6618608-1955_48_09.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN zur woche

Werbung
Werbung
Werbung

ZWISCHEN BONN UND WIEN. Der Aurjenminister der Bundesrepublik, Heinrich von Brentano, wurde mit seinen Herren in Wien sehr herzlich empfangen, und die deutsche Delegation befand sich vom Beginn bis zum Ende ihres Aufenthaltes in Wien in einer Atmosphäre der Freundschaft. „Das Eis zwischen Bonn und Wien ist aufgetaut“, so schreiben nun westdeutsche Blätter. Das ist vorerst das Wichtigste: in dem gewandelten Klima können, morgen und übermorgen, die Verhandlungen über alle strittigen Probleme in ganz anderer Weise vonstatten gehen, als es eben bis jetzt der Fall war. Wien und Bonn nehmen unverzüglich diplomatische Beziehungen auf und werden durch Botschafter ihre Interessen vertreten. Es steht zu hoffen, dafj der bisherige Vertreter Bonns in Wien, Dr. Carl Müller-Graaf, der eine nicht leichte Aufgabe mit viel Geduld, Energie und Takt erfüllte, der erste Botschafter der Bundesrepublik auf diesem heiklen Posten sein wird — Oesterreich hat, in dem halben Jahrhundert zwischen Herrn von Tschirsky und Herrn von Papen, schwere Erfahrungen mit deutschen Botschaftern gemacht; der Persönlichkeit des deutschen Vertreters in Wien kommt also eine außerordentliche Bedeutung zu, soll er doch sein Vaterland richtig vertreten und sein Gastland richtig behandeln. — Nun wird also eine gemischte deutsch-österreichische Kommission bereits in nächster Zeit in Wien zusammentreten und die Fragen, die sich aus dem Staatsvertrag ergeben, aber auch andere wirtschaftliche, kulturelle und sozialrechtliche Probleme anschneiden, die sich aus dem beiderseitigen Willen ergeben, die Beziehungen zwischen Deutschland und Oesterreich neu zu gestalten. Wobei aller Akzent auf dem „Neugestalten“ liegen muh: jeder Rückschlag in die Vergangenheit, ins Geflecht ihrer Schatten soll dabei vermieden werden. Zehn Jahre nach dem zweiten Weltkrieg öffnen sich demnach für zwei Partner, die gegenseitig ihre Unabhängigkeit offen und ohne Rückhalt anerkennen, wirklich neue Horizonte in der Möglichkeit einer ehrlichen und korrekten Zusammenarbeit.

RENDEZVOUS IN SALZBURG. Aus allen Richtungen der Windrose trafen in der vergangenen Woche Gäste in Salzburg ein. Ihre Zahl ging freilich nicht in die Tausende und aber Tausende, wie in jenen bunten und turbulenten Sommerwochen, in denen die Salzachstadt zu ihren Festspielen die Welt einlädt. Doch die annähernd hundert Wissenschafter, Publizisten und Männer der Politik, die zu so einer ungewöhnlichen Jahreszeit -(Salzburg einen Besuch- abstatteten, einte ein gemeinsames Ziel: Sie waren dem Ruf des „Forschungsinstituts für Fragen des D o n a u r a u m e s“ gefolgt, das zu seiner Herbsttagung vom 14. bis 17. November gebeten hatte. Das vom Gesandten i. R. Theodor Hornbostel geleitete „Forschungsinstitut“ hat seine bisherigen Arbeiten bewußt fern von aller marktschreierischen Publizität geleistet. — Diese für den Aufbau eines soliden Fundaments nur förderliche Zurückgezogenheit darf nicht mit einem Dornröschenschlaf verwechselt werden. Darüber gab die Salzburger Tagung beredt Auskunft: Ob hier zum Beispiel unter anderen der Ordinarius für neue Geschichte an der Universität Wien, Univ.-Prof. Dr. Hugo Hantsch, einen grundlegenden Vortrag über „Die föderative Idee im alten Oesterreich“ hielt, Dr. Radvansky mit dem lebhatten Temperament des Madjaren seine Thesen über die „Geistigen Voraussetzungen einer Integration des Donauraumes“ verfocht oder Prof. Adalbert Gauss, der in Salzburg eine zweite Heimat gefunden hat, über das besonders diffizile Problem der Wojwodina referierte: immer gab es interessierte und diskussionsfreudige Zuhörer. Ja, diese Diskussionsfreude steigerte sich sogar zu einem regelrechten Streitgespräch, das sich lim Anschluß an den gut dokumentierten Vortrag von Univ.-Prof. Matl über „Die Gestaltung des Donauraumes und die kroatisch-serbische Frage“ entzündete. Hier lebte der alte kroatisch-serbische Gegensatz erneut mit nicht geringer Heftigkeit auf. Dieses Intermezzo war lehrreich: es zeigte nicht nur die Gefahr einer gewissen Erstarrung, der sich wohl keine Emigration entziehen kann, es bewies auch anschaulich, dafj — setzen wir den Fall, die harte Hand des Kommunismus entlasse die donau-europäischen Völker — die Probleme hier noch lange nicht zu Ende sind. Auch ür das „Forschungsinstitut“, das ia, wie immer betont wurde, nicht politische, sondern wissenschaftliche Aufgaben sich gestellt hat, ergibt sich hier eine dornenvolle, aber notwendiae Mission der Erziehung. Ansonsten glich die Halle des Hotels Piffer in Salzburg durch drei Tage den Couloirs des alten Abaeordnetsnhauses der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder. Tschechische Worte waren genau so zu hören wie slowenische und kroatische Idiome; das Unqarische kam hinzu. Sprachschwierigkeiten gab es keine. Wo die Verständiqung in der Muttersprache unmöglich war, wechselte man in das Deutsche als „Staatssorache“ hinüber. Kein Wunder bei einem Rendezvous in Salzburg — bei einem Rendezvous in Oesterreich.

auszuhoren war, so groß una nacnnamg gewesen, dafj man ruhig sagen kann, Oesterreich hielt in diesen Wochen in das Bewußtsein der Staatsbürger dieser Staaten erneut Einzug. Die Erinnerungen und Nostalgien, die weit hinunter in die kleinbürgerlichen Schichten wirkten und aus dem Bewußtsein dieser Völker nie ganz getilgt werden konnten— sie waren mit dem Namen Oesterreich und Wien verknüpft —, erhielten nunmehr neue Nahrung. Als die vorbereitenden Instanzen von Wien aus die Einladungen zur Burgtheater- und Operneröffnung in alle Welt, auch an die Radiostationen, Zeitungen und Theaterdirektionen des östlichen Europa verschickten, ahnten sie vielleicht gar nicht, daß dieser kluge Schritt eine Kettenreaktion auslösen wird, deren Kontrolle allen aus der Hand gleiten muß, die bei ihr mitwirken. Ein Berichterstatter setzt sich in seinem Blatt mit dem Phänomen auseinander, daß Oesterreich „Stützpunkte“ in Form von' Theatergebäuden errichtet. Er fragt sich in seinem sieben lange Spalten umfassenden Bericht, ob nicht jene österreichischen Kritiker, die insbesondere den „Ottokar“ so scharf kritisiert haben, unrecht hätten. Er nimmi Grillparzer und das Burgtheater vor ihnen in Schutz, aber er gesteht dann ein, daß ihm die bärbeißige Offenherzigkeif der Kritiker Respekt eingeflößt hat. Auch dies gehöre nun einmal zur Atmosphäre Wiens. Das Blatt, in dem das alles stand, ist das kommunistische Zentralorgan Ungarns, „Szapad Nep“, hat eine tägliche Autlage von einer halben Million Exemplaren, es ist die tägliche Püichtlektüre von vielleicht ebenso vielen Menschen. Sie haben, wenn sonst nichts, diesen Artikel bestimmt gelesen. Wie viele mochten es gewesen sein, die in Budapest und Prag, in Warschau und Bukarest dem Wiener „Fidelio“, bei ihren Radioapparaten sitzend, gelauscht haben? All das hat selbstverständlich noch mehrere Aspekte. Niemand soll denken, daß tiefgehende Gegensätze, die da „offizielle“ Denken bis in die kleinsten Verästelungen der Logik, bis in die Interpretation der am harmlosesten scheinenden Wörter in jenen Staaten bewußt fördert, durch noch so schöne Opernärien, durch noch so tiefsinnige Dichferworte über Freiheit und Menschlichkeit plötzlich aus der Welt geschafft weiden können. Das „Herz aller Dinge“ dort, die Wirtschaft, hält nach wie vor eisern äh den Thesen der kommunistischen Orthodoxie fest, wie dies die Reden im ungarischen Parlament in der letzten Woche, wobei es um den neuen Plan und auch um d'e Grundsätze einer noch mehr wie bisher strategischen Erwägungen unterworfenen Außenhandelspolitik ging, schlagend bewiesen haben.

NACH GENF III: Genf I, die Südostasienkonferenz 1954, brachte den Vergleich zwischen Ost und West über Indochina. Genf II, im Juli dieses Jahres, brachte als erstes Treffen der Staatschefs der USA, der UdSSR, Englands und Frankreichs nach 1945, die Vietberufene und vielgescholtene Entspannung des kalten Krieges. Genf III, die gescheiterte Aussprache der vier Außenminister im .November 1955, was bringt es der Welt? — Die Geschäftemacher des kalten Krieges und ihre Demagogen frohlocken: nun sei der „Geist von Genf“ erledigt, tot, begraben; die Sowjets hätten eben wieder um 189 Grad umgeschwenkt, Genf III sei nichts als eine Fassade gewesen , ..

— Eine nüchterne westdeutsche Stimme hält demgegenüber fest: in der wichtigsten Streitfrage Hn Gent III hat Moiotow nichts anderes gesagt als bereits Bulganin in Genf II, als er sich gegen eine „mechanische Verschmelzung der beiden Deutschland wandte und die Art der Westmächte, diese zu behandeln, als „unrealistisch“ angritt. Moiotow hat, in seinem Stil, sachlich, aber durchaus konform mit Genf II, geradlinig die Sowjetpolitik fortgesetzt: kein Zugeständnis zugunsten einer deutschen Einheit, wenn, wie es die Westmächte, vor allem die USA, wollen, Gesamtdeutschland der Nato beitreten soll. Das an sich weitgehende Angebot der USA, eine Garantie zu übernehmen gegen einen Angriff auf die Sowjetunion, konnte nicht das Interesse der Sowjets erwecken, da diesen die Realität eines im Schöße der Nato vereinigten Deutschland als gefährlichste Möglichkeit vor Augen stand. Unverwandt blickten sie in Genf III auf diese Perspektive und widerholten das, was sie in den letzten Jahren immer wieder gesagt haften: ein militärisch dem Westen alliiertes Gesamtdeutschland ist für sie inakzeptabel.

— Wie werden nun die Dinge weiferlaufen? — An eine Rückkehr zu den wilden Formen des kalten Krieges denken weder die Amerikaner noch die Sowjets. Beide sind, grundsätzlich, an einer weltpolitischen Entspannung interessiert. Beide wissen sich durch viele konkrete Gegensätze — in Nahost, Fernosf, Asien, Afrika, Südamerika und Europa — ebenso getrennt wie verbunden. Bleibt, für beide, die Autgabe, sich nun primär anderen Themen zuzuwenden. Damit wird die Situation für die deutsche Bundesrepublik wieder ernst: niemand kann ihr die Last Und Chance abnehmen, in zähem, geduldigem Ringen mit den Sowjets die Interessen Gesamtdeutschlands und ihre eigenen in den nunmehr in Bälde anlaufenden Verhandlungen zu vertreten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung