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Markt der Bücher

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Der Büchermarkt dieses Herbstes erinnert im deutschen Sprachraum an einen wirklichen Markt. Ein Mittelpunkt ist nicht zu erkennen, eine vorherrschende Mode kaum zu orten.

Während in vielen Kauf ständen vor der Vernichtung der Umwelt gewarnt wird, wobei einige Marktschreier mit lauter Stimme den herannahenden Weltuntergang verkünden, werden schräg gegenüber kostbare Kunstbücher angeboten, wahre Prachtexemplare der weltumfassenden Zusammenarbeit, denn ihr Text wurde in Irland hergestellt, der Druck in Hongkong besorgt, die Bindearbeit in Bayern erledigt und das Produkt in mehreren Ländern gleichzeitig unter die Leute gebracht. In unzähligen Buden werden die Anhängerinnen, auch die Anhänger des Feminismus bedient mit eigens für Frauen verfaßten Reiseführern, mit Anleitungen zum praktischen Kampf für die Gleichberechtigung und gegen die Pornographie, aber gleich nebenan wird gerade diese Pornographie entweder in Romanform oder mit entsprechenden Illustrationen gewürzt angeboten, und manche Händler wenden sich sogar unmittelbar an die Männer, um sie mit der Hilfe des einen oder anderen nützlichen Büchleins wieder aufzurichten. In der einen Ecke werden Kochbücher für Vegetarier und um Naturnähe ringende Köchinnen und Köche gepriesen, während in einem anderen Winkel die hochherrschaftlichen Freuden der üppigen Tafei in Wort und Bild verherrlicht werden. Großmutters Stickmuster werden ebenso begeistert gerühmt wie die technischen Phantasien des dritten Jahrtausends; hier wird vor AIDS gewarnt, dort die freie Liebe propagiert; und zwischen den Marktbuden schleichen bereits jene tüchtigen Altwarenhändler herum, die bereit sind, den unverkäuflichen Ramsch für wenig Geld zu übernehmen.

Der Anblick ist ebenso erfreulich wie bedenklich. Der Markt, den wir durchstreifen, ist frei, richtet sich nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage, wirkt als Spiegelbild und zugleich als Stimulans der pluralistischen Gesellschaft. Jeder Leser hat das Recht, sich über Wert und Unwert des Angebots eine eigene Meinung zu bilden.

Der Pluralismus führt freilich auch zur Zersplitterung; die Gleichrangigkeit aller Produkte hat den Verlust aller geistigen Maße zur Folge. Goethe gilt hier nicht mehr als sein schreibender Schwager Vulpius, und der subtile Thomas Mann wird, bei entsprechendem Geschäftsgang, vom öden Alfred Döblin in den Schatten gestellt. Die vereinigten Mundwerke sind allemal wichtiger als die Künstler selbst.

Diese befinden sich im Rückzug. Behaupten können sie sich nur, wenn sie tüchtige Verkäufer haben. Die Vielfalt ist zudem offenbar so groß, daß sich das Publikum ohne entsprechende Anleitungen nicht mehr zurechtfindet. Die Wegweiser zum Marktgeschehen werden aber nicht von unparteiischen Kunstrichtern, sondern von Lohnschreibern der Geschäftsinteressen oder der Ideologien verfaßt. Manche bringen es sogar fertig, für die große Idee gegen gute Bezahlung selbstlos zu schwärmen. Es geht auf dem Literaturmarkt jedenfalls längst nicht mehr um den Satz, sondern um den Umsatz.

Wir haben natürlich eine Belletristik, und auch sie ist erfreulicherweise pluralistisch. Bücher mit dem Markenzeichen Siegfried Lenz oder Peter Handke, Günter Grass oder Thomas Bernhard werden weiterhin gerne gekauft. Der chronisch unterschätzte Johannes Mario Simmel vermag alle zwei Jahre einen erfolgreichen Roman auf den Markt zu werfen; die bescheidensten Erwartungen werden durch die Romanfabrik Konsalik befriedigt. In jenem Teil des Marktes, in dem gute Literatur verkauft wird, herrscht allerdings meistens Stille. Viele bedeutende Autoren der Gegenwart werden zwar in den Gazetten gefeiert, aber vom Publikum kaum angenommen. Wenn sich dreitausend Käufer einfinden, gilt ihr Buch bereits als erfolgreich; die Achttausender-Grenze wird selten überschritten, Lyrikern hilft nur der Nobel-Preis, und auch dieser nicht immer. Die ins Deutsche übersetzten Gedichte des großartigen Russen Josef Brodski finden trotz des Nobelpreisrummels wenige Käufer. Manchmal haben die größten Lyriker die kleinste Leserschaft; der Österreicher Michael Guttenbrunner ist für diese traurige Beschaffenheit des Marktes nicht das einzige Beispiel.

Da Geist und Geschäft notwendigerweise unterschiedliche Maßstäbe setzen, richtet sich die Freiheit des Marktes oft gegen die literarische Qualität. Das hat zur Folge, daß das Publikum seine besten Autoren zuweilen gar nicht kennt. So führt die Uberproduktion zur geistigen Verarmung. Eine Lösung des Paradoxons ist vorerst unwahrscheinlich, allerdings muß sie immer wieder versucht werden: durch die Verschwörung der Gutgesinnten im Dienste der Qualität.

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