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WIELAND WAGNERS WERK

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Bayreuth 1945: Kurz vor Beendigung des Krieges war Haus Wahnfried, wo Wieland Wagner am 5. Jänner 1917 geboren wurde, von einer Bombe getroffen worden. Das Festspielhaus wurde zwar nur leicht beschädigt, aber der Fundus geplündert. In den ersten Nachkriegsjahren stand das Haus auf dem Grünen Hügel den Amerikanern zur Verfügung, die hier für ihre Soldaten und Offiziere die Revue „Licht in Deinen Augen“ und „Madame Butterfly“' spielten. Doch bevor wir die Anfänge von Neu-Bayreuth schildern, müssen wir einen Blick zurück tun, um die schwierige Situation zu verstehen, in der man sich dort befand. Nach jahrelanger, mühseliger Vorarbeit hatten vom 13. bis 17. August 1876 die ersten Festspiele unter der Leitung Hans Richters, der den Ring dirigierte, stattgefunden. Nach Wagners Tod,

im Jahre 1883, war seine Witwe, Frau Cosima, die Tochter Liszts, die Herrin von Bayreuth, aber das öffentliche Interesse an dem Unternehmen schwand rapid, und im Jahre 1896 wurden für „Tristan“ insgesamt 18 Karten verkauft. 1908 trat Siegfried Wagner das Erbe an, doch es war eine glanzlose Zeit, zuviel war daran Museum, alte Kulissenwelt, vieux jeu und Weihrauch vor naturalistischem Dekor, nur noch für eingefleischte Wagnerianer attraktiv. 1930 kam dann Siegfrieds Witwe Winifred an die Macht, die sich mit den neuen politischen Machthabern alsbald verbündete. Die Sympathie beruhte auf Gegenseitigkeit und auf einem Mißverständnis, denn Wagners Mythenwelt ist imprägniert von pessimistischer Schopenhauerscher Philosophie und von christlichen Mitleids- und Erlösungsgedanken. Doch das störte oder merkte niemand: des Führers Lieblingsoper war nun einmal die treudeutschen „Meistersinger“. Trotz der heroischen Bemühungen von Furtwängler, Tietjen, Pree- torius und einigen anderen, gelang es nicht, Bayreuth aus der Politik herauszuhalten, und so kam es, daß die Wagner-Fest- spiele nach Kriegsende im höchsten Grade suspekt waren. Damals wurde Wieland Wagner 28, sein Bruder Wolfgang 26 Jahre alt, und schon im Frühjahr darauf begannen sie mit der Vorbereitung neuer, erneuerter Aufführungen.

Diese Jahre zu schildern wird für einen späteren Chronisten eine lohnende Aufgabe sein. — 1951 war es soweit: „Parsifal“, „Die Meistersinger“ und der „Ring“' wurden von Wieland Wagner neuinszeniert und damit ein neuer Wagner- Stil inauguriert. Auch jene, die nie in Neu-Bayreuth waren, kennen von Bildern, andere etwa durch den Besuch der Wiener Inszenierungen, Wieland Wagners neuen Stil. Er manifestiert sich zunächst im Abräumen der Bühne und der Vereinfachung der Kostüme. Es gab plötzlich keine Vollbärte und Bärenfelle, keine Hifthörner, Hütten, Höhlen, Eichen und andere altgermanische Antiquitäten mehr. Der Darstellungsstil war mehr statuarisch als dramatisch-bewegt. Über die Regieanweisungen Richard Wagners, die der Wagner-Enkel als „zeitbedingt“ kennzeichnete, setzte er sich großzügig hinweg, und man kann sich vorstellen, welche Reaktionen das alles bei den Altwagnerianern, den „Freunden Bayreuths“, auslöste. Zunächst war es ein Zweifrontenkrieg, den Wieland und sein Bruder Wolfgang au führen hatten: gegen die Ressentiments der Wagner-Gegner und gegen die der Wagner-Fanatiker, die das Neue und Ungewohnte ablehnten. Es gab keine Neutralen, nur Enthusiasten und Entsetzte, die die Demontage des Wagnerschen Gesamtkunstwerks beklagten.

Worin bestehen nun Wieland Wagners „Neuerungen“, sein Stil, sein Konzept — und sein Verdienst? Statt der naturalistischen Kulisse wählte Wieland Wagner einfache Formen: den Kreis, den Halbkreis, die Scheibe. Die meisten Prospekte wurden durch Lichtvorhänge und Projektionen ersetzt, überhaupt spielte die Lichtorgel eine dominierende Rolle. Immer aber waren seine Formen klar und eindeutig, meist war die Bühne hell, er scheute sich nicht, „Farbe zu bekennen“, im Unterschied zu anderen Regisseuren, die nach dem Grundsatz zu handeln scheinen: Im Dunkeln ist gut Munkeln und im Trüben leicht Fischen. Aber das waren letztlich Äußerlichkeiten. In jeder seiner Inszenierungen bemühte sich Wieland Wagner, zum Kern, zur Idee eines Kerkes oder einer Szene vorzudringen, oft in eigenwilliger, aber nie oberflächlicher oder gar sinnwidriger Interpretation. So standen auch seine optischen Symbole, zuweilen von bestürzender Eindringlichkeit, im Dienst seiner Erkenntnisse, die aus einer umfassenden tiefenpsychologischen und kulturhistorischen Bildung resultierten. Damit war er seiner Zeit verpflichtet und rührte gleichsam an einen Nervus rerom der Epoche. Denn die Verbindung von Mythos und Psychologie, die Wagner ein Leben lang beschäftigte, hat Wieland Wagner erneut vollzogen und überraschende, mit den Ergebnissen der Wissenschaft übereinstimmende Resultate zutage gefördert. (Es ist dies ein sehr „modernes“ Problem, dem, anläßlich der Arbeit an seiner Joseph-Tetralogie, auch der Briefwechsel zwischen Thomas Mann und dem ungarischen Mythenforscher Karl Kerenyi gewidmet ist.) Für Bayreuth hat Wieland Wagner dadurch ganz neue Schichten des Publikums gewonnen, besonders jüngere Intellektuelle. Aus Antiwagnerianem und Gegnern einer falschen Deutschtümelei wurden Bayreuthpilger, die hier — zu einer ho chromantis chen Musik — allermodernstes, antiromantisches Theater erlebten. — Das bezieht sich natürlich vor allem aufs Optische, zumal Wieland Wagner Elemente der modernen Malerei (von den Farbtupfen eines Signac oder Seurat bis zu Picassoidem und an Matisse- sche Glasfenster Erinnerndes) in seinen Dekorationen verwendete. Sogar Ornamente des Jugendstils hat Wieland Wagner, noch bevor die große Mode seine Rehabilitierung aufkam, einbezogen. (Wer den alten Bühnenbildern und Kostümen nachtrauert, der sehe sich, etwa in dem großen Buch „Oper der Welt“ von Kurt Pahlen, die Szenenbilder von Brückner an, der, zusammen mit Michael Echter, Makart und Joukowsky dem Geschmack Richard Wagners mehr entsprach, als seine jüngeren Zeitgenossen, die Impressionisten.)

In den ersten zehn Jahren war Wieland Wagners Bestreben vornehmlich auf Abstraktion und Vereinfachung gerichtet. Dem entsprachen auch die soldatischen Aufmärsche und die strenge Anordnung der Choristen und Statisten sowie die wuchtig hingestelilten archaischen Symbole. Auch bei der Führung der Hauptrollenträger herrschte das Statuarische vor, das aber — früher seltener, später häufiger — von leidenschaftlichen Aktionen abgelöst wiurde, wobei freilich immer nur das Notwendigste gestikuliert wurde, dies allerdings mit Leidenschaft.

