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Ohne Höllenfahrt?

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Für Leute, die gerne vergleichen, für Opern-Fans oder gar Mozart-Kenner, denen jede Partitur vertraut ist, sind aufregende Zeiten angebrochen — in Berlin zumindest. Gibt es doch gleich zu Saisonbeginn in der geteilten, doch an der Zonengrenze mit offiziellen Durchgängen ausgestatteten Viermillionenstadt zwei „Don-Giovanni“-Neuinszenierungen zu bestaunen, zu bewundern — zu „kontrollieren“ ...

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Für Leute, die gerne vergleichen, für Opern-Fans oder gar Mozart-Kenner, denen jede Partitur vertraut ist, sind aufregende Zeiten angebrochen — in Berlin zumindest. Gibt es doch gleich zu Saisonbeginn in der geteilten, doch an der Zonengrenze mit offiziellen Durchgängen ausgestatteten Viermillionenstadt zwei „Don-Giovanni“-Neuinszenierungen zu bestaunen, zu bewundern — zu „kontrollieren“ ...

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Ich habe als erste die Aufführung in der Ost-Berliner Staatsoper „Unter den Linden“ gesehen, die von einem ausverkauften Haus mit unermüdlicher Begeisterungsfähigkeit aufgenommen wurde. Daß Theo Adam, der hinreißende Sänger und Darsteller des Titelparts, an diesem Abend auch noch das Jubiläum seiner 20jährigen Zugehörigkeit zum Haus beging, ließ die Begeisterung für den sympathischen und attraktiven Künstler beinah zur Frenesie anwachsen.

Adams reife Gestaltungskraft, sein intensives Temperament, ließen dies durchaus verständlich erscheinen. Er war als Mittelpunkt des Geschehens selbst dann noch präsent, wenn er nicht mehr auf der Bühne weilte. Befremden mochte an diesem Don Giovanni die Tatsache, daß ihm die obligate Höllenfahrt verweigert wurde — der Regisseur (Heinz Arnold) hatte den Schluß ganz einfach nicht inszeniert, offenbar nach dem Motto: „Besser gar keine Lösung als eine, die lächerlich wirkt...“

Im übrigen war's eine szenisch und musikalisch unanfechtbare Aufführung von gediegener Qualität im Orchestralen — Heinz Rogner dirigierte — und überzeugender Solisten-Regie. Zu Recht rückte der Leporello aus der traditionellen Spaßmachernähe Papagenos weit weg und siedelte sich im Schatten seines Herrn als mürrischer, des „Sklavendaseins“ überdrüssiger Revoluzzer an. — Halt auch an Mozarts durchaus des grollenden Tones nicht entbehrender Musik findend. Und Peter Glesch, der Bauer Masetto, handelt ähnlich angesichts der Bemühungen Don Giovannis, sich an der Braut des Burschen gütlich zu tun... Beide, Leporello (Siegfried Vogel) und Masetto, können sich hören und sehen lassen.

Dies gilt auch für die hoheitsvolle Donna Anna von Celestina Casa-pietra mit ihrem hell aufglänzenden Sopran, der trefflich zu ihrer Lichterscheinung paßt, und deren Bräutigam Peter Schreier; seinem Namen zum Trotz füllt er die ganze Szene mit dem betörenden Wohllaut seines leuchtenden Tenors, in dem sich — siehe „Entführung“ — ein liebevolles Herz aussingt.

Seit Ende September geht die gleiche Oper in der West-Berliner „Deutschen Oper“ als Neuinszenierung über die Bretter: selbstverständlich italienisch gesungen, mit Lortn. Maazel als überschäumend temperamentvoll turnendem Dirigenten und Rudolf Noelte als Inszenator. Jürgen Rose hatte Bild und Kostüm entworfen, Walter Hagen-Groll die

Chöre vorzüglich einstudiert. Und nun?

Und nun auf keinen Fall eine wertende Vergleichskritik (die nur ungerecht sein könnte), sondern einige Tatsachen. Die Deutsche Oper Berlin hat keinen faszinierenden Don Giovanni aufzubieten — Ruggiero Rai-mondi ist ein solcher Bursche ohne eine Spur von verführerischer Ausstrahlung. Er besteht seine Abenteuer als gute Pflichtübungen. In der Kür versagt er. Daß er nicht dazukommt, den Komtur zu ermorden, ist seine Schuld nicht — da hat ihm der Spielleiter hineingepfuscht. Rudolf Noelte veränderte das Libretto und ließ den alten Mann ohne Dolch- oder Degenstoß aus purem Zufall sterben.

Sich an Mozart zu orientieren, scheint allerdings überhaupt nicht Sache großer Regisseure zu sein — und ein solcher ist Rudolf Noelte ohne Zweifel. Daß er den Komtur an plötzlicher Übelkeit oder einem Herzversagen sterben läßt, mag durch die Peinlichkeit, die der Fechtszene zuvor zumeist anhaftet, erklärt werden. Indes hat Mozart mit der Ermordung des Alten auch den Charakter und die Skrupellosig-keit Don Giovannis gleich zum Beginn der Tragödie ins Spiel gebracht, eine Vorbereitung und psychologische Fixierung von eminenter Bedeutung, die über die Mantel- und Degen-Komödienliteratur weit hinausgreift bis in den Bereich der Psychologie.

Von all dem ist in Noeltes selbstherrlichem Konzept nicht die Spur. Fehlt nur noch, daß der Komtur aus Abscheu gegen solche Mozart^ru-. strierung Selbstmord verübt!?'.'.“' Natürlich nMe¥'soldn extr^ifi!^* Regie den Beifall vieler Berliner Kritiker, die es gerne mit der „Linken“ halten, solange sie im goldenen West-Berlin sitzen. Doch alles modische Hochloben konnte die Premierenbesucher nicht täuschen; sie blieben „helle“ und bedachten Noelte mit einem heftigen „Büh“-Regen. Ein Teilchen davon hatte sich auch Lorin Maazel verdient, der sich viele dynamische und agogische Bocksprünge gestattete.

Von den Solisten entsprachen internationalem Standard nur die Damen Janowitz (Anna) und Lorengar (Elvira). Der rauhkehlige Don Giovanni (Ruggiero Raimondi), der winzige Tenor Luigi Alva als Don Ottavio, die Sciutti als poetische Zerlina, Jose van Dam (Leporello) und Manfred Röhrl (Masetto) bewegten sich in der Ausstattung von Jürgen Rose, wie Noelte es befahl.

Der Beifall kannte Grenzen.

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