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Pflüge statt Schwerter

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„Wir achten Sie als Mensch sehr hoch und verachten Sic als Christ tief.“ Diese Worte trafen mich 1965, anläßlich meines ersten Israelaufenthaltes, tief. Doch sie waren, in Jerusalem gesprochen, Beginn meiner Mission zur Verständigung zwischen Judentum und Christentum. Es schmerzte mich als Katholiken» immer wieder mit aus den Gaskammern des Dritten Reiches Entkommenen zu sprechen, und doch war ich für hunderte Menschen der erste Christ, mit dem sie überhaupt sprachen. Waren doch in den Lagern die Bewacher „Christen“ und die Verfolgten Juden gewesen. Plötzlich stand ich nun als Vertreter der Christenheit da und mußte bekennend Rede und Antwort stehen.

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„Wir achten Sie als Mensch sehr hoch und verachten Sic als Christ tief.“ Diese Worte trafen mich 1965, anläßlich meines ersten Israelaufenthaltes, tief. Doch sie waren, in Jerusalem gesprochen, Beginn meiner Mission zur Verständigung zwischen Judentum und Christentum. Es schmerzte mich als Katholiken» immer wieder mit aus den Gaskammern des Dritten Reiches Entkommenen zu sprechen, und doch war ich für hunderte Menschen der erste Christ, mit dem sie überhaupt sprachen. Waren doch in den Lagern die Bewacher „Christen“ und die Verfolgten Juden gewesen. Plötzlich stand ich nun als Vertreter der Christenheit da und mußte bekennend Rede und Antwort stehen.

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Das Argument, daß die Henkersknechte ja keine Christen gewesen seien, sie alle, die Vergaser und SS-Leute, wurde mit den Worten: „Die Taufe hinterläßt doch ein unauslöschliches, ewiges Merkmal?“ nicht anerkannt. Doch eine Frau sagte: „Es gibt für mich keine guten und bösen Juden und keine guten und bösen Christen — es gibt nur gute und böse Menschen.“ Beim Teenachgießen schob sich der Ärmel ihrer Bluse zurück und ich sah die eintätowierte Auschwitznummer! Eine andere rief: „Wir pfeifen auf eine Welt, die uns nur deshalb anerkennt, weil unsere Söhne, genauso wie anderswo, mit dem Gewehr das Morden gelernt haben. Jetzt, da auch wir schießen und töten, schätzt uns die Welt.“

In der Wüste am Toten Meer studierte ich die Bibel, besonders die Propheten, für meinen Zyklus „Das Wort“. Viele großformatige Tuschepinsedzeichnungen über die Aussagen der Propheten, in Konfrontation mit dem Heute, waren dann in Jerusalem Grundlage weiterer Gespräche. Nun war ein für das Judentum neuer Ansatzpunkt gesetzt. Ein Christ, der in die Judäische Wüste zog, um nach der Bibel zu zeichnen, war ein interessantes Novum. Den Worten meines Glaubens folgt die künstlerische Tat; diese überzeugte. 1969 flog ich wieder nach Israel, um, unterstützt von Prof. Yigael Yadin, 16 Tage in Massada am Toten Meer zu verbringen. In 12 Kupferplatten meißelte ich in Hitze und Kälte. Hagel und Regengüssen, ausgesetzt den Gefahren der Wüste, die Geschichte des jüdischen Heldenepos nach Josephus Flavius.

Im Herbst des gleichen Jahres stellte ich erstmals im International Cultural Centre for Youth in Jerusalem aus, unter dem Patronat des österreichischen Botschafters. In meiner Bekenntnisrede vor dem (internationalen) Festpublikum sagte ich: „Als Christ stehe ich hier als ein durch das Sakrament der Taufe mit eurem Mörder Rudolf Höss, Kommandant in Ausschwitz, Verbundener, und ich bin von Wien zu Ihnen gekommen, um in diesen Zyklen meine Liebe zum Judentum, meine Liebe zum Juden Jesus und meine Liebe zu meiner Kirche zu beweisen, denn der Gott der Genesis, der Propheten, des Moses, des Hohen Liedes, und Massadas, ist der Gott-Vater der Christenheit, ist als Gott der Juden: Gott der Liebe.

Ich gewann die Liebe und die Achtung der Israeli. Die Tatsache, daß ich aus Wien kam, wurde damit „beschönigt“, daß ich ja aus Italien stamme und Degasperi heiße. Man war damals noch nicht besonders gut auf die Donaumetropole zu sprechen — die dem Massaker Entronnenen hatten dort zu Fürcherliohes erlebt. In Haifa aber verlegten alle Klosterschulen, Talmudschulen und Koranschulen den Religionsunterricht in meine Ausstellung im Kulturzentrum.

