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Richard Wagner und das Hofoperntheater

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Richard Wagners persönliche und künstlerische Beziehungen zu Wien reichen vom ersten Besuch des 19jähri-gen in der Kaiserstadt bis zur Bayreuther „Parsifal“-Aufführung in der berühmten Wiener Besetzung, ein Jahr vor des Meisters Tod. In Begleitung des polnischen Grafen Tyszkiewicz war der junge Musiker, in dessen Gepäck sich die Partituren dreier aufgeführter Ouvertüren und einer Symphonie befanden, bis Brünn gekommen und reiste allein nach Wien weiter. Während eines Aufenthalts von etwa vier Wochen besuchte er Theater-und Opernvorstellungen, hörte Johann Strauß musizieren und — machte Schulden. Der Eindruck, den er empfing, war überaus zwiespältig und charakteristisch. Der junge Wagner war entzückt von dem heiteren Treiben der Bewohner, „ihre leichtsinnige und nicht sehr unterscheidende Genußsucht galten mir für natürliche und offene Empfänglichkeit für das Schöne“, aber er wurde — trotz einer guten Aufführung von Glucks „Iphigenie auf Tauris“ — enttäuscht von dem musikalischen Geschmack der breiten Massen. „Was ich in dieser sonst so gepriesenen Musikstadt hörte und sah, hat mich wenig erbaut, wohin ich kam, hörte ich ,Zampa' und Straußsche Potpourris über ,Zampa'. Beides — und besonders damals — für mich ein Greuel.“ Er hasse diese Stadt Herolds und Donizettis. Aber haßte er sie wirklich? Fast während seines ganzen langen Lebens hat Wagner sich um die Gunst der Musikstadt Wien bemüht, besonders aber um das k. k. Hofoperntheater, so daß man fast von einer Haß-Liebe sprechen könnte. Ähnlich zwiespältig reagierte die Wiener öffentliche Meinung auf das Werk Wagners, und als die Beziehungen — in Ger Zeit, als Wagner einen aufreibenden Kampf um seinen „Tristan“ führte — ihren kritischen Höhepunkt erreichten, schrieb der Kapellmeister Esser an Schott: „Wagners .Tristan' lastet wie ein Alp auf meinem Herzen. Wir können mit ihm nicht leben und nicht sterben.“ (Brief vom 1. März 1862.)

Wagners Kampf und Sieg in Wien hat Max Morold ausführlich dargestellt. Im Vorwort seines Buches beklagt er, daß gerade die auf Wagner bezüglichen Dokumente der Hoftheaterbehörden zum geringsten Teil auffindbar seien. Weder in den uns zugänglichen Sammlungen von Briefen Richard Wagners noch in dem Verzeichnis von W. Altmann findet sich ein Hinweis auf eine Korrespondenz mit der Leitung des Hoftheaters. Diese Lücke ist nun, wenigstens zum Teil, durch einen unerwarteten Fund von neun wichtigen Wagner-Briefen geschlossen worden. Bei einer vom Leiter der Bundestheaterverwaltung, Ministerialrat Dr. H i 1 b e r t, angeordneten Sichtung des Archive wurde ein „Akt der Hohen Generalintendanz der k. k. Hoftheater“

Wagners Kampf und Sieg. Dargestellt in seinen Beziehungen zu Wien. 2 Bände. Amal-thea-Verlag, Zürich-Leipzig-Wien, 1930.

Richard Wagners Briefe nach Zeitfolge und Inhalt. Breitkopf und Härtel, Leipzig 1905. zutage gefördert, welcher dort seit dem Jahre 1884 ruhte und der außer den genannten Wagner-Briefen aus den Jahren 1875 und 1876 einige Telegramme und einen Brief Cosima Wagners enthält.

Nachdem im Jahre 1854 in Graz als erstes Werk Wagners in Österreich der „Tannhäuser“ gegeben worden war, folgte drei Jahre später das Wiener Thalia-Theater, das von Johann Hoffmann geleitet wurde mit der gleichen Oper. (Der von der Thaliastraße berührte Richard-Wagner-Platz erinnert an das denkwürdige Ereignis.) Am 28. Juni 1858 berichtet Wagner aus Zürich an seine Frau, daß er den Besuch des Wiener Kapellmeisters Esser empfangen habe, der von der Direktion der Hofoper zu ihm entsendet worden war, um die Aufführungsrechte des „Lohengrin“ für das Kärntnertor-Theater, das damalige Hoftheater, zu erwerben. Knapp zwei Monate später wurde „Lohengrin“ zum erstenmal in Wien aufgeführt. Da wegen des kleinen Raumes Tantiemen nicht berechnet werden konnten, erhielt Wagner für die ersten zwanzig Vorstellungen 1000 Gulden und sollte danach weitere 500 Gulden empfangen. In ähnlicher Weise wurde unter der Direktion Eckerts auch die übrigen „romantischen“ Opern Wagners für das Hoftheater erworben. — Die Geschichte dieser Aufführungen kann hier im einzelnen nicht nacherzählt werden. Wir nähern uns mit raschen Schritten jenem Zeitpunkt, auf den sich die neuaufgefundenen Wagner-Briefe beziehen.

