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Franz III. in Rom

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Franz I. besuchte 1819 Rom und den Papst. Die Historiker haben längst bewiesen, daß mit diesem Besuch eine wichtige historische Entwicklung in der Geschichte der Donauländer beginnt: der Abbau des Josephinismus.

Franz II. gab es nicht in der österreichischen Geschichte (Franz Ferdinand sollte sich einmal so unterschreiben, wenn er herrschen würde), wie es auch einen Napoleon ü. in der französischen Geschichte nicht gibt, obwohl der Herzog von Reichstadt diesen Titel trägt. Der zweite Kaiser der Franzosen nannte sich, obwohl er innerlich ein Republikaner war, Napoleon III.

Anläßlich seines Besuches in der italienischen Hauptstadt nannten die italienischen Zeitungen den österreichischen Bundespräsidenten einen republikanischen Monarchen. Tatsächlich ist ja auf Grund der Rechte, die jeder österreichische Bundespräsident besitzt, derselbe eine Art „Franz Joseph auf sechs Jahre“. Seitdem die Bundespräsidenten in der Hofburg amtieren, wurden sie auch äußerlich zu republikanischen Monarchen. Und so ist es fast zu verwundern, daß die italienischen Zeitungen in Erinnerung des Besuches Franz I. in Rom im Jahre 1819 nicht vom Besuch Franz III. in der italienischen Hauptstadt sprachen.

Denn ähnlich wie einst im Jahr 1819 eine neue Entwicklung in den Beziehungen zwischen Wien und Rom entstand, leitete auch der Besuch des jetzigen österreichischen Staatsoberhauptes eine neue Ära im Leben der beiden Länder ein. Diese Tatsache könnte kurz mit dem Titel überschrieben werden: Abbau jahrzehntelanger Ressentiments (die sich bis zum Haß steigerten) und Beginn einer Ära der Freundschaft und Brüderlichkeit.

Italien ist seit 1945 bemüht — mit Ausnahme der errungenen Einheit

— seine Vergangenheit aus dem 19. und 20. Jahrhundert zu bewältigen. 1929 schon wurde durch die Lateranverträge der Raub am Kirchenstaat aus der Welt geschafft. Allerdings nur, um damit den Rücken frei zu haben für die Durchführung eines nationalistischen Raubprogramms, zu dem die Besetzung Äthiopiens, Albaniens, Dalmatiens, Montenegros, Griechenlands und der französischen Küste bis Nizza gehörten. Nach dem verlorenen Krieg bekräftigte das italienische Parlament durch eine neue Bestätigung der Lateranverträge die endgültige Liquidierung der „Römischen Frage“.

Nach dem zweiten Weltkrieg verlor Italien seine gesamten Besitzungen in Afrika, wie Tripolis, das Somaliland und vor allem auch das äthiopische Kaiserreich. Durch den Besuch Haile Sellasies in Rom wurde auch dieses Kapitel „bewältigt“.

Durch den seinerzeitigen Besuch Titos in Rom zeigte Italien, daß es auf seinen Traum vom „mare nostro“ verzichtet. Dahin sind alle Wünsche auf den Besitz der Küsten Istriens, Dalmatiens und Montenegros. Nur Triest mit einer kleinen Umgebung verblieb von all diesen Träumen bei Italien. Aber Triest ist eine tote Stadt und jedermann muß ein Schaudern ergreifen, wenn er an dem Grabdenkmal für die gefallenen Italiener vor den Toren Triests vorbeifährt. Sie starben, damit Triest eine tote Stadt werde.

Bewältigt sind längst seitens Italiens alle Differenzen mit Frankreich und Griechenland. Nur wegen Südtirol gab es noch Spannungen mit Österreich. Durch den Vertrag über diesen südlichen Teil Tirols zwischen Italien und Österreich wurden diese Spannungen formalrechtlich aus der Welt geschafft. Durch den Besuch des österreichischen Staatsoberhauptes in Rom auch psychologisch. Aber es geschah noch mehr! Jahrzehntelang hatte die offizielle Geschichtsdarstellung Italiens den Nachbarn im Norden als den Gegner des italienischen Volkes dargestellt, der weite Teile Italiens „versklavt" hatte. Italienische Historiker waren es vor allem, die bereits seit langem dar auf hinweisen, daß eine objektive Geschichtsschreibung die Zeit, da viele Gebiete der apenninischen Halbinsel unter österreichischer Verwaltung standen, als eine der glücklichsten Epochen dieser Gebiete anerkennen müsse. Aber nicht nur bei den Historikern, auch im Volk selbst war die österreichische Verwaltung teilweise in bester Erinnerung. Pius X., 32 Jahre lang „ein getreuer Untertan Franz Josephs“, sagte dem k. u. k. Botschafter, daß die Vene- tianer eine sehr gute Erinnerung an die Zeit hätten, da Venetien durch Österreich verwaltet wurde. Und Johannes XXIII., selbst ein Kind österreichischer Eltern, erinnerte sich noch im hohen Alter, was man in den Tagen seiner Kindheit in Bergamo gesagt hatte: Daß unter der österreichischen Herrschaft die anständigen Leute regierten und die Intriganten im Gefängnis gesessen wären. Kaum wären die Piemon- tesen gekommen, hätten die Intriganten regiert und wären die anständigen Leute im Gefängnis gesessen. Und Roberto Farinacci, der Verfasser der offiziellen faschistischen Geschichte dieser Revolution schrieb schon 1936, daß die österreichische Verwaltung eine der gerechtesten war, die Italien je gekannt hat. Dieses Denken vereinzelter Historiker kam jetzt in Italien anläßlich der Reise des österreichischen Staatsoberhauptes nach Rom zum allgemeinen Durchbruch. Italien entdeckte, daß seine österreichische Vergangenheit nicht die schlechteste gewesen war.

Dieses Denken könnte den Boden bereiten für eine dauernde Freundschaft zwischen Österreich und Italien, allerdings nur dann — wenn Österreich auch seinerseits dazu bereit ist. Denn auch in Österreich herrschten jahrzehntelang Ressentiments gegen den südlichen Nachbarn, die nur allzusehr den Weg zu jeder Verständigung verbauten.

Nun aber bestehen für das Vorhandensein von Ressentiments auf beiden Seiten nicht mehr die geringsten Voraussetzungen. Für Österreich insbesondere stellt eine Freundschaft mit Italien einen der wenigen schmalen Pfade dar, die aus der politischen Isolierung herausführen können, in der es heute lebt. Eine Freundschaft mit Italien kann seine Kunst und Kultur nur neuerlich befruchten, denn seit den Tagen, da Österreichs Länder zum römischen Imperium gehörten und römische Kaiser hier residierten, kommt es von seinem „römischen Unterbewußtsein“ nicht mehr los und ist „anfällig“ (im besten Sinne des Wortes) für viele Strömungen, die aus Italien kamen und kommen.

So ist denn der Weg frei für einen gemeinsamen Weg der Freundschaft beider Länder in die Zukunft. Und die Historiker kommender Tage werden aus diesem Besuch Franz III. in Rom vielleicht ebenso bedeutsame Folgerungen ziehen wie aus dem seinerzeitigen Besuch Franz I.

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