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Die Insel Österreich

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Österreich war längst untergegangen, da entstand in einem französischen Internierungslager eine österreichische Kolonie: Es geschah im Februar 1939.

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Österreich war längst untergegangen, da entstand in einem französischen Internierungslager eine österreichische Kolonie: Es geschah im Februar 1939.

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Etwa ein Jahr nach den schicksalshaften Märztagen 1938 entstand in Frankreich eine österreichische Kolonie, eine geschlossene Gemeinschaft bewußter Österreicher, die wohl einzigartig war: Im Februar 1939 zogen sich die republikanisch-spanischen Truppen aus Katalonien nach Frankreich zurück, wo sie entwaffnet wurden.

Unter ihnen waren auch die Reste der Internationalen Brigaden. Es waren nur jene zurückgeblieben, die aus faschistischen oder „autoritären“ Ländern stammten,

die anderen waren bereits in die Heimat zurückgekehrt.

In Frankreich wurden alle, die aus Spanien kamen - Soldaten und Zivilisten - interniert. Im ersten Auffanglager, Argeies, gab es nichts als einen Stacheldrahtzaun rund um ein Stück Sandstrand, einige in den Sandboden eingelassene Wasserpumpen und eine Art Latrine, die bei Flut überschwemmt wurde. Das Material zum Bau von Baracken kam erst nach einiger Zeit.

In der Unterabteilung des Lagers — es hieß „ilot“, Insel —, in dem sich die Österreicher befanden,

waren vier Pfosten eingeschlagen und darauf bildeten einige Bretter den Tisch. Dort amtierte einige Stunden am Tag eine Kommission des Völkerbundes; sie sollte die Angehörigen der Internationalen Brigaden registrieren.

Auf die Frage nach der Nationalität antworteten wir alle „autri- chien“ — auf den Zetteln, die jeder erhielt, hieß es dann „allemand“ — der Völkerbund hatte ja die Einverleibung Österreichs in das „Reich“ anerkannt.

In Argeies erlebten wir den ersten Jahrestag des .Anschlusses“. Da die Mehrheit der österreichischen Interbrigadisten Mitglieder der KPÖ waren, trugen die Veranstaltungen anläßlich dieses Jahrestages einen national-österreichischen Charakter. Referenten wurden auch zu den anderen

nationalen Gruppen geschickt, und es bestand bei den Italienern, Polen, Ungarn oder Rumänen kein Zweifel daran, daß die Österreicher etwas anderes sind als die Deutschen. Die einzige Gruppe, bei der es da Schwierigkeiten gab, waren die Deutschen.

Nach ein paar Wochen wurden wir in ein anderes, bereits aufgebautes Lager verlegt, nach Gurs nahe den Pyrenäen. Dorthin kamen auch Interbrigadisten, die in anderen Auffanglagern festgehalten worden waren. Schließlich waren etwa 480 Österreicher beisammen, Männer zwischen 20 und 40 Jahre alt (mit wenigen Ausnahmen); sie stammten aus allen Bundesländern.

Obwohl offiziell als Deutsche eingestuft, bildeten die Österreicher im Lager, von der französischen Lagerleitung akzeptiert, eine geschlossene Einheit. Und da zunächst innerhalb des Lagers ziemliche Freiheit herrschte - die Franzosen mischten sich nicht ein -, entwickelte sich bald ein intensives kulturelles, gesellschaftliches und politisches Leben.

Die meisten der österreichischen Internierten, ob Kommunisten oder nicht, hatten bis zum Feber 1934 sozialdemokratischen

Organisationen angehört, und viele der Jungen waren von der sozialistischen Jugendbewegung geprägt. Was sich nun entwickelte, trug den besonderen Stempel der austromarxistischen Kulturtätigkeit mit dem Unterschied allerdings, daß die übliche deutschnationale Romantik durch ein betontes Österreichertum ersetzt wurde.

Im Zentrum der kulturellen Tätigkeit stand die „Volkshochschule Gurs“, die einen regelrechten Schulbetrieb aufrecht erhielt, mit Fremdsprachen und den üblichen Fächern. Einige der internierten Österreicher hatten alle Fächer „belegt“, sie wollten die fehlende Schulbildung nachholen. Andere suchten sich bestimmte Fächer aus, und es gab sogar nach jedem „Semester“, das einige Wochen dauerte, Prüfungen.

Die Lehrer waren ein Jurist, ein Arzt, einige ehemalige Hochschüler. Schulleiterund Deutschlehrer war ein Schauspieler. Ich unterrichtete Geschichte von einem national-österreichischen Standpunkt aus, wobei die guten Absichten größer waren als die Kenntnisse, zu deren Ergänzung die Unterlagen fehlten.

Das Turnen wurde von Vorturnern und nach den Grundsätzen des Arbeiter-Turnvereins organisiert, die improvisierte Musikkapelle hätte überall in Österreich spielen können, ohne aufzufallen. Uber ein Jahr lang bestand diese eigenartige Gemeinschaft, wobei die äußeren Bedingungen mit Kriegsbeginn rasch schlechter

wurden. Die „Volkshochschule Gurs“ hielt bis zum Mai 1940 durch.

Nach dem militärischen Zusammenbruch Frankreichs änderte sich die Situation. Einigen der österreichischen Spanienkämpfer gelang es, in Frankreich unterzutauchen. Später schlossen sie sich der Resistance an. Eine Gruppe gelangte als „prestatai- res“ nach Nordafrika, wo sie Straßen und Flugplätze bauen mußte; sie wurde dann von den Engländern übernommen, kam schließlich in die Sowjetunion und wurde 1944 im Koralpengebiet als Partisanentruppe eingesetzt. Eine kleine Gruppe konnte noch knapp vor Kriegsausbruch nach England kommen. Ich hatte das Glück, dabei zu sein. Aber auch dort waren wir „enemy aliens“, also Deutsche, was mir eineinhalb Jahre Internierung auf der Isle of Man eintrug.

Die große Mehrheit der in Frankreich interniert gewesenen österreichischen Spanienkämp- fer fiel aber in die Hände der Gestapo. Die meisten kamen nach Dachau, einige aber auch in andere Konzentrationslager.

Zwei Faktoren spielten im Kampf ums Überleben eine wichtige Rolle: Moral und Solidarität. Die Mehrheit der österreichischen Spanienkämpfer überlebte.

Der Autor. Herausgeber vom „Wiener Tagebuch“, trat 1935 der illegalen KPÖ bei. wurde 1937 von der Wiener Universität religiert und nahm am Spanischen Bürgerkrieg teil. Nach dem Krieg Mitglied des ZK der KPO, wurde er im Gefolge der Auseinandersetzungen nach der Niederschlagung des Prager Frühlings aus der KPO ausgeschlossen.

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