Am 25. Mai 1869 wurde das neue Haus am Opernring eröffnet, 1870 zogen dort „Tannhäuser“ und „Lohengrin“, im folgenden Jahre auch der „Fliegende Holländer“ ein. In dem ersten Brief vom

27. Mai 1875 wendet sich Wagner an den Direktor Franz Jauner mit der Bitte um Nachzahlung einer Entschädigungssumme für die nach seiner Auffassung erlittenen Einbußen seit der Zeit der Aufführung seiner Werke im neuen, großen Opernhaus. Wagner war nämlich aufgefordert worden, den „Tannhäuser“ neu zu inszenieren. Hiefür bot man ihm eine Honorierung an, welche er aber ablehnte, da sein Ehrengehalt von seifen des Königs von Bayern jene ausschließe. Da Wagner befürchtet, daß die Hofoperndirektion, beziehungsweise deren vorgesetzte Behörde, eine „Entschädigungszahlung“ ablehnen werde, schlägt er als Rechtstitel dieser Nachzahlung eine „Anerkennung der bisher durch die Wirksamkeit meiner Opern dem Repertoire geleisteten Dienste“ vor. Diese Summe soll für alle sechs Opern, einschließlich des „Tristan“, zehntausend Gulden betragen. Uber die geplante Neuinszenierung und seine etwaige Beteiligung an dieser heißt es dann in einem (zweiten) Brief vom

28. Juni 1875:

„Wahrlich ist durch meine neueren Erfahrungen der Widerwille, mit unseren Operntheatern überhaupt mich je wieder zu befassen, bis zum heftigsten Grade gesteigert worden. Noch vor kurzem würde ich auch nicht im Entferntesten daran gedacht haben, gerade auch mit dem Wiener Hofoperntheater in irgend welche Verbindung zu treten, wovon mich schon einfach die Kenntnisnahme solcher Contrakte, wie sie seiner Zeit dort mit dem Sänger Beck1 abgeschlossen wurden, von Neuem abschreckte. Was mich nun hiergegen bestimmen konnte war einzig der ideale Eifer des Baron von Hofmann, sowie Ihr eigenes, von großer Sachkenntnis genährtes Feuer, lieber Herr Jauner. Die durch Sie Beide veranlaßten allgemeinen Bestimmungen, welche einzig dazu dienen sollen stets nur correkte und gute Aufführungen dem Publikum zu bieten, haben mich dafür gewonnen, Ihnen nach meinen, jetzt bereits so sehr ermüdeten Kräften behilflich zu sein. Nun aber auch, halten wir mit unerschütterlichem Ernst darauf, was wir uns vorgenommen: wollen wir Nichts, um des bloßen Anscheines wegen, erzwingen wozu wir nicht die vollen Kräfte besitzen! Wie oft sind einem Publikum schon .Muster' aufführungen vorgespiegelt worden, an welche die eigenen Veranstalter keinen Glauben haben konnten, und die deshalb auch spurlos vorüber gingen. Sage ich es aufrichtig: unter Ihrem ganzen Personale weiß ich keinen Einzigen, der mich zum Studium mit ihm reizte, außer etwa der Materna' und Scaria , welche ich mir desshalb auch fWr Bayreuth erkoren habe. Wie ich demnach meine Opern dort so besetzen soll, daß dem eigentlichen Zwecke meiner Intention entsprochen würde, kann ich noch gar nicht absehen; dennoch reitzt mich am Meisten der .Tann-

1 Johann Nepomuk Beck, berühmter Baritonist, 1853 bis 1885 an der Wiener Hofoper.

1 Baron Leopold Hofmann, als Sektionschef im Ministerium des Äußeren Leiter der Hoftheaterzensurstelle, seit 1876 Finanzminister und 1880 Generalintendant. Stand zu Wagner immer im besten Verhältnis.

Amalie Materna, 1845 bis 1918, berühmte Sängerin und erste Brünhilde der Bayreuther Festspiele von 1876.

4 Emil Scaria, 1838 bis 1886, der berühmte Bassist der Hofoper. häuser1, weil ich von ihm weiß, daß er in Wien auch nie nur erträglich gegeben wurde; im Jahre 1862 u. 6S schämte man sich, ihn vor mir aufzuführen und verblieb bei dieer weisen Scham auch in diesen letzten Jahren. Ich getraue mich nun, gerade diese Oper als ein ganz neues Werk mit dauerndem Erfolge bei Ihnen einzuführen, wenn Sie durch Ihre Maassregeln mit (mir?) dies ermöglichen. Hieführ fehlt Ihnen nichts, als ein ,Tannhäuser' und eine .Elisabeth'. Für diese kann ich nun Rath schaffen ...“

