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Mischung aus Nostalgie und Neugierde an „Westberührung“

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Die österreichisch-ungarischen Beziehungen sind um ein historisches Datum reicher. Nicht um ein politisches. Dem österreichischen Kulturinstitut in Budapest, dessen Eröffnung im Vorjahr auch in der ungarischen Presse gewürdigt wurde, geht es mehr um menschliche Kontakte.

Noch ist das Institut im Gebäude der Botschaft untergebracht. Ein Grundstück auf der Ofener Seite der Elisabethbrücke wurde schon zu Beginn der siebziger Jahre gekauft, und auch die Pläne und die Baugenehmigung für das Institut liegen vor. Unsicher ist nur der Baubeginn. Er könnte sich durch die schwierige Budgetsituation noch längere Zeit verzögern.

Das heißt jedoch nicht, daß die österreichische Kultur in Budapest bisher nicht vertreten gewesen wäre. 1972 wurde an der Botschaft zunächst mit regelmäßigen Hauskonzerten begonnen, aber bereits 1974 hat die Kulturabteilung der Botschaft ihre Aktivitäten erheblich ausgebaut. Seither sind österreichische Publikumslieblinge auch in Budapest erfolgreich gewesen. Elfriede Ott etwa mit ihrer „Phantasie in Ö-Dur“, Heinz Zednik und Gertrude Jahn mit Liederabenden.

Zwar steht die Musik im Mittelpunkt des kulturellen Angebotes, aber schon der Erfolg von Elfriede Ott zeigte, daß die deutsche Sprache in Budapest kein Hindernis darstellt So hielt Hans Weigel einen Vortrag über „österreichische Literatur heute“, H. C. Artmann las aus eigenen Werken, Alexander Trojan stellte Lyrik vor, auch ein Leseabend mit Christine Bu-sta kam gut an.

In erster Linie ist es die ältere Generation, die noch die deutsche Sprache beherrscht. Ihr Interesse am österreichischen Kulturangebot entspringt einer Mischung aus Nostalgie und Neugierde an „Westberührung“. Aber zunehmend gelingt es, an die Jugend heranzukommen. In den Schulen lernen viele neben Russisch als Pflichtfach Englisch, doch das Interesse an der deutschen Sprache, und hier vor allem am „österreichischen“, ist groß.

Verfolgt man die deutschsprachigen Fachvorträge, die die Budapester regelmäßig und zahlreich besuchen, so kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Da sprach Univ.-Prof. Reinhard Giselmann von der Technischen Universität Wien über Strukturpro-

bleme, Univ.-Prof. Artur Rosenauer über Klimt, Schiele und Kokoschka, Univ.-Prof. Erika Weinzierl über den österreichischen Widerstand gegen den Faschismus. Aber auch Vorträge über Denkmalschutz im Burgenland, Kunst und Technik, Umweltschutz, österreichische Theatererziehung oder über Industriedesign in Österreich lassen sie sich nicht entgehen.

Viel Erfolg hatten die Ausstellung „200 Jahre Burgtheater“ und die Ro-bert-Musil-Gedenkausstellung, in deren Rahmen die erste ungarische Ubersetzung des Romans „Der Mann ohne Eigenschaften“ vorgestellt wurde. Trotz der reichen gemeinsamen

Kultur ist die Sprachbarriere im literarischen Bereich im allgemeinen nur schwer zu überwinden. Eine Ubersetzung aus dem Ungarischen kommt schou beinahe einer Nachdichtung gleich.

Ab März wird das neue Kulturinstitut in Budapest regelmäßig Monatsprogramme versenden. Durch gezielte Einladungen zu Fachvorträgen kann der Kreis des Stammpublikums ständig erweitert werden. Die Programmvorschau für das heurige Jahr könnte sogar anspruchsvolle Wiener Bedürfnisse befriedigen. Prof. Erik Werba wird einen Klavierabend mit Werken von Schubert und Wolf geben und wird Adele Haas bei einem Liederabend begleiten; mit einem Vortrag über Doderer hat sich Doz. Wendelin Schmidt-Dengler von der Universität Wien angekündigt; im Herbst wird eine Gruppe des Reinhardt-Seminars erwartet.

Auch sonst hat das Kulturinstitut große Pläne: eine Bibliothek ist bereits im Entstehen, ein Leseraum ist im Gespräch. Die Einführung von Deutschkursen - die Nachfrage ist enorm -hängt vom Bau des eigenen Gebäudes ab. Der Ausbau der Aktivitäten in der Provinz nimmt allmählich konkrete Formen an. Dabei ist vor allem an die Gebiete östlich von Budapest gedacht, denn im westlichen Teil Ungarns be-

stehen seit langem gute direkte Kontakte mit Niederösterreich, dem Burgenland und der Steiermark.

Etwas ganz Neues, womit vor allem Jugendliche angesprochen werden sollen, wurde bereits in Angriff genommen. Mit einem Videorecorder können für kleinere Gruppen Filme über österreichische Theateraufführungen gezeigt werden.

Die guten Kontakte mit den ungarischen Stellen haben es der Kulturabteilung schon vor Jahren ermöglicht, ihre Veranstaltungen gemeinsam mit den entsprechenden ungarischen Institutionen und in deren Räumlichkeiten abzuhalten. Die gemeinsame Tradition, die gemeinsamen Grenzen und die Neutralität Österreichs erleichtern die tägliche Arbeit. Wie überhaupt das Klima in Ungarn in den letzten Jahren zunehmend liberaler geworden ist. Die österreichischen Veranstaltungen finden immer ein breites positives Echo in der ungarischen Presse.

Artur Kremsner, der die österreichisch-ungarischen Kulturbeziehungen mit so viel Erfolg und beinahe im Alleingang pflegt, ist seit dreizehn Jahren Kulturrat an der österreichischen Botschaft und nun auch Leiter des Kulturinstituts. Dank seiner perfekten ungarischen Sprachkenntnisse bot ihm das Außenamt 1965 an, als Presseattache nach Ungarn zu gehen. Nach jeder Veranstaltung gibt Kulturrat Kremsner einen kleinen Empfang, bei dem er nur österreichischen Wein und österreichisches Bier servieren läßt.

Diese in erster Linie menschlichen Kontakte sind es, die ihm und seiner Frau das Leben in Budapest angenehm machen. Sie sind gerne dort. Das Leben ist vielleicht weniger komfortabel als in Wien, aber die Ungarn kennen weder Leistungsdruck noch Streß. Und sie nehmen sich Zeit, Kultur in Ruhe zu genießen.

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