Die Genesis ist Christen, Juden und Arabern gemeinsam. Meine Reisen begannen nun in die von Israel besetzten Gebiete. Und ich erlebte Angst und Haß, Schrecken und Gewalt. Ich lernte immer mehr Israeli und Araber kennen und den großen Abgrund, der sie voneinander trennte. Die Furcht der Juden vor arabischen Anschlägen und die Angst der Araber vor den Besatzern. Es waren

schmerzliche Erlebnisse. Ich erlebte, wie die Trennung mitten durch unsere Kirche geht und ich predigte in den Städten Israels die Feindesliebe. Doch ein hoher Politiker herrschte mich an: „Ihre christliche Lehre: wenn dir jemand auf die rechte Wange schlägt, halte ihm auch noch die linke hin, ist wohl gut für eine jenseitige Welt, damit können wir aber weder einen Staat gründen, noch ihn aufbauen, noch ihn verteidigen.“ Auf meine Antwort, ich verstünde, daß sie den Juden Jesus von Nazareth nicht anerkennen könnten, daß sie aber die Forderung ihrer eigenen heiligen Schriften nicht anerkennen wollten, stimme mich bedenklich; denn geschrieben stehe: „Ist dein Feind hungrig, gib ihm Speise, ist er durstig, gib ihm Trank, und gibst du ihm noch Feuer von deinem Herd, dann wird Jahwe es dir vergelten“ — stand ein greiser Politiker auf und küßte mich auf die Wange.

So wurde mir bewußt, wie sehr in Israel Land, Leute, Bibel, Wüste eine Einheit bilden, die der Mensch nicht trennen soll. Ein Judentum ohne Heiliges Land ist immer ein leidendes, entwurzeltes, von Sehnsucht („Nächstes Jahr in Jerusalem!“) Volk. Ein Judentum im Heiligen Land ist ein Volk voll der Hoffnung, trotz schwerster Bewährungsproben. Die Liberalen sagen: Israel ist ein Geschenk Gottes; die Orthodoxen sagen: Israel ist das schlechte Gewissen der Welt. In diesem Staat ist alles brodelnder Geist. Die Gegensätze von Judentum und Christentum sind spannungsgeladene Felder der Energie.

■ Das Judentum kennt den Begriff der Kollektivschuld. Einer ist für den anderen verantwortlich. Es ist im Judentum nicht möglich, wie beispielsweise in Amerika, daß Leute zusehen, wie jemand auf der Straße beraubt oder ermordet wird, ohne einzugreifen und dem Opfer zu helfen. Tut einer das nicht, gilt er dem Verbrecher gleich. Übrigens ist dies auch der Grund, weshalb man nicht den Staat Österreich für schuldig an den Judenmassakern hält, wohl aber die damals persönlich Verantwortlichen, die ja auch heute Österreicher sind.

Zum Thema: „Aug um Aug. Zahn um Zahn“ sagte man mir: „Ja, wir haben dies, aber im Gegensatz zum

christlichen Text heißt es bei uns: stiehlt jemand, so muß der Dieb das Gestohlene mit einer zusätzlichen Buße zurückerstatten.“ In der christlichen Gesellschaft schlug man dem Dieb die Hand ab, Räuber hängte man. Darüber hinaus kann diese Mosesstelle aus der Sicht des Judentums durchaus auch so gelesen werden: Weil du nicht willst, daß man dir ein Auge ausschlägt, sollst du auch nicht das Auge des anderen zerschlagen. — Judentum ist nicht Rache, sondern Liebe. Der Gott des Alten Bundes ist Liebe, wie der Gott des Neuen Bundes. Kain wird gezeichnet, damit ihn niemand erschlage. „Mein ist die Rache und die Vergeltung“, ist eine Umkehrung des hebräischen Textes, der dem Sinne nach lautet: „Mein ist es, die Rechnung zu begleichen, die Gerechtigkeit wiederherzustellen.“ In den christlichen Übersetzungen wurde an vielen Stellen des Alten Bundes der Gott der Gerechtigkeit zum Gott der Rache pervertiert.

Schon rief ein Jerusalemer Universitätsprofessor: Ich sei eine latente Gefahr für das Judentum, denn es wäre zu schön, wenn das Christentum und die Christen so wären, wie ich es behaupte. Man sei nur zu sehr geneigt, meinen Worten zu glauben! Aber bald erhielt ich die Einladung, im Yad Vashem, dem Mahnmal für 6 Millionen ermordete Juden, vor internationalem Publikum die Ewige Flamme für die Opfer zu entzünden. Die Ehrung galt dem Katholiken, dem Christen. 1972 erhielt ich anläßlich der Prophetenausstellung vom Präsidenten der Freundschaftsliga Israel-Österreich, Dr. Wolfgang von Weisl, die Massada-Medaille für meine Arbeit an der Verständigung zwischen Österreich und Israel, zwischen Judentