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Richard Nixon bei den roten Zaren

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Am Dienstag, dem 9. Mai, verkündete der amerikanische Präsident Nixon, daß vor den nordvietnamesischen Häfen durch die amerikanische Marine ein Minengürtel gelegt werde, der ab Donnerstag, den 11. Mai, scharf werde und ein Auslaufen von Schiffen sowohl aus den nordvietnamesischen Häfen sowie ein Anlaufen dieser Häfen unmöglich mache. Über diese nordvietnamesischen Häfen geht die Versorgung der nordvietnamesischen Armee und des Vietkong durch die Schifffe der kommunistischen Staaten, insbesondere Rußlands. Eine Sperre dieser Häfen muß über kurz oder lang jede Versorgung Hanois unmöglich machen. Der unerhörte Siegeszug Hanois, der seit Wochen anhält und das südvietnamesische Regime an den Rand des Zusammenbruchs brachte, kann durch diese Blockade aufgehalten werden. Zwar gibt es noch die Möglichkeit, Nordvietnam durch Straßen und Eisenbahnlinien, die von China kommen, zu versorgen. Aber Straßen und Eisenbahnlinien haben nie die gleiche Kapazität wie Versorgungsschiffe. Außerdem sind sie viel leichter zu unterbrechen als eine Versorgung über die Meere. Die Welt hielt den Atem an, als Nixon seine Botschaft verkündete. Jedermann nahm an, daß Rußland diese Maßnahmen nicht hinnehmen werde. Die Welt schien am Rande eines dritten Weltkrieges. Und dann geschah das, was jeder, der Rußland wirklich kennt, eigentlich als selbstverständlich annahm. Es geschah nichts. Und es wird höchstwahrscheinlich auch nichts geschehen. Im Gegenteil, Präsident Nixon wird seinen Besuch in Moskau absolvieren.

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Am Dienstag, dem 9. Mai, verkündete der amerikanische Präsident Nixon, daß vor den nordvietnamesischen Häfen durch die amerikanische Marine ein Minengürtel gelegt werde, der ab Donnerstag, den 11. Mai, scharf werde und ein Auslaufen von Schiffen sowohl aus den nordvietnamesischen Häfen sowie ein Anlaufen dieser Häfen unmöglich mache. Über diese nordvietnamesischen Häfen geht die Versorgung der nordvietnamesischen Armee und des Vietkong durch die Schifffe der kommunistischen Staaten, insbesondere Rußlands. Eine Sperre dieser Häfen muß über kurz oder lang jede Versorgung Hanois unmöglich machen. Der unerhörte Siegeszug Hanois, der seit Wochen anhält und das südvietnamesische Regime an den Rand des Zusammenbruchs brachte, kann durch diese Blockade aufgehalten werden. Zwar gibt es noch die Möglichkeit, Nordvietnam durch Straßen und Eisenbahnlinien, die von China kommen, zu versorgen. Aber Straßen und Eisenbahnlinien haben nie die gleiche Kapazität wie Versorgungsschiffe. Außerdem sind sie viel leichter zu unterbrechen als eine Versorgung über die Meere. Die Welt hielt den Atem an, als Nixon seine Botschaft verkündete. Jedermann nahm an, daß Rußland diese Maßnahmen nicht hinnehmen werde. Die Welt schien am Rande eines dritten Weltkrieges. Und dann geschah das, was jeder, der Rußland wirklich kennt, eigentlich als selbstverständlich annahm. Es geschah nichts. Und es wird höchstwahrscheinlich auch nichts geschehen. Im Gegenteil, Präsident Nixon wird seinen Besuch in Moskau absolvieren.

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Der amerikanische Präsident ist heute der mächtigste Mann der Welt. Er ist ein absoluter Wahlmonarch auf Zeit. Ihm untersteht ein Staat, der einem Kontinent gleichkommt. Bin Staat, der außerdem die größte Industriemacht der Welt ist. Von den Entschlüssen des Präsidenten hängt nicht nur die Zukunft des amerikanischen Volkes, sondern vielfach auch die Zukunft der Welt ab.

USA: Zwischen Isolation und Intervention

Amerikanische Politik wird seit jeher von zwei Prinzipien beherrscht: einem isolationistische.! Prinzip und einem interventionistischen. Das erstere besagt, die USA mögen sich nicht um die Händel der Welt bekümmern, das andere will die USA immer wieder in die Händel dieser Welt verstricken. Das britische Zusammengehörigkeitsgefühl, das alle Teile des britischen Commonwealth beseelt, beherrscht merkwürdigerweise auch diese einst abgefallene britische Kronkolonie. Dieses war mit ein Grund, warum die USA sowohl in den ersten wie auch in den zweiten Weltkrieg eingetreten sind. Daneben aber waren die isolationistischen Strömungen im amerikanischen Volk immer sehr stark. Nur mit Mühe konnte Wilson im ersten Weltkrieg sie überwinden und den Eintritt der USA in den Krieg herbeiführen; und ohne den Überfall der Japaner auf Pearl Habour hätte Roosevelt auch die isolationistischen Strömungen im zweiten Weltkrieg nicht so schnei! überwinden können.

