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Fehlurteil

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Es wäre vielleicht besser gewesen, die Verfilmung des Musicals „Godspell“ überhaupt nicht erst in Österreich zu zeigen — denn anscheinend — siehe die Wiener Fiilmkritiken — fehlt uns die Naivität, das Verständnis und die Toleranz dafür, ja vielleicht sogar der Humor, die Einfalt und sogar die Güte. Daß dieser zumindest diskutierenswerte Film so schnell abgesetzt werden mußte, sollte nachdenklich stimmen. Ist denn wirklich etwas Blasphemisches daran, das Leben Jesu Christi einem Publikum in moderner Form vor Augen zu führen, seine Lehre von der Liebe zu dem Nächsten zeitgemäß darzustellen? Taten dies nicht zu allen Zeiten viele Künstler so: die Komponisten, die Maler? Warum also — selbstverständlich, sieht man von dem damit zusammenhängenden kommerziellen Betrieb, den man aber nicht weniger an jedem Wallfahrtsort findet, ab — soll eine Schilderung der „größten Geschichte aller Zeiten“ nach den Texten des Matthäus-Evangeliums in Form einer Blumenkinder-Parabel verwerflicher sein als ein (mitunter sehr fröhliches!) Spiritual, rhythmisch und mitreißend? In dem Film gibt es Szenen voll Größe und Ergriffenheit — und abgesehen davon filmische Momente wie etwa die Gleichnisse vom barmherzigen Samariter, vom verlorenen Sohn und manche andere, die künstlerisch hinreißend gelungen sind Wenn nur ein Besucher nachdenklich das Kino verläßt, hat der Film seine Berechtigung, aber es fehlt uns offensichtlich an dem, was das Thema dieses sehenswerten Films ist!

Nicht sehenswert dagegen ist die

mit Vorschußlorbeeren und Reklamerummel gerühmte, bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes sogar mit dem „Internationalen Kritikerpreis“ ausgezeichnete Filmorgie von Marco Ferreri „Dos große Fressen“, der in Österreich von einer sogenannten „Filmprädikatisierungs-kommission“ das Höchstprädikat „besonders wertvoll“ zuerteilt wurde. Nach diesem Urteil ist anzunehmen, daß die bei der Sitzung Anwesenden eines Geistes mit jenem Herrn Muehl sein dürften, der durch seine „Actionen“ (wie jene in der Universität) Österreich zu traurigem Ruhm verhalf. Diese bodenlose Schweinerei und unbeschreibliche Geschmacklosigkeit als „besonders wertvolles Kunstwerk“ bezeichnen zu wollen, läßt auf die Vertreter dieser Meinung nur den Schluß zu, daß ihre Geschmacksansichten sich mit dem Benehmen und Verhalten der vier sich in Fäkalien wälzenden, rülpsenden und erbrechenden, schließlich zu Tode fressenden Filmgestalten decken — und dann wäre es Zeit, die verantwortlichen Mitglieder der Kommission durch andere, besser geeignete zu ersetzen! Oder wollten die Herren sich damit einen progressiven Scherz leisten? Auch dann gehörten sie weg! Jedenfalls dokumentiert der ebenso langweilige wie sinnlos-ekelhafte Film die traurige Machtlosigkeit aller Geschmacks-, Niveau- und Kulturbestrebungen, den Sieg der Primitivität und des Kommerzialismus in der Kunst, was die Prädikatszuerteilung noch höhnisch-triumphierend zu bestätigen scheint...

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