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Orientierung an „Parsifal“

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Ein Gemälde von Renoir zeigt Richard Wagner mit weichen, meditierenden Zügen, aber abweisend, fast trotzig zusammengekniffenen Lippen. Ein solches Bild von Wagner drängt sich auch angesichts der diesjährigen Festspiele auf: unversehens ist mancher strenge, objektivierende Zug aus den Inszenierungen geschwunden, und an seine Stelle sind leicht verschwommene Konturen getreten, die aber nicht immer mit dem Werkganzen kommunizieren. Die Revisionen, die Wieland Wagner von Jahr zu Jahr vornimmt, scheinen oft am Detail orientiert. Bruchstellen in den Werken selber treten jetzt stärker zutage. Nehmen wir „Parsifal“: diese Inszenierung ist im Verlauf von acht Jahren durch ihre Peripetie hindurchgegangen. Verbessern läßt sich nichts Wesentliches mehr. Veränderungen, wie die jetzt am Zaubergarten Klingsors vorgenommenen, sind eine Angelegenheit des malerischen Geschmacks.

In einem kurzen Gespräch sagte mir Wieland Wagner, er sei der Meinung, daß. es ihm nunmehr gelungen sei, für das Gesamtwerk Richard Wagners vom „Tannhäuser“ bis zum „Parsifal“ („Rienzi“ soll auf Grund der Stuttgarter Erfahrungen nicht in Bayreuth aufgeführt werden, und den „Fliegenden Holländer“ hat bis jetzt nur der gegenständlicher arbeitende Wolfgang Wagner inszeniert) einen verbindenden Stil zu finden. Er meinte damit zweifellos jene Synthese von oratorisch-choreographischer Inszenierungsweise und realistischer Aktion („In den .Meistersingern' machen wir schon bald ,Porgy and Bess'J“). Der Trend zu solcher Verbindlichkeit indes ebnete das Bayreuther Grundkonzept zwangsläufig ein.

Daß sich der älteste Wagner-Enkel von der allzu ostinaten Stilisierung abgewandt und die Szene aufgelockert hat, war grundsätzlich richtig. Aber da er ein ausgesprochen visueller Regisseur ist, ergab sich zeitweise eine Begünstigung des Peripheren gegenüber dem Zentralen. Das Konzept der „Lohe n-g r i n“-Neuinszenierung war schon durch die Hamburger Vor-Aufführung im Dezember vergangenen Jahres bekanntgeworden. Unternehmen wir zu seiner Verdeutlichung einen kurzen Rückblick: der romantischen Auslegung des Stoffes — Sehnsucht des Gottes oder des göttlich Berührten nach Vermenschlichung — folgte in unserem lahrhundert die psychoanalytisch gerichtete; das Geschehen wurde als ekstatische Verzückung Elsas begriffen, einer Reinen, die an der Unreinheit der Welt zerbricht — als ihr innerseelischer Vorgang. Wieland Wagner inszenierte eigentlich keine dieser beiden Versionen, ~dere_In-divi duallsmüs ihm — soweit wir üsa' beurteilen' töne nen — wesensfremd ist. Er inszenierte ganz “streng das Spannungsverhältnis von Mensch und Gott, wobei er das „Heilige“ — das Innere des Münsters und später die Gralstaube — diesseits der Bühne annahm und gleichzeitig visionär im Rücken der Handelnden sichtbar machte Gelegentlich läßt sich Wieland Wagner durch seine optische Phantasie ins Geschmäcklerische abdrängen. Die Eichenkrone an der Bühnendecke nahm sich in Bayreuth glücklicher aus als in Hamburg, aber im Grunde hat ein Symbol der Erdverbundenheit in der Luft nichts zu suchen. Und ein kranzförmiges Wolkenornament erschien dem Chronisten nur als überflüssige Verzierung. Ein tiefes Blau in verschiedenen Intensitätsgraden beherrschte durchweg die Szene: in den Scheidebildern war das unmittelbar einleuchtend — zu dem Münsterzug hatte dieses Blau wenig Bezug. Anderseits müssen wir einräumen: es war ein klippenreiches Unterfangen, den „Lohengrin“ auf das Niveau hinaufzustilisieren, das Wieland Wagner sich selber abverlangte. Wie es gemeistert wurde, bleibt ruhmvoll genug.

Andre C1 u y t e n s musizierte nervig und sensibel. Ihm liegt das Wagner-Pathos durchaus, aber es bekommt bei ihm einen französischen Anstrich: indem es nicht immer aus dem Spannungsgehalt der Szene wächst, wird es zum Klangdekor. — Bayreuth stellte in diesem Jahre neue, ungewöhnliche Ensembles zusammen: die interessanteste Besetzung im „Lohengrin“ war die des Königs Heinrich mit Kieth Engen, einem jungen amerikanischen Baßbariton, der zum Ensemble der Bayrischen Staatsoper München gehört. Ein schlankes, doch tragfähiges Organ; eine schlanke, alle Klischeevorstellungen von der Figur sprengende Erscheinung. Ihr erfolgreiches Bayreuther Debüt bestritten der an der Berliner Städtischen Oper wirkende Sändor Könya in der Titelpartie und der Franzose Ernest Blanc als Telramund. Leonie Ry-sanek war eine ausdrucksstarke Elsa, überragend in der Szene vor dem Söller mit Astrid Varnay und in dem dramatischen Brautgemach-Bild, das Lyrische aber etwas vermissen lassend. Eberhard Wächter, der ebenfalls zum ersten Male auf dem Grünen Hügel sang, waren neben dem „Heerrufer“ zwei weitere Partien von nicht geringem Anspruch überantwortet: der Amfortas im „Parsifal“ und der Kothner in den „Meistersingern“. Er bewältigte sie glänzend und rechtfertigte damit den ihm vorauseilenden Ruf.

Wieland Wagner führte „Lohengrin“ wie auch „Die Meistersinger von Nürnberg“ dem Weihespiel „Parsifal“ entgegen. So ging es in den „Meistersingern“ überhaupt nicht mehr um Handwerksmeister (wie bei Wagner teilweise noch), sondern um die Meisterschaft eines im Jenseits gebundenen Lebens. Die „Taufe“ sprengte den folkloristischen Rahmen, wie das „Gericht“ im „Lohengrin“ den historischen. „Parsifal“ wurde dann aus der Bildlichkeit nahezu in die Askese übergeführt — ein Moment allerdings, das Wieland Wagner in den letzten Neueinrichtun-[gen oft zugunsten impressionistischer Verfeinerungen durchbrach. Die geistige und die sinnliche Optik sind' bei ihm dauernd im Widerspruch zueinander. Hans Knappertsbusch gab der „Parsifal“-Askese überragenden Ausdruck: seine Deutung gewann ihren Rang durch die Uebertragung musikalischer Spannungen ins absolut Geistige.

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