Meine erste Pilgerfahrt zum "Grünen Hügel"

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Bayreuth, der "Ring des Nibelungen" in Castorfs Regie: Anmerkungen einer ressortmäßig unzuständigen Beobachterin zur Faszination der Wagner-Festspiele.

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Bayreuth, der "Ring des Nibelungen" in Castorfs Regie: Anmerkungen einer ressortmäßig unzuständigen Beobachterin zur Faszination der Wagner-Festspiele.

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Wir verdanken alles unserer Markgräfin Wilhelmine", sagte uns der Ober des noch älteren, sehr schönen Opern-Cafés und zeigte uns ein Gemälde von der Schwester Friedrichs des Großen. "Denn erst ihr barockes Opernhaus hat Wagner angelockt." Bereits 1870 war Wagner durch einen Artikel im Konversationslexikon auf das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth aufmerksam geworden.

Auch wenn es für Wagners Zwecke zu klein war, so war er doch von dem hübschen Städtchen angetan. Genau so etwas suchte er: Eine kleine Stadt, in der nichts von seinem Werk ablenkte. Als Vorbild hatte er die griechische Polis vor Augen: Im festlichen Rahmen, in der Einheit von Musik und Drama, sollten die Schaffenden und Schauenden eine ästhetische Gemeinschaft bilden.

Das nach den Plänen von Gottfried Semper errichtete Festspielhaus, das 1876 mit dem "Rheingold" eröffnet wurde, liegt tatsächlich entfernt von allen Ablenkungen am Ende eines von Wald umgebenen kleinen Hügels. Nur die Straßennamen, "Walküren-","Tristan-"und "Richard Wagnerstraße" - um nur einige zu nennen - deuten auf den von seinen Nachfolgern "geweihten" Ort. Überall in Bayreuth wie auch auf dem grünen Hügel steht der schwarze Hund Wagners, ebenso wie Hunderte vom Bildhauer Ottmar Hörl gefertigte, 102 cm große Wagners, die sich dem Besucher mit hoch erhobenen Armen entgegenstrecken.

Wagnerianer, aber keine Bachisten

Am Ende der Straße zum Hügel leuchtet schon zwischen den Bäumen und den kleinen Wagnerfiguren das Festspielhaus. Warum pilgern die Wagnerianer auf den Grünen Hügel? Wer "pilgert" schon in die Staatsoper? Warum gibt es keine Bachisten oder Mozartisten. Warum ist es so aufregend, erstmals Karten für den "Ring des Nibelungen" im Gepäck zu haben? Wahrscheinlich lässt sich bei Wagner die Wirkungsmacht seines Werkes nicht ohne die Person denken. Alleine das, was er auf die Beine gestellt hat, um gegen alle Zweifel sein großes Werk zu vollenden, lässt ihn nahezu übermenschlich erscheinen. Grenzen zu respektieren war wahrlich nicht seine Sache. Weder privat noch in der Musik. Er stahl die Frauen anderer Männer, wenn er Bedarf danach hatte - Mathilde Wesendonck, die Frau seines Gönners, brauchte er unter anderem für die Bewunderung seines Werkes und für die Komposition von "Tristan und Isolde". Ein Werk, mit dessen "Tristan"-Akkord er Musikgeschichte geschrieben hat.

Wenige Monate später nimmt er sich Cosima, die Frau des Dirigenten Hans von Bülow, der brav weiterhin seine Opern aufführt und Wagner, den er bewundert, in der Welt bekannt macht. Wesendonck wie Bülow mussten genauso vergeben wie König Marke am Schluss des "Tristan" den Liebenden. All diese Geschichten - nicht zuletzt seine antisemitische Schrift über das "Judentum in der Musik" - sind kaum wegzublenden. Auch wenn es in Bayreuth nur um die Musik gehen soll, "krankt unsere Wagner-Liebe noch immer an einer Amfortas-Wunde", wie es der Musikkritiker Joachim Kaiser so schön ausdrückte.

Die Gäste sind zwar festlich gekleidet, doch auch Träger kurzer Hosenbeine, Tennisschuhe und Jeans werden nicht scheel angesehen. Es scheint sehr viel lockerer zuzugehen als in Salzburg.

Heute wird "Siegfried", der dritte Teil der Tetralogie, gegeben. Die Aufführungen beginnen um 16 Uhr. Eine Stunde vorher ist der Platz vor dem Festspielhaus nahezu voll. 15 Minuten vor Beginn spielen die Fanfaren auf der Balustrade des Opernhauses das "Siegfried-Idyll". Wir haben noch Zeit, das Festspielhaus zu besichtigen. Das 100 Meter lange Haus mit blass-rosaroten Ziegeln ist sehr schlicht, frei von allen barocken Verschnörkelungen und doch sehr harmonisch. Die Sicht ist phantastisch, da nach dem Vorbild antiker Amphitheater die Sitzreihen alle gleichmäßig, "demokratisch" ansteigen und damit wenigstens für die Dauer der Oper alle Standesschranken aufgehoben sein sollen. Die Karten sind erstaunlich billig. Wir sitzen ziemlich weit vorne, in der 9. Reihe. Eine Karte für 136 Euro ist weitaus billiger als in Salzburg oder Wien.

Wotan als Obergangster

Der Fußboden, Pfeiler und Säulen, alles ist aus Holz, was hervorragende akustische Bedingungen schafft -trotz des von Wagner gewünschten Schalldeckels über dem Orchestergraben, der die Bühnenillusion vergrößern und jede Ablenkung von der Bühne, und seien es schwitzende Orchestermusiker, vermeiden sollte.

In den Pausen kann man in den bereitstehenden zahlreichen Restaurants essen oder die im Park ausgestellten Lebensläufe derer lesen, die durch Cosima wegen ihres jüdischen Aussehens gemobbt oder später von den Nazis vertrieben und ermordet wurden.

Wotan als Obergangster darzustellen, wie der Langzeitchef der Berliner Volksbühne, Frank Castorf, ihn schon im "Rheingold" zeigt, ist sicher stimmig. Denn Wagners Wotan bricht von Anfang an Verträge, biegt sich die Wahrheit zurecht, will seine eigene Schwägerin Freia verschachern, hurt und säuft. Loriot hat es auf den Punkt gebracht: Die Täter sind eigentlich ganz nette Leute. Nur eines wird ihnen zum Verhängnis: Sie wollen mehr besitzen, als sie sich leisten können. Mehr Macht als ihnen zusteht. Im blinden, sinnlosen Gewinnstreben vernichten sie sich selbst und ihre Welt. Zum Glück gibt es dergleichen nur auf der Opernbühne

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