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Bescheidener Fortschritt im Land der Skipetaren

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Albanien - ein Stück unbekanntes Europa. In der Schule nie davon gehört, in der Zeitung nie davon gelesen, lediglich im Fernsehen einen Beitrag gesehen, der mehr Fragen aufwarf, als er zu beantworten vermochte. So packte ich die Gelegenheit beim Schopf, als ein Assistent der Technischen Universität Wien eine Reise in das sagenumwobene Land der Skipetaren organisierte.

Da Albanien weder organisatorisch noch von den Mitteln her für den Individual- und Massentourismus eingerichtet ist, werden nur Gruppenvisa erteilt. Eine Gruppe sollte mehr als 15 Personen umfassen, verrechnet werden allerdings mindestens 20.

Die Reiseroute wird im voraus bestimmt. Sonderwünsche werden im bescheidenen Rahmen des

Möglichen berücksichtigt. Der Reiselust sind Grenzen durch das noch spärliche Netz an ausgebauten Straßen gesetzt.

Als Geheimtip erfreut sich das Land der Nachkommen Skander- begs steigender Beliebtheit. Insbesondere für historisch und kulturell Interessierte, da dank des von Staats wegen geförderten Nationalbewußtseins die zum Teil noch reichlich vorhandenen Überreste des historischen Erbes revitalisiert werden.

Zwar muß nicht beim selben Grenzübergang das Land verlassen werden, bei dem es betreten wurde — es gibt immerhin schon vier für Touristen geöffnete Grenzübergänge —, doch ist der Flugweg eindeutig zu empfehlen. Unsere Gruppe flog von Budapest aus mit der ungarischen Fluglinie Malev, die zweimal in der Woche Albaniens einzigen Flughafen anpeilt.

Nach Rinas, dem Flughafen nahe der Hauptstadt Tirana, düsen auch Swiss Air (Zürich), jede zweite Woche Interflug (Ostber- lin), Olympic (Athen), Tarom (Bukarest-Tirana-Rom), JAK (Belgrad) und seit kurzem auch die Lufthansa. Auch Air France erkennt die steigende Bedeutung einer Verbindung in das ansonsten abgeschottete Land — insbesondere für Geschäftsleute und Techniker — und will auf dem von Überlastung verschonten Landeplatz aufsetzen.

Im Abendlicht dem Flugzeug entstiegen, erhielten wir einen ersten angenehmen Eindruck vom Land der Skipetaren. Ein von Zi- trusbäumchen gesäumter Weg führte uns zum ebenerdigen, fast unscheinbaren Abfertigungsgebäude. Fast wie auf einer kleinen, romantischen Südseeinsel!

Die obligatorische händische Gepäckkontrolle erfolgte rasch und ohne übertriebenen Eifer. Dem prüfenden Blick waren lediglich Bücher und Schriften ausgesetzt.

Die Einfuhr pornographischer, religiöser oder gegen Albanien gerichteter politischer Literatur ist strengstens verboten, damit der von Enver Hodscha verordnete Marxismus-Leninismus auch rein bleibe.

Mein U-Comic-Sammelband ging anstandslos durch. Nur Gorbatschow durfte nicht hinein. Die kleinen, in Budapest billig erstandenen Heftchen des Sowjet-Reformers wurden meinem Mitreisenden gegen Quittung abgenommen, aber bei der Ausreise unversehrt zurückgegeben.

Im altmodisch, aber gemütlich eingerichteten Empfangsraum wurden wir von unserem Reisebegleiter Christophos empfangen. Jeder Reisegruppe wird ein solcher Begleiter sowie ein Dolmetsch an die Seite gestellt. Da es keine professionellen Touristenführer gibt, werden Albaner mit guten Fremdsprachenkenntnis-

sen von ihren Betrieben, sofern diese zustimmen, freigestellt. Da Auslandskontakte rar sind, ist diese Beschäftigung sehr begehrt, und die Reisebegleiter sind immer sehr entgegenkommend.

Christophos hat — unter anderem ein Jahr in Wien - Technik studiert und arbeitete in einem Maschinenbaukombinat.

Für die Organisation des Aufenthalts ist das staatliche Reiseunternehmen Albturist zuständig. Die beiläufige Funktion des Tourismus zeigt sich schon daran, daß Albturist eine Unterabteilung des Verkehrsministeriums ist und wegen des beschränkten Budgets seit Jahren geplante Vorhaben — insbesondere neue Hotelbauten - aufschieben muß.

Die Ausstattung der Hotels ist sehr bescheiden. Dafür ist das Service im allgemeinen tiptop. Allerdings wird statt der albanischen Nationalküche überall die dem europäischen Durchschnittsgeschmack angepaßte Kost verabreicht.

Trinken ist billig. Die Qualität des Weines (albanisch: vere) schwankt von Ort zu Ort. Beim Bier (albanisch: birre), das wir „Glasmost“ nannten, konnte das nicht passieren. Es gibt nur zwei Brauereien im Land. Die eine füllt in dunkelbraunen, die andere in hellgrünen Flaschen ab. Besonders empfehlenswert ist das albanische Nationalgetränk Raki Rrushi, gebrannt aus weißen Trauben, und Skenderbeu Con- jak, gebrannt aus braunen Trauben.

Währung ist der Lek, unterteilt in Quindarka. Durch günstige Wechselkurse — die Konvertierungseinheit ist der Dollar — sind die wenigen Waren, die es zu kaufen gibt, sehr billig. Albanien ist sogar in währungspolitischer Hinsicht autonom. Den Lek gibt es nur im Land.

