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Fleißige Kolchosen

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Wenn die Landwirtschaftlichen Einheitsgenossenschaften der Tschechoslowakei in dieser Woche ihren achten Kongreß durchführen, so sind sie eine der ganz wenigen Organisationen, die weder politisch noch wirtschaftlich ein besonderes Sorgenkind darstellen, was angesichts der innerhalb von eineinhalb Jahrzehnten durchgeführten radikalen und zum Teil brutalen Kolchosierung eher verwunderlich erscheint.

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Wenn die Landwirtschaftlichen Einheitsgenossenschaften der Tschechoslowakei in dieser Woche ihren achten Kongreß durchführen, so sind sie eine der ganz wenigen Organisationen, die weder politisch noch wirtschaftlich ein besonderes Sorgenkind darstellen, was angesichts der innerhalb von eineinhalb Jahrzehnten durchgeführten radikalen und zum Teil brutalen Kolchosierung eher verwunderlich erscheint.

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Gewiß hat auch hier das Jahr 1968 dazu geführt, daß sich die Kolchosbauern zu organisieren begannen — was bis dahin und seither merkwürdigerweise unerwünscht war —, und natürlich hat es auch anschließend in der neuen Organisation der Kolchosbauern Säuberungen gegeben, denen nicht weniger aus 35 Mitglieder des Zentralkomitees und 562 von Distriktsausschüssen zum Opfer gefallen sind, an der Spitze der Vorsitzende des Leitungsausschusses des Zentralkomitees dieser Organisation, Jaroslav Karhah. Aber trotzdem ist während der Jahre 1968 und 1969 nie vorgeschlagen worden, auch auf dem Gebiet der Landwirtschaft eine Re-privatisierunig durchzuführen, aus den Kolchosbauern wieder freie Bauern zu machen. Scheinbar war der Substanzvenlust der Landwirtschaft durch freiwillige und unfreiwillige Abwanderung so groß, daß hier keinerlei Initiativen und Experimente sichtbar wurden. Ganz im Gegenteil hat man inmitten der tschechoslowakisch-sowjetischen Spannungen und gegenüber den Vorwürfen Moskaus und anderer Volksdemokratien in Prag erklärt, daß etwa auf dem Gebiet der Landwirtschaft der „sozialistische Sektor“ weit stärker ausgebaut sei als in den meisten anderen kommunistischen Ländern, vor allem als bei den unmittelbaren Nachbarn Ungarn und Polen, und daß von insgesamt 7,1 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzten Bodens 6,4 Millionen Hektar von Einheitsgenossenschaften und Staatsgütern bewirtschaftet werden; daß von den 6,6 Millionen Arbeitskräften 6,4 Millionen dem „sozialistischen Sektor“ zuzuschreiben seien und daß es überhaupt nur noch 166.000 kleine Privatibauern und nur noch 6000 (!) private Gewerbetreibende gibt. Wie rapid die Zahl der selbständigen Bauern noch nach dem eigentlichen Abschluß der Kolchosierung allein im letzten Jahrzehnt neuerlich zurückgegangen ist, erhellt die Tatsache, daß 1960 noch 759.043 selbständige Bauern existierten, die allerdings nur noch über 780.949 Hektar Grund verfügten.

Schwerpunkt der Vernichtung des selbständigen Bauerntums war das Jahrzehnt zwischen 1950 und 1960.

Man hat diese Maßnahmen kaum weniger radikal als in der Sowjetunion durchgeführt, obwohl die Voraussetzungen in den böhmisch-mährischen Gebieten, aber auch in der Slowakei völlig anders als in der Sowjetunion waren. Die Struktur der bäuerlichen Betriebe war ausgesprochen gesund; der Großgrundbesitz spielte keine entscheidende Rolle und durch die Vertreibung der Deutschen konnte man landhungrigen tschechischen Landarbeitern oder Bauernsöhnen reichlich Grund zur Verfügung stellen. Doch war deren Freude nur kurz.

Das Problem der Landflucht, das ja in der ganzen Welt, mehr oder weniger scharf ausgeprägt, sichtbar ist, hatte in der Tschechoslowakei somit mehrere Gründe und zeigt unterschiedliche Phasen: die Übernahme einst deutscher Bauernhöfe durch tschechische oder slowakische Landarbeiter leitete die erste Phase der Landflucht — vor allem in Innerböhmen — ein; eine Kompensation durch moderne Landwirtschaftsmaschinen war angesichts der Schwierigkeiten der unmittelbaren Nachkriegszeit, es waren ja die Jahre 1945 bis 1948, teilweise bis 1950, nicht möglich. Die nachfolgende Kolchosierung war der entscheidendste und gefährlichste Aderlaß; denn jetzt wichen nicht die zweiten oder dritten Söhne, jetzt gingen die besten und initiativsten Menschen in die Stadt. Die forcierte Industrialisierung, die Fünfjahrpläne der seit 1948 an der Macht befindlichen

Kommunisten mit einer starken Bevorzugung der Schwerindustrie und des Bergbaues, bedeutete die dritte Phase der Entsiedelung und schließlich eine stärkere, dringend notwendig gewordene Forcierung des Baues von Landmaschinen, die neuerlich Arbeitskräfte freigab, die vierte Phase. Das heißt nicht, daß nicht gelegentlich tüchtige Menschen freiwillig oder unfreiwillig zurück aufs Land gingen — ein solcher war etwa der frühere Verteidigungsminister und nachmalige Staatspräsident Ludwig Svoboda, der als Buchhalter auf einer Kolchose arbeitete.

All das hat reichlich eineinhalb Jahrzehnte gedauert und erst in den letzten drei Novotny-Jahren, seit 1966, konnte man, was die landwirtschaftliche Produktion anbelangt, aufatmen. Immerhin ist, etwa bei den Hektarerträgen, noch immer ein starkes Nachhinken gegenüber den meisten westlichen Ländern sichtbar. Die zuletzt angegebenen Hektarerträgnisse zeigen auf allen Sektoren einen deutlichen Abstand gegenüber Österreich, am krassesten bei Kartoffeln, wo die Tschechoslowakei 154,0, Österreich aber 261,2 erzielte, und bei Zuckerrüben, wo man in der Tschechoslowakei auf 336,9, in Österreich aber auf 427,9 (jeweils in dt, 1969) kam. Das Mißverhältnis wird aber um so größer, wenn man bedenkt, daß die allermeisten Anbaugebiete Böhmens und Mährens günstigere Voraussetzungen als die österreichischen bieten.

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