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Neubewertung II

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Ich habe in meiner letzten Glosse die Neubewertung, die die Ereignisse im Osten erfor- derlich machen, an Beispielen demonstriert. Doch auch in der freien Welt und auch in unse- rem lieben Österreich gibt es Anlässe, um historische Urtei- le und Vorurteile zu korrigie- ren. Ein solcher Anlaß ergab sich am Montag dieser Woche, als der ehemalige Gewerk- schaftsbundpräsident und In- nenminister Franz Olah aus den Händen des Wiener Bür- germeisters Helmut Zilk im Wiener Rathaus die hohe Aus- zeichnung des Großen Golde- nen Ehrenzeichens der Stadt Wien erhielt.

Damit ist ein Mann nun auch offiziell rehabilitiert, der lange Zeit als Unperson galt und nicht nur aus seiner Partei ausgestoßen, sondern auch dem Gericht, dem andere sich so erfolgreich entziehen, überant- wortet wurde. Olah hat gegen seine Widersacher, wie Broda, Waldbrunner, Pittermann und Czernetz, nicht nur deshalb Recht behalten, weil er sie, die ihn in den politischen Tod ge- trieben haben, physisch über- lebt hat, sondern weil sich herausgestellt hat, daß dieser Mann trotz aller Fehlet und Schwächen, die ihm eigen sind und für die er mehr als genug gebüßt hat, die Schar seiner Gegner an historischem For- mat überragt und in den Schat- ten stellt.

Wenn es auch dahingestellt bleiben mag, ob es ein Glück gewesen wäre, wenn Olah Parteiobmann und Bundes- kanzler geworden wäre, so besteht doch kein Zweifel dar- an, daß er sich gerade in der Stadt, in der er nunmehr ge- ehrt wurde, historische Ver- dienste erworben hat, nicht zuletzt durch seine mutige Haltung als Führer der Ge- werkschaft der Bau-und Holz- arbeiter im Oktober 1950, ein Kampf, der von jüngeren und linkslastigen Historikern zu einem bloßen Lohn- und Preis- kampf heruntergespielt wird, der aber in Wahrheit ein Schicksalskampf um die Frei- heit Österreichs war.

Olah war aber auch einer der ersten, der die Versöhnung zwischen katholischer Kirche und Sozialdemokratie herbei- geführt und durch sein persön- liches Beispiel als praktizie- render Katholik glaubwürdig gemacht hat. Bruno Kreisky, der im übrigen ohne den Ein- satz Olahs für ihn nie so weit gekommen wäre, ist nicht nur in dieser Beziehung in Olahs Fußstapfen getreten und hat damit gleich seinem Vorläufer und Mentor eine historische Funktion erfüllt.

Franz Olah ist jedenfalls ein Beispiel dafür, daß manche historische Figuren auch in ihrem Scheitern die vorder- gründig Erfolgreicheren be- schämen und überflügeln, daß Erfolg und Mißerfolg Perspek- tiven sind, die sich mit dem Zeitablauf verschieben und relativieren.

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