Seine Vorliebe für die Kreisfläche und die symmetrische Anordnung auch intimerer Szenen bedeutet eine gewisse Gefahr: die der Monotonie und eines gewissen Manierismus der Kargheit. Aber Wieland Wagner erkannte auch dies und ließ seinen Sänger-Schauspielern, die er zuweilen mit modischer Eleganz kleidete, immer mehr freie Hand. Wie ein Wiener Freund des großen Regisseurs berichtet, hat ihn gerade dieses Problem in den letzten Jahren am meisten beschäftigt. Was manchen seiner Inszenierungen fehlte, war das menschliche Porträt, das „Gesicht“ einer Gestalt, das „Humane“ im weitesten Sinn. Hier eine Synthese zu finden (von Stilisierung und Individualisierung) war sein Streben

— aber das Resultat werden wir leider nicht mehr kennenlernen. Lockerungen waren in seinen letzten Inszenierungen, besonders im Bayreuther „Ring“ von 1965, wie Augenzeugen berichten, bereits deutlich zu bemerken. In diese Richtung weist auch die Tatsache, daß Wieland Wagner sich während der letzten Jahre seines Lebens immer mehr auch anderer, nicht Wagnerscher Opernwerke annahm. Glucks „Orpheus“ 1952 und „Fidelios“ 1953 in Stuttgart können nur als erste Versuche gewertet werden. Mit den Inszenierungen der letzten Jahre erprobte er sich in ganz neuer Art an „fremden“ Werken: da war die Berliner „Aida“ von 1961, ein „afrikanisches Mysterium“, wie er es bezeichnete, mit riesigen Totempfählen, etruskischen, aztekischen und zentralafrikanischen Bildölementen ausgestattet, ohne die immer ein wenig lächerlichen Aufmärsche und Bauchtänze der Sklavinnen zu der pseudoexotischen Musik Verdis: eine Inszenierung von erschreckender Dämonie und unwiderstehlicher Faszination. Es folgten „Salome“ und „Elektra“ in Stuttgart und Wien und zuletzt — angebliche Höhepunkte seiner Inszenierungen neuerer Werke — „Wozzeck“' und „Lulu“ von Alban Berg, über die wir aber nichts berichten können, da wir sie nicht gesehen haben.

Doch neben dem Maler sei der Musiker Wieland Wagner nicht vergessen. Er, der in früheren Jahren selbst als Dirigent am Pult stand, inszenierte stets aus dem Geist der Musik. Weder an den Texten noch an den Partituren Richard

Wagners hat er auch nur eine Zeile geändert. Und er verstand es, die größten Wagner-Dirigenten, von Knapperts- busch bis Böhm und Cluytens, für Bayreuth ziu verpflichten. Er scheute auch auf diesem Gebiet das Experiment nicht und vertraute den letzten „Parsifal“ von 1966 dem französischen Avantgardekomponisten Pierre Boulez an. Von Sängern, die er für seine Inszenierungen immer wieder engagierte, nennen wir niur Matha Mödl, Birgit Nilsson, Ramon Vinay und Astrid Varnay, Wolfgang Windgassen, Hans Hotter, Kerstin Meyer, Gustav Neidiinger und Hermann Uhde. Seine größte Entdeckung, so recht sein „Kind“ und sein Star, Wachs in ihres Schöpfers Hand, aber war die junge Anji Silja, die mit knapp 20 Jahren als Senta in Bayreuth debütierte und seither die bevorzugte Protagonistin Wieland Wagners war. Sie verkörpert genau jenen Typus, der seinen Regiekonzepten • entsprach: intelligent, modern, bühnenwirksam und faszinierend.

