7074728-1993_14_03.jpg
Digital In Arbeit

Demokratiepartnerschaft zwischen den USA und Rußland

19451960198020002020

US-Präsident Bill Clinton versuchte beim Gipfeltreffen in Vancouver einzulösen, was er am 23. März bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus ankündigte: Die USA sind für den demokratisch gewählten russischen Präsidenten Jelzin. Boris Nikolajewitsch Jelzin ließ sich unterkühlt in die Arme des Westens fallen.

19451960198020002020

US-Präsident Bill Clinton versuchte beim Gipfeltreffen in Vancouver einzulösen, was er am 23. März bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus ankündigte: Die USA sind für den demokratisch gewählten russischen Präsidenten Jelzin. Boris Nikolajewitsch Jelzin ließ sich unterkühlt in die Arme des Westens fallen.

Werbung
Werbung
Werbung

Den Fehler wie vor zwei Jahren hat Boris Jelzin nicht mehr gemacht. Sein damals während und nach einer US-Reise offen zur Schau gestelltes Überwältigtsein vom Kapitalismus und Konsumismus hatte ihm Kritiken nicht nur seiner Gegner eingetragen. Wie leicht kann man doch „die Seele Rußlands" aufgeben, wenn westlicher Wohlstand blendet, wurde dem damals noch als „Volkstribun" gefeierten Gorbatschow-Kritiker vorgehalten.

Jetzt ist allerdings die innere Situation Rußlands eine völlig andere. Was niemand für möglich gehalten hat, ist passiert: die Republiken der alten Sowjetunion gehen ihre eigenen Wege. Und nicht einmal in Rußland ist sicher, daß alle Völker und Regionen bei der Stange bleiben. Der demokratische Weg ist eng und schwierig. Wo die wirtschaftliche Lage schlecht ist, läßt sich mit demokratischen Parolen wenig anfangen. Das weiß man nicht erst seit der Umgestaltung Rußlands.

Der Westen - allen voran die USA - mußte einsehen, daß die seit den Gipfeltreffen Reagans und Bushs mit Gorbatschow so sehr herbeigesehnte Sicherheitspartnerschaft, die für kurze Zeit - beim Golfkrieg II - Wirklichkeit zu werden schien, ohne Gegenleistung nicht zu haben ist. Das muß schon aus dem Grund klar sein, weil - wie die Amerikaner aus ihren Erfahrungen mit Lateinamerika wissen müßten - wirtschaftlicher Niedergang und soziale Not der ideale Nährboden für gewaltsame Veränderungsversuche sind.

Hoffentlich läßt sich Europa nun von der Führungsmacht USA anstecken. Die 1,6 Milliarden Dollar US-Hilfe zur Selbsthilfe (im Vergleich: Europa hat aus dem Marshall-Plan alles in allem 5,5 Milliarden, Österreich mehr als 960 Millionen Dollar erhalten)- für Wohnungsbau, Energiegewinnung, Landwirtschaft und Kleinunternehmer - könnten der Grundstock einer umfassenderen Zusammenarbeit sein. Das Signal einiger westlicher Gläubigerstaaten vom Wochenende in Paris, die Rückzahlung eines Teils der russischen Auslandsschulden in Höhe von über 80 Milliarden Dollar um ein Jahr aufzuschieben, läßt endlich ein Umdenken erkennen: man erkennt zunehmend, daß bloß psychologisches Stützen der russischen Reformen diese um keinen Meter voranbringt. Die Schleuse zur Rußlandhilfe scheint geöffnet. Mitte April wollen die Finanz- und Wirtschaftsminister der sieben wichtigsten westlichen Industrieländer auf einer Sonderkonferenz in Tokio ein Hilfsprogramm in Angriff nehmen.

Jelzin konnte trotzdem nicht mehr als der strahlende Tausendsassa heimkehren, als den er sich in seinen „Aufzeichnungen eines Unbequemen" 1990 noch beschrieben hatte. Seinerzeit hat er sich hämisch über Gorbatschow geäußert, der nur im Ausland als

„Gorbi" umjubelt werde. Wie rasch sich das Blatt wendet. Der Mann mit Reserven gegen ein Mehrparteiensystem - so gab es Jelzin in der genannten Autobiographie unumwunden zu -, der glaubte, mit sich Rußland aus dem Sumpf ziehen zu können, wird sich auf Partnerschaft einstellen müssen. Auf Demokratiepartnerschaft - nach innen und nach außen. Er selbst hat einmal - Seitenhieb auf Gorbatschow - das amerikanische System gelobt: Wenn einem US-Präsidenten in vier Jahren nicht gelingt, Wahlversprechen einzulösen, wird er abgewählt. Ist am 25. April - beim Referendum - Jelzin dran, beziehungsweise im Herbst, falls Wahlen stattfinden sollten?

Demokratiepartnerschaft - das an die Adresse des Westens - darf sich nicht zu sehr an Einzelpersonen klammern. Rußland sollte nicht den Eindruck gewinnen, daß man Demokratie nur über einen bestimmten Mann stützen will. Und demokratische Wirtschaftshilfe muß auch hinnehmen können, daß der, dem geholfen wird, seine eigenen Wege geht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung