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Nicht die Kontinuität, die Erneuerung fehlt

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Seit Jahren wird über eine Verlängerung der Legislaturperiode des Nationalrates diskutiert. Man erwartet sich davon, daß Politik nicht so sehr von Wahlkämpfen geprägt ist. Ein gutes Argument?

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Seit Jahren wird über eine Verlängerung der Legislaturperiode des Nationalrates diskutiert. Man erwartet sich davon, daß Politik nicht so sehr von Wahlkämpfen geprägt ist. Ein gutes Argument?

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Artikel 27, Absat…undesverfassungsgesetz bestimmt: „Die Gesetzgebungsperiode des Nationalrates dauert vier Jahre, vom Tag seines ersten Zusammentrittes an gerechnet, jedenfalls aber bis zu dem Tag, an dem der neue Nationalrat Zusammentritt.”

Soll diese seit 1920 unverändert geltende Bestimmung geändert werden?

Führende Vertreter beider Großparteien wollen die Legislaturperiode, die mit der Wahlperiode identisch ist, auf fünf Jahre erstrecken. Damit wäre die Gesetzgebungsperiode des Bundes so lang wie die fast aller Länder,

ohne daß aber die Wahlen auf beiden Ebenen zeitlich zusammenfielen.

Die Forderung nach Verlängerung wird u. a. damit begründet, daß das Regieren dann weniger von Wahlkämpfen belastet sei und an längerfristigen Zielen orientiert werden könne.

Der Konsens von Repräsentanten der SPÖ und der OVP im Hinblick auf die Verlängerung ist bemerkenswert, war doch die Länge der Gesetzgebungsperiode einer der vielen Streitpunkte bei der Verfassungswerdung 1920.

Zur Erinnerung: Damals plä dierten die Vertreter der Sozialdemokratie noch für eine kurze Gesetzgebungsperiode, nämlich für zwei Jahre, damit das Parlament besser im Einklang mit den im Volk herrschenden politischen Stimmungen und Verhältnissen sei.

Die Vertreter der Christlichsozialen waren für eine fünf- oder sogar sechsjährige Period…ie im Abgeordnetenhaus des altösterreichischen Reichsrates —, um die Bevölkerung nicht zu häufig den Aufregungen der Wahlen auszusetzen und eine Regierung der Stetigkeit zu ermöglichen.

Am 21. August 1920 wurde in der 8. Sitzung des Unterausschusses des Verfassungsausschusses u. a. die Dauer der Gesetzgebungsperiode verhandelt.

Der Vorsitzende Otto Bauer bemerkte, daß seine Partei kurze Legislaturperioden für ein unbedingtes Erfordernis der Demokratie halte. Ein Parlament, das vor fünf Jahren gewählt worden sei, könne nicht mehr ein Spiegelbild der politischen Anschauungen der Bevölkerung genannt werden. Neuwahlen in kurzen Zeitabständen gäben dem Volkswillen deutlicher Ausdruck als Volksabstimmungen und seien geeignet, den Gedanken der Demokratie zu stärken, dessen Gegner das Sowjetsystem verteidig ten, demzufolge jederzeitige Abberufung des Volksvertreters durch seine Wähler möglich ist.

Die häufige Wiederholung der Wahl sei auch geeignet, die Leidenschaftlichkeit des Wahlkampfes vorteilhaft zu verringern. Bauer stellte in Ausgleichung des Antrages Leutner auf eine zweijährige und des Antrages Fink auf eine fünfjährige Legislaturperiode einen Vermittlungsantrag auf drei Jahre.

Der Unterausschuß einigte sich schließlich auf vier Jahre. Dieser Kompromiß zwischen den sozialdemokratischen Forderungen und jenen der christlichsozialen Partei erwies sich als tragfähig und hat sich bewährt.

Im großen und ganzen gelingt es, durch die Wahlen eine Übereinstimmung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten herbeizuführen und keine allzu große Kluft zwischen ihnen entstehen zu lassen.

Das Argument, man könne bei fünfjähriger Periode besser regieren, schlägt bei unserer Art von Politik, die Kampf um die Stimmung und Stimmen in Permanenz ist, nicht durch. Das langfristige Denken wird erfahrungsgemäß auch dort zu wenig gepflogen, wo längere Legislaturperioden bestehen. Kurze Perioden hindern das langfristige Denken nicht.

Was aber die Demokratie so auszeichnet, nämlich der friedliche Wechsel und Wandel, die Erneuerung, wäre bei einer längeren Wahlperiode noch weniger gewährleistet als dies jetzt der Fall ist. Die personelle und funktioneile „Kontinuität” der politischen Bereiche ist ohnedies zu mächtig.

Wechsel und Wandel

Es ist kein Zufall, daß von den vielen Anliegen der Demokratiereform die Beschränkung der Wiederwählbarkeit und die Unvereinbarkeit mehrerer Funktionen auf der Strecke geblieben sind. Diese Fragen sollten wieder aufgenommen werden. Die Ge- setzgebungs- und Wahlperiode kann ruhig so bleiben, wie sie ist. Uns fehlt nicht die Kontinuität, sondern die Erneuerung.

Der Autor ist Professor für Rechtslehre an der Universität für Bodenkultur und OVP- Landtagsabgeordneter und Gemeinderat in Wien.

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