit der Führerrolle der Sowjetunion im Weltkommunismus zu haben. Er ist der einzige unter den westeuropäischen Kommunistenführern, der bisher eine KP auf dem Weg des Stimmzettels an die Machtbeteilfgung gelenkt hat. Darum könnte er auch die wichtigste und eigentliche Zielscheibe eines vom Kreml in Westeuropa eingesetzten Terrorismus sein!

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