Das gesamte Preisgefüge wird zentral festgelegt und richtet sich eher nach gesellschaftspolitischen denn nach marktwirtschaftlichen Richtlinien. Als Besonderheit gibt es keine Inflation. Wenn die Pro duktivität steigt, werden Preise einzelner Waren gesenkt.

In den Hotels gibt es Souvenirshops, wo Handwerkliches albanischer Tradition gegen Devisen erhältlich ist. In Devisenläden gibt es nur für Touristen interessante Waren. Konsumartikel für Albaner gibt es dort nicht. So bleibt dem Volk der Anblick von Waren, die sich kaum jemand leisten kann, erspart.

Auffallend am Straßenbild ist die völlige Dominanz der Fußgänger und Radfahrer. Albanien kann daher als „China Europas“ bezeichnet werden. Autos müssen laut albanischer Vorschrift bei jedem Überholen von Fußgängern mit einer eigenen, leiseren Hupe ein Zeichen geben. So hupen sich die Fahrzeuge zaghaft durch die Menge. Privatautos gibt es keine, lediglich Fahrräder und verein zelt Motorräder. Gut ausgebaut ist das Autobus-Liniennetz.

Früh heiraten und Kinder kriegen gehört zu den gesellschaftlichen Leitbildern. Das Volk der Skipetaren hat sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges auf mehr als drei Millionen verdoppelt. Unterstützt wird dies durch eine Familienpolitik, die der Feder des Vatikans entstammen könnte: Verhütungsmittel sind verpönt, Abtreibung ist verboten. Die intellektuelle Oberschicht, gestand uns der Reiseleiter, kann sich aber Abtreibungen aus „medizinischen Gründen“ leisten.

Für Kinder gibt es in jedem größeren Ort einen ausgedehnten Kinderpark mit allerlei Geräten. Auch in der kargen, natürlich vom Staat kontrollierten Zeitungslandschaft werden Kinder bevor-

zugt: Es gibt drei zweitägig erscheinende Kinderzeitungen, aber nur zwei Tageszeitungen (Partei- und Gewerkschaftszeitung).

Eine rege Bautätigkeit versucht dem steigenden Wohnungsbedarf nachzukommen. Überall werden dieselben Häuser hingeklotzt: Stahlbetonkorsett und dazwischen Ziegel, manchmal (vor allem in Tirana) auch noch Verputz darüber.

Geschäfte gibt es ausreichend. Die Angebotspalette ist nur sehr beschränkt. Von den meisten Artikeln gibt es meist genau eine Ausführung. Die Artikel des täglichen Bedarfs sind billig.

Teurer sind längerlebige Konsumartikel. Bei einem üblichen Monatslohn von 500 bis 600 Lek kostet ein Hemd etwa ab 50 Lek. Kein Wunder, daß Frauen durchwegs auch außer Haus arbeiten müssen.

Die fehlenden Möglichkeiten der Freizeitbeschäftigung lassen die Straße zum Kommunikationszentrum werden. Hektik gibt es nirgends. Sogar in den Fabriken, die wir besichtigten, war diese „legere“ Lebensart anzutreffen.

Stets trieben sich mehr Menschen herum, als es Arbeitsplätze gab. Mangel an Produktionsmitteln, insbesondere ah modernen, scheint Hauptproblem der Industrie zu sein. Vorgegebene Produktionsziele werden so gesetzt, daß sie auch erreicht werden können, selten werden sie überschritten. In einem Maschinenbaukombinat, wo die Produktionszahlen an einer Tafel angeschlagen waren, war die höchste Quote 103,1 Prozent.

Alles ist zentralisiert — von der Landwirtschaft bis zur Lebensmittelproduktion. Es gibt keine örtlichen Bäckereien, sondern große, zentrale Brotfabriken. Es gibt kaum Klein- oder Mittelbetriebe.

Auch wenn vieles vom technischen Stand her weit der heutigen Zeit hinterherhinkt, sind die Albaner doch stolz auf das, was sie schaffen. Dieser Nationalstolz gehört zu den Grundfesten ihrer Gesellschaft und begegnet dem Touristen auf Schritt und Tritt.

Vom Selbstbehauptungswillen, der sich nicht nur in der wirtschaftlichen Autarkie ausdrückt, zeugen auch zahl-, und es scheint fast wahllos über das Land verstreute Abertausende kleine Bunker. Doch ihr meist verlotterter Zustand zeigt, daß sich Albanien von seinen Nachbarn nicht mehr unmittelbar bedroht fühlt.

Der Glaube an den Fortschritt führt dazu, daß traditionelle Lebens- und Arbeitsmethoden nicht gerne hergezeigt werden. Als wir im Norden des Landes noch häufig als Transportmittel eingesetzte Ochsen- und Eselkarren fotografierten, befürchtete unser Begleiter, diese Bilder könnten als Zeugnis der Rückschrittlichkeit verstanden werden.

Die Zeichen der Allmacht der Partei (Partia e Punes e Shqipe- rise, PPSH) fielen etwas dezenter aus als erwartet. Spruchbänder und Tafeln, Bilder des großen Parteivorsitzenden sind nur mehr sporadisch anzutreffen. Was die Menschen denken, bleibt allerdings ein Geheimnis. Sie machten den Eindruck, daß sie sich mit den beschränkten Möglichkeiten ihres Landes abgefunden haben, die im Vergleich zu früher trotzdem einen Fortschritt darstellen.

Die häusliche Idylle, der Rückzug in das Privatleben, schien mir die gängige Lebensform zu sein.

Albanien steht aber vor einer großen Herausforderung, da zu einer nennenswerten Weiterentwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft eine behutsame Öffnung zur übrigen Welt unvermeidbar ist. Die Vorsicht, mit der dies geschieht, zeigt, daß sich die Partei dieser Lage bewußt ist.

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