Heute sind die isolationistischen Bestrebungen in den USA so stark, daß sie scheinbar das Ubergewicht im amerikanischen Denken gewinnen. Sie haben ein Ziel: die USA endlich aus dem Vietnamkrieg zi befreien.

Der Präsident der USA ist zwai der mächtigste Mann der Welt, abei seine Macht ist beschränkt auf viel Jahre. Nach diesen muß er entwedei wiedergewählt werden oder er wir durch einen anderen ersetzt. Da: letzte Jahr dieser Vierjahreherr schaff ist deshalb immer angefülV mit der Propaganda des regierender Präsidenten für seine Wiederwah und der Propaganda für die Wah eines anderen Kandidaten. Da: letzte Jahr der ersten Präsident schaff Nixons ist angebrochen. In Herbst dieses Jahres wird da amerikanische Volk bestimmen, we: das machtvollste Amt der Welt wei tere vier Jahre innehaben wird. Be der Wahl wird sich zeigen, ob da amerikanische Volk für die nächste! vier Jahre eine isolationistische Poli tik wünscht oder nicht. Das heißt, e wird entweder einen Kandidatei wählen, dessen Propaganda sich ein deutig für diese Politik eingesetz hat, oder es wird ein Nixon gewäihll der ebenfalls garantiert, diese Poli tik zu verfolgen. Es kann aber aucl Nixon als Kandidat einer interven tionistischen Politik gewählt wer den. Nixon muß infolgedessei mit seiner Propaganda ein doppelte Ziel verfolgen. Er muß einerseits zi verstehen geben, daß er bereit ist isolationistische Politik zu betreiben enden. Er muß aber ebenso der Amerikanern beweisen, daß ein rein isolationistische Politik in Zu kunft unmöglich ist, da di; Amerikaner zu sehr in die Hände der Welt verstrickt sind. Die Grundzüge der amerikanischen Politik sinr sowohl den Russen bekannt als aucl den Nordvietnamesen. Deswegen de: Versuch Hanois, den Amerikanerr durch einen unerhörten Siegeszus eine isolationistische Politil schmackhaft zu machen. Deshall auch die Unterstützung Hanoi: durch die Russen, die hoffen, daß dei nächste Präsident, gleichgültig, we: es ist, isolationistische Politik betreiben und sich in den nächsten viel Jahren weder für Deutschland nocl für China interessieren wird. Dami sind wir beim Kernpunkt des ganzer heutigen Geschehens.

Die Angst der Sowjets

Völker ändern sich im Laufe dei Jahrhunderte kaum. Auch das (russische Volk hat sich nicht wesentlich geändert und ebensowenig die Grundzüge seiner Politik. Dies Grundzüge lauten: Überwindung dei Existenzangst, Uberwindung de: Angst, von einem Mächtigen diese: Welt überfallen und geknechtet zi werden. Die weißen Zaren versuch stische Kriege zu paralysieren. Der rote Zar ist klüger, er hat aus der Geschichte gelernt. Er weiß, daß imperialistische Kriege nichts nützen und nur neue Leiden bringen. Der rote Zar führt keine imperialistischen Angriffskriege mehr. Die neue russische Politik ist darauf ausgerichtet, unüberwindliche Verteidigungsbastionen zu schaffen. Wenn diese Verteidigungsbastionen nur durch Kriege zu gewinnen sind, dann läßt Rußland diese Kriege von anderen führen.

Im Hintergrund jeder russischen Politik steht die Angst. Heute also Angst vor einem wiedervereinigteii Deutschland, das sich die verlorener Gebiete wiedererobern könnte und noch einige russische Interessensphären dazu. Angst vor dem kommunistischen China, das seinen Bevölkerungsüberschuß in das leere Sibirien ergießen könnte. Dies Angst ist ins Ungemessene gewachsen durch die Vorstellung, daß eir geeintes Deutschland einerseits unr ein übervölkertes China anderseits die Hilfe der größten Macht der Well erlangen könnten, der USA. Damil wäre nach russischer Ansicht das Ende Rußlands gekommen.

Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges läuft die russische Politik auf Hochtouren, um diese vermeintliche Katastrophe unmöglich zi machen. Rußland steckte enorme Summen in seine Rüstung. Ei machte in Europa alle Staaten, di vor seinen westlichen Grenzer liegen, zu Vasallen und schuf siel ein unüberwindliches Vorfeld voi Festungen. Mit der Neutralisierunf Österreichs begann Rußlands Versuch, vor diesen Festungsgürtel aucl noch eine neutrale Zone zu legen Die Ostverträge, auf deren Abschluß

— wenn auch in verwässerter Forn

— Rußland so drängt, sollen Rußlanc und seine Verbündeten nicht nur füi immer die neuen Grenzen garantieren, sondern auch das schußfrei Vorfeld erweitern.

Während Rußland seine Westgrenze sicherte, versuchte es das gleiche an seiner Ostgrenze, inderr es Rotchina erfolreich einzukreiser begann. Dies brachte das rotchinesische Regime in Aktion, das seinerseits diese Einkreisung zu durchbrechen versuchte, indem es Kontakl mit den USA aufnahm. Aber geradf das wollte der Kreml nicht. Die Verbindung der ersten Weltmacht mü der dritten machte das Trauma vorr Untergang Rußlands aufs neue fühlbar.

Vor allen Dingen will Rußland daß in den USA ein Präsident gewählt wird, der isolationistische Politik betreiben muß, auch wenn ei Nixon heißt. Bei der Verfolgung dieses Zieles beging Rußland einer entscheidenden Fehler: den gleichen den die Deutschen im ersten Weltkrieg mit dem uneingeschränkter U-Boot-Krieg und die Japaner in zweiten mit dem Überfall auf Pear. Habour machten. Rußland unterstützte Hanoi in solchem Ausmaße daß die nordvietnamesischen Truppen und der Vietkong einen unerhörten Siegeszug antreten konnten Dadurch aber wurde das Anseher der USA dermaßen verletzt und di Gefahr, sein Gesicht zu verlieren, sc groß, daß Nixon gezwungen wurde in eine interventionistische Politik einzuschwenken. Die Folge war die Verminung der nordvietnamesischer Häfen. Gleichzeitig machte Nixor eine isolationistische Geste: er erklärte sich zum Abschluß eines Waffenstillstandes bereit, dem der vollständige Abzug der amerikanischen Truppen aus Vietnam folgen solle.

Bis zum Rand des Krieges

Die Antwort eines weißen Zaren auf die erste Geste Nixons wäre sicher der Krieg gewesen. Aber die roten Zaren sind klüger. Sie gehen immer nur bis zum Rande des Krieges. Beispiele für diese Haltung gibt es genug: so die Blockade Berlins nach dem zweiten Weltkrieg und die Kubakrise. Ein roter Zar wird es auch in diesem Fall nicht auf einen Krieg ankommen lassen.

Das ist die große Chance für die Menschheit.

Die Verhandlungen Rußlands und Amerikas auf den verschiedensten Ebenen wurden nicht abgebrochen. Nixons Besuch in Moskau wurde nicht abgesagt.

In Moskau wird man wahrscheinlich neue Einflußsphären festlegen und vor allem wird jeder versuchen, sein Gesicht zu wahren.

Und Vietnam? Wie in Korea wird es wahrscheinlich zu einem Remis kommen: alles bleibt beim alten. Nur die Toten werden nicht lebendig.^.., , ' ,r^:tf

Am Rande dieser großen Aktionen gibt es einen lachenden Dritten: General Tschiangkaischek auf Taiwan. Nach dem Besuch Nixons in Peking schien es, als ob das Schicksal Taiwans besiegelt sei und diese Insel über kurz oder lang Rotchina anheimfallen würde. Die Entwicklung der Weltpolitik seit Nixons Chinabesuch hat aber Taiwan erneut interessant gemacht, sowohl für den Kreml als auch für Washington. Jede der beiden Mächte hat hier ein erstklassiges Faustpfand in der Hand. Über Taiwan kann Rußland Rotchina in Schach halten und mit der Teilung des „Reiches der Mitte” drohen. Und Washington kann Rußland zu verstehen geben, daß es im Zuge der von Moskau so sehr gewünschten isolationistischen Politik an Taiwan kein Interesse mehr habe und einer Vereinigung dieser Insel mit Rotchina nichts in den Weg legen würde. Aber dies würde den geharnischten Protest Moskaus hervorrufen, das dann plötzlich die USA zu einer interventionistischen Politik ermuntern müßte. So kann General Tschiangkaischek, der nur wenig älter ist als General Tito und General Franco, durch eine geschickte Politik die Großmächte zwingen, ihre eigene Politik zu durchkreuzen. Womit nur wiederum dem Frieden gedient ist.

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