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Der Liebe Leid und Lustigkeit

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Auf der Tristan-Premiere der Wiener Staatsoper am vergangenen Sonntag lastete eine doppelte Hypothek: Die letzte Neuinszenierung fand hier während der Wiener Juni-Festwochen 1959 statt, wurde von Karajan geleitet und war von Emil Preetorius mit Bühnenbildern ausgestattet, die zum Besten und Eindruckvollsten gehörten, das wir von der Hand dieses Künstlers seit 1945 gesehen haben. Die zweite Hypothek heißt „Wieland Wagner“. Sein Schatten, riesengroß, fällt auf jede neue Wagner-Inszenierung, die an seinem Modell gemessen wird. — Man muß, das sei vorweggenommen, dem Münchner Regisseur und Intendanten August Everding, und seinem Bühnenbildner Günther. Schneider-Siemssen konzedieren, daß sie einen „dritten Weg“ gefunden haben und der Wiener Staatsoper einen neuen „Tristan“ geschenkt haben, der sich sehen und hören lassen kann.

Everding, der für die Musikbühne bisher nur eine Kinderoper und „La Traviata“ in München inszeniert hat, ging an seine Aufgabe mit der merkbaren Unbefangenheit des Schauspielregisseurs, aber keineswegs als musikalischer Laie und unvorbereitet heran. Everding ist passionierter Musikliebhaber und hat seinen Wagner, speziell natürlich den ,,Tristan“, von den Quellen an und von Richard bis Wieland mit Fleiß studiert. Dabei machte er die Entdek-kung, daß „Tristan“ eigentlich zwei Schichten hat: eine reale Handlung und Umwelt — und eine mystischekstatische Komponente, das Liebesmysterium. Diese verschiedenen Sphären werden in Everdings Inszenierung auch äußerlich scharf, zuweilen zu scharf voneinander unterschieden, ja getrennt.

Im ersten Akt geht das so vor sich: Wir sehen zunächst ein mächtiges Schiff mit dekorativ gerafften Segeln, den linken Hintergrund begrenzt ein grau bewölkter Himmel, davor eine große weiße, von einem heftigen Wind bewegte Flagge. Auf dem großen Segel sieht man, sobald sie singen oder in Aktion treten, die dunkeln Silhouetten der Seeleute. Diese ganze Szenerie versinkt, sobald die Liebenden die Schale mit dem verhängnisvollen Trank an die Lippen gesetzt haben. Dieser wirkt wie ein coup de foudre: Tristan hat . gerade noch Zeit, die Schale hinter sich zu werfen, dann stürzen sich die beiden in die Arme, und ein irreales traumhaftes Blau beherrscht die Szene. Bei der Landung tritt natürlich wieder das reale Bild hervor. Mit einem solchen,

nämlich einem stilisierten Wald, beginnt der zweite Akt. Auch seine Szenerie wandelt sich bald ins Irreal-Phantastische: auf einem ständig wechselnden Hintergrund erscheinen bläulich schimmernde Eisblumen und phantastische Riesenpflanzen, wie man sie in Urwäldern öder am Meeresgrund antrifft. Uberhaupt haben manche Bilder submarinen Charakter, so auch der Schlußteil äes dritten Aktes, der einen weiträumigen Burghof mit mächtigem halbkreisförmigen Ausschnitt (von orne oben nach unten rückwärts) zeigt, dessen Beleuchtung von Minute zu Minute changiert.

Die Bühne spiegelt also die Gefühle und Emotionen der Hauptdarsteller. Zuweilen geschieht dies allzu plötzlich und ohne jene fließenden Ubergänge, welche, so meinen wir, die Musik suggerieren müßte. Dagegen versteht es Everding, sämtliche Haupt- und Nebenpersonen von der ersten bis zur letzten Szene ruhig, sicher und im Geiste der Musik, ja ihrer einzelnen Phasen und Takte zu führen. Lediglich daß am Schluß Isolde von einem Podest bis etwa zur halben Bühnenhöhe emporgetragen wird, was wie eine Apotheose wirkt, scheint uns wenig geglückt, weil allzu deutlich „symbolistisch“.

Birgit Nilsson, gegenwärtig wohl die beste Sängerin dieser Rolle, hat

zu ihrem (bekannten) strahlenden Forte-Register ein neues, das lyrisch ausdrucksvolle und weiche hinzugewonnen. Jess Thomas spielt einen sehr modernen, nervösen, intellektuellen Tristan und bleibt der Partie bis zum Ende des dritten Akts nichts schuldig. Der mächtige Finne Martti Talvela ist vielleicht ein etwas zu „pastoraler“ Marke, Ruth Hesse, profiliert als Darstellerin und Sängerin der Brangäne, schien zuweilen etwas ermüdet. In den übrigen Partien — Otto Wiener als Kurwenal. Reid Hunger als Melot und Peter Klein als Hirt — wurde der Standard einer festlichen Aufführung bekräftigt. Dr. Karl Böhm, der seinen ersten Tristan 1924 in Graz und seinen zweiten im Prinzregenten-Theater während der Münchner Festspiele 1925 dirigierte, gelang die seltene Synthese von Gelöstheit und Intensität. Die Wiener Philharmoniker musizierten mit einer Klangschönheit, wie sie auch bei diesem auf Verdi, Wagner und Strauss spezialisierten Orchester überrascht. Schon nach den beiden ersten Akten war der eindeutige, durch keinerlei Demonstrationen gestörte Erfolg der Aufführung sicher, am Schluß dauerte der Beifall für alle Beteiligten eine gute Viertelstunde.

★

Obwohl die Schenke von Nagy-Abony, wo der alte Träumer und Aufschneider Hary Jänos die phantasievoll erfundenen Abenteuer seiner Jugend erzählt, nicht allzuweit von Wien entfernt ist, hat es doch mehr als 40 Jahre gedauert, bis das abendfüllende Singspiel „Hary Jänos“ seinen Weg nach Wien, und zwar an die Volksoper, gefunden hat. Das Todesjahr von Zoltan Kodäly, der in diesen Tagen seinen 85. Geburtstag hätte begehen können, mag der äußere Anlaß zur Einstudierung dieses liebenswürdigen und originellen Werkes gewesen sein. Aber es hätte dieses Terminimpulses kaum bedurft...

Das Bühnenwerk von Paulini und Harsäny, zu dem Kodäly eine seiner interessantesten und farbigsten Partituren schrieb, geht auf eine Ballade des ungarischen Romantikers Jänos Gärav (1812—lf$8\ zurück. Vor mehr als 100 Jahren hatte schon Franz Erkel eine Häry-Jänos-Oper geschrieben, die jedoch von dem neueren Werk verdrängt wurde. Aber eigentümlich: Obwohl es sich bei Kodälys „Hary Jänos“ gewissermaßen um ein doppeltes Nationaldenkmal handelt (der Held des Stückes und sein Komponist können als ein solches bezeichnet werden),

war dem Stück nie ein durchschlagender Erfolg beschieden. Trotzdem steht es in Budapest und in einigen anderen Städten immer wieder auf dem Spielplan.

In Wien hätte man es retten und damit dem immer mehr schrumpfenden Spielplan ein neues Werk gewinnen können: durch Reduktion auf knapp zwei Stunden Spieldauer. Der Abend in der Volksoper war um genau 30 Minuten zu lang. Doch davon abgesehen war's eine erfreuliche und interessante Begegnung.

Kodälys Musik ist durch die häufig gespielte Orchestersuite bekannt geworden. Doch gibt es da noch einige schöne Lieder, Duette und Chöre, die wir nicht kannten. Erstaunlich, wie stark diese originelle, von der Folklore inspirierte Partitur von der „Tristan-Harmonik beeinflußt ist. Während des Vorspiels glaubt man, man säße im falschen Haus. Diese impressionistisch getönte und stets inspirierte Musik wurde von Carl Melles und dem Volksopernorchester mustergültig wiedergegeben, ebenso die Chöre, die zum Schönsten gehören, was Kodäly geschrieben hat.

Die Handlung, von einem Vor- und einem Nachspiel in der Schenke von Nagy-Abony flankiert, ist in vier Abenteuer gegliedert, die Hary Jänos zum besten gibt und in deren Mittelpunkt natürlich immer er

selbst steht: Hary als Wächter an der ungarisch-russischen Grenze, wo in einer Kutsche die Kaiserin Marie-Luise, die Gemahlin Napoleons, samt ihrem Kammerherrn eintrifft. Sie nimmt Hary als Leibgardisten nach Wien mit, seine Braut Ilka begleitet ihn. Das 2. und das 3. Abenteuer spielen in der Wiener Hofburg, die wie ein Bauernhof aus Gold aussieht und wo die eifersüchtige Ilka ihrem Hary eine Szene macht und ihn schließlich nach Nagy-Abony bringt. Dazwischen (3. Abenteuer) besiegt Hary Jänos auf dem Schlachtfeld vor Mailand Napoleon, von dem sich Marie-Luise scheiden läßt.

Diese Schauplätze hat der Münchener Bühnenbilder Jürgen Rose mit viel Phantasie, Gold und heiterer Laune ausgestattet. Trotz der gewagten Buntheit stimmen die Farben harmonisch zusammen. Hofburg und Kaiserhof, wo nicht nur Kaiser und Kaiserin, sondern auch die Giebel und Bäume, die Wappen- und die Haustiere Krönlein tragen, gehören zum Anmutig-Verspieltesten, was man seit langem auf einer Wiener Bühne gesehen hat, desgleichen die Uniformen und Trachten. Die Regiearbeit Wolfgang Glücks und die Bearbeitung Jörg Mauthes kön-

nen wir kaum beurteilen, da es uns an Vergleichsmöglichkeiten fehlt.

Harald Serafin ist ein überaus stattlicher, auch stimmlich gut ausgerüsteter Hary Jänos. Mirjana Irosch (Ilka) und Dorit Hanak (Marie-Luise), die eine schwarz, die andere blond, sind in jeder Hinsicht gleichwertige Konkurrentinnen; Egon Jordan gibt einen gutmütigen, ein wenig tatterigen Kaiser Franz, Hilde Konetzni eine mütterlich-behäbige Kaiserin von immer noch bedeutendem Stimmvolumen, Herbert Prikopa einen verängstigten Napoleon und Rudolf Carl einen stur-sympathischen russischen Wachposten. Am Ballett, das mehrere größere Nummern zu absolvieren hat, haben uns die Kostüme besser gefallen als die Choreographie von Imre Eck (mit Ausnahme eines Pas de deux vor dem Vorhang).

Nicht nur das Märchenhafte der Handlung und das Liliputformat der Bauten und Requisiten brachte uns wiederholt auf den Gedanken, wie gut sich Kinder bei diesem Stück amüsieren würden. Aber das ist wohl kein Nachteil, zumal es auch den Erwachsenen gefallen hat.

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