Wagner schlägt für die Hauptrollen den

Tenoristen Georg Unger, den späteren ersten Siegfried der Bayreuther Festspiele, und ein gewisses Fräulein Wecker-lin vor, welche er beide aus ihren Engagements zu lösen hofft. Dann heißt es weiter:

„Wünsche ich aber mit dem .Tannhäuser' anzufangen, so muß ich Sie bitten, dieses Werk als eine ganz neue Oper anzusehen. Der Venusberg, von dessen Decoration man mir sehr übles berichtet hat, müßte wohl neu hergestellt, wenigstens stark umgearbeitet werden; das Ballet könnte nur einem, in diese Aufgabe so eingeweihten Genie, wie hucile Grahn (in München pri-vatisirend) übergeben werden können; wenigstens müßte man sie als Mithilfe heranziehen ... Im Laufe des Winters noch ,Lohengrin' nach meinen Intentionen — folgen zu lassen, halte ich für möglich. — Den .fliegenden Holländer“ gedenke ich neu zu überarbeiten, und ihn dann Ihnen zuerst zuzuwenden. — Vor ,Tristan' warne ich Sie!! Jedenfalls geben Sie ihn nicht eher, als bis wir durch andere Aufführungen uns dafür vorbereitet haben. Uebrigens ist die Partitur durch Breitkopf & Härtel zu beziehen. — Sie werden sich über die Ausdehnung dieses Briefes verwundern? Ermessen Sie, welchen Ernst ich in diese Sätze setze: leicht kann es Ihnen zu groß sein! Jedoch hatte ich gerade jetzt noch die nöthige Zeit zu solchen Erörterungen , und mein Bedürfniss ist — Klarheit. Wie ich höre wird das Wiener Hof-Operntheater manchen anderen Experimenten offen gestellt sein, mit welchen ich mich nicht in Rivalität gebracht zu sehen wünschte: nichts könnte mir toller vorkommen, als mit Herrn Verdi in Nebenbuhlerschaft zu gerathen, zumal mir nicht wenigstens in jeder Hinsicht vollkommene Aufführungen zu Gebote stünden, wie sie jene Herrn mit sehr sicherem Instinkte zu garan-tiren wissen. Tragen Sie daher irgendwelche Bedenken gegen meine Auffassung und meine Vorschläge, so würde ich lieber sehen, Sie gäben es ganz mit mir auf; denn, was mich anzieht, ist der Gedanke, das Wiener Hofoperntheater zu einem wahrhaft mustergültigen zu machen, damit meine Werke dort irgendwie eine dauernde Stütze gewinnen. Soll dies nicht sein, so verlasse ich mich allein auf meine Bayreuther Unternehmung, und — begnüge mich mit deren Erfolge.“...

Im dritten Brief vom 8. Juli 1875 geht Wagner auf den Vorschlag der Hofoperndirektion ein, daß ihm die erbetene „Nachzahlung“ in Form einer „Aufenthaltsentschädigung“ gewährt werden solle, und teilt seine und seiner Familie Ankunft für den 1. November des gleichen Jahres mit.

Der vierte Brief vom 19. September 1875 befaßt sich mit der ihm vorgelegten Dekorationsskizze des Venusberges, welche Wagner mißfällt und an deren Stelle er eine Kopie des Münchener Bühnenbildes empfiehlt. Noch einmal warnt er vor einer voreiligen Übernahme des „Tristan“, dieses „exzentrischen Liebesgedichtes“, und macht eine Aufführung von einem dauernden Engagement des Sängerehepaares Heinrich und Therese Vogl6 sowie einer vorausgegangenen „correkten“ Aufführung seiner früheren Opern abhängig.

„Ich bin nach diesen Erörterungen nicht ohne Spannung darauf, welchen Weg Sie überhaupt für die Regeneration des Wiener Hofoperntheaters einzuschlagen gedenken. Fast fürchte ich, Sie gehen etwas zu schnell auf glänzende Effekte und namentlich auf Vielheit derselben aus; wogegen ich der Meinung bin, dass nur ein gründlich wiedererwecktes, oder neu erzeugtes, wahrhaftiges Gefallen des Publikums an durchgängig ausgezeichneten Aufführungen, auf die Dauer Gutes wirken und in jeder Hinsicht von Vortheil sein kann.“ ...

In dem kurzen (fünften) Brief,,der von Besetzungs- und Dekorationsschwierigkeiten handelt, betont Wagner nochmals: „Die Aufführungen in Wien interessieren mich einzig in der Voraussetzung, daß sie nicht eine Conze'ssion an das vorhandene Personale des Theaters, sondern mustergiltige Leistungen, namentlich als dramatische Producte sein sollen.“

• Wagner war damals mit der Vorbereitung der ersten Bayreuther Festspiele, die vom 13. bis 30. August 1876 stattfanden und drei Aufführungen des „Rings“ umfaßten, voll beschäftigt.

• Heinrich Vogl, 1845—1900, der erste Loge der Festspiele von 1876. Therese Vogl, geb. Thoma, 1845—1921, berühmte „Dramatische“, Isolde u. a.

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