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Die Gemeinden vor dem Finanzkollaps

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Der Marktflecken Michelbach, seit 1718 besitzt man das Marktrecht, ist ein Bergbauerndorf im westlichen Wienerwald, ungefähr zwanzig Kilometer von St. Pölten entfernt. Michelbach ist eine dieser kleinen und kleinsten Gemeinden, die durch die geltende Fassung des Finanzausgleiches zwischen Bund, Ländern und Gemeinden (FURCHE 33/1983) in arge Finanznot gedrängt worden ist.

Auf den rund 23 Quadratkilometern Gemeindefläche leben 683 Menschen, die zum größten Teil in der Landwirtschaft beschäftigt sind. Von den 85 landwirtschaftlichen Betrieben werden noch 46 im Vollerwerb geführt, zumeist Bergbauernhöfe in exponierter Lage.

Die finanzielle Krise ist evident. Bei einem Jahresbudget von drei Millionen Schilling mußte sich die Gemeinde Michelbach mit rund vier Millionen Schilling verschulden, um zumindest die dringendsten Infrastrukturmaßnahmen finanzieren zu können. Wollte sie also ihre Finanzschuld begleichen, müßte sie mehr als ein gesamtes Jahresbudget zur Schuldentilgung aufbringen.

Mit Recht bezeichnet Bürgermeister Karl Vonwald, seit 1983 ÖVP-Nationalratsabgeordneter, den nach der Bevölkerungsgröße abgestuften Verteilungsschlüssel des Finanzausgleichs als „absolut ungerecht“. Erhält Michelbach jährlich 2655 Schilling pro Kopf aus den Mitteln des Finanzausgleichs, bekommt eine Gemeinde mit 15.000 Einwohnern rund 3200 Schilling pro Kopf. Auf rund tausend Schilling mehr pro Kopf würde Michelbach ohne den abgestuften Verteilungsschlüssel kommen.

Bauernbundpräsident Alois Derfler, der einen Lokalaugenschein in Michelbach im Rahmen der Aktion „Lebenschancen im ländlichen Raum“ organisierte, betitelt die derzeitige Fassung des

Finanzausgleichs als „Anachronismus, da ja ein Kopf in einer großen Gemeinde nicht mehr zählt als jener in einer kleinen“.

Doch nicht nur beim Finanzausgleich schauen die kleinen Gemeinden durch die Finger. Noch knapp nach der Volkszählung 1981 zählte man in Michelbach 710 Gemeindebürger. 27, laut Bürgermeister Karl Vonwald „völlig ungerechtfertigte“ Einsprüche kosteten der Gemeinde rund 40.000 Schilling.

Nunmehr droht den Gemeinden eine weitere Einschränkung ihrer Budgets auf der Einnahmenseite: Das Kabinett Sinowatz/Steger will laut Regierungserklärung Lohnsummen- und Gewerbesteuer abschaffen: beide Steuern haben sich bisher direkt auf der Einnahmenseite der kommunalen Haushalte niedergeschlagen. 60.000 Schilling würden nun nicht mehr in die Michelbacher Gemeindekasse fließen, bei einem Gemeindebudget von drei Millionen sind das immerhin zwei Prozent. Doch „beim außerordentlichen Haushalt“ (hier kommen etwa Bedarfszuweisungen des Landes hinzu), rechnet Bürgermeister Vonwald, „würde sich der Verlust auf 180.000 Schilling belaufen“.

Den andauernden Schrumpfungen unterworfenen Gemeindebudgets stehen aber steigende Ausgaben gegenüber, vor allem im Bereich der Infrastrukturinvestitionen.

Das 28 Kilometer lange Güterwegenetz in Michelbach, das die schwer zugänglichen Bergbauernhöfe erschließt, muß weiter ausgebaut werden, um deren Existenz zu sichern. 13 Millionen Schilling, schätzt Bürgermeister Vonwald, werden noch benötigt. Das ist für eine kleine Gemeinde wie Michelbach nur äußerst schwer finanzierbar, da Güterwege und Wasserleitungen nur wenigen Leuten zur Verfügung stehen und daher auch nur wenige Zahler vorhanden sind. Auch reißen in steigendem Ausmaß kostenintensive Aufwendungen im Bereich des Umweltschutzes, sei es Abwasserversorgung oder Müllbeseitigung, immer größere Löcher in die Finanzsäckel der Gemeindeväter.

Für vorrangig erklärt Bürgermeister Karl Vonwald Ausgaben im Bereich des Fremdenverkehrs, vorrangig zur Verhinderung der Landflucht, um die Jugend in der Gemeinde zu halten und um die Überalterung der Bevölkerung zu stoppen.

So wurde in Michelbach die Volksschule renoviert, eine Sportanlage und ein Gemeindezentrum mit Arztordination und Kindergarten gebaut, „um der Jugend auch etwas anderes zu bieten als den Schnaps im Wirtshaus“ (Vonwald). Doch trotz Spenden und freiwilliger Arbeitsleistung der Bevölkerung im Ausmaß von zwei Millionen Schilling konnte nicht verhindert werden, daß das Michelbacher Budgetdefizit durch den Bau auf 4,2 Millionen Schilling anstieg.

Besonders der Österreichische Bauernbund versucht unter dem Eindruck der 1984 stattfindenden Finanzausgleichsverhandlungen mit seiner Aktion „Lebenschancen im ländlichen Raum“ die Interessen kleiner Gemeinden zu wahren. „Nicht ein gleiches, aber ein vergleichbares Maß an Lebensqualität muß der Landbevölkerung geboten werden, jedoch kein Kopieren urbaner Verhältnisse“, fordert Alois Derfler. Der Bauernbundpräsident will auch ein verfassungsrechtlich verankertes Mitspracherecht der Länder und Gemeinden bei der Erstellung des Finanzausgleichs und eine stärkere Beteiligung an den ertragsintensiven Bundesabgaben (zum Beispiel an der Umsatzsteuer) zur Kompensation einer möglichen Abschaffung von Lohnsummen- und Gewerbesteuer.

Der Direktor des Bauernbundes Josef Riegler will besonders dem Egoismus zwischen den Gemeinden entgegenwirken: denn

„Großstädter, die sich auf dem Land erholen, müssen einsehen, daß die Erhaltung des Umlandes ihren Preis hat“ (Riegler).

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