Es hat ziemlich lange gedauert, bis Wieland Wagner der Weg an die . Wiener Staatsoper freigegeben wurde: volle 14 Jahre nach.der ersten Aufführung in Neu-Bayreuth, am 6. Mai 1965, fand in der Wiener Staatsoper die „Lohengrin“- Premiere statt. Es war die erste Inszenierung, die man ihm anvertraut hatte. Die Gründe für dieses ungewöhnliche und auffallende Zögern sollen bei diesem Anlaß nicht untersucht werden. Im November des vergangenen Jahres folgte „Salome“ mit Anja Silja in der Titelpartie und im Dezember „Elektra“. Wahrscheinlich wäre Wieland Wagner gern früher nach Wien gekommen, denn er wußte sehr wohl, daß Wien einst in der Pflege der Werke seines Großvaters führend gewesen war und hat dies auch gelegentlich erwähnt.

Da wir von Wien und seiner Oper sprechen, sei eine persönliche Reminiszenz, die mit dem Großen Haus am Ring zusammenhängt, gestattet, zumal sie aus dem denkwürdigen Jahr 1950 stammt, als die letzten Vorbereitungen für die ersten Nachkriegs-Festspiele getroffen wurden: Auf Anordnung des damaligen Leiters der Buradestheaterverwaltung, Dr. Egon Hilbert, war eine Sichtung des Opernarchivs vorgenommen worden, und dabei kam ein Faszikel mit neun Originalbriefen Richard Wagners an Direktor Jauner aus den Jahren 1875 und 1876 zutage. Nachdem ich in monatelanger Forschungsarbeit festgestellt hatte, daß es sich dabei um bisher unveröffentlichte, überdies aber äußerst interessante Dokumente handelte, übergab mir Dr. Hilbert den kostbaren Fund zur Veröffentlichung, die gleichzeitig in der „Furche“ sowie in einer deutschen und in einer österreichischen Musikzeitschrift erfolgte. — Aber an eines hatten wir nicht gedacht: daß die Publikationsrechte auch noch nach 75 Jahren bei den Erben lagen. Ich übersandte dem Wagner- Archiv in Bayreuth Belegexemplare der Publikation und erhielt postwendend einen Brief, der auf die Tatsache des Copyrights nur ganz beiläufig aufmerksam machte, um die Photokopien der Briefe „als Gegengabe“ bat und mit den Worten schloß: „Ich bitte, diesen Brief, sehr geehrter Herr Doktor, so unkompliziert auf fassen zu wollen, wie wir hier in Bayreuth tatsächlich sind. Es freut uns auf jeden Fall, daß auch heute noch unbekannte Dokumente meines Großvaters durch eifrige Sammler und Forscher ausgegraben werden, und jedes Dokument ist ja dazu angetan, ein immer genaueres und besseres Bild von Leben und Arbeit Richard Wagners gewinnen zu lassen. Daß Sie dazu auch einiges beigetragen haben, verdient wahrlich unseren aufrichtigen Dank.“ — Keine Beschwerden also, kein Rechtsstreit und keine Honorarforderungen, sondern nur dies: die Freude über den Fund und der Dank.

Nun ist Wieland Wagner nicht mehr. In den frühen Morgenstunden des 17. Oktober ist er in einer Münchner Klinik gestorben. Der Verlust für Bayreuth, für die großen Opernhäuser der ganzen Welt und für die Kultur im allgemeinen kann heute noch gar nicht abgeschätzt werden. Denn er war nicht nur ein Regisseur und ein Bühnenbüdner von ausgeprägter Originalität, sondern auch ein Künstler, ein Schöpfer, eine kreative Persönlichkeit, wie es in unserer Zeit ganz wenige gibt. Das Genie seines Großvaters hatte sich bei Wieland Wagner nur auf andere Weise manifestiert, und wir wägen das Wort genau, wenn wir sagen, daß die Welt durch seinen Tod einen genialen Künstler verloren hat.

Dieser Nachruf auf Wieland Wagner wurde am Tag seines Begräbnisses vom Österreichischen Rundfunk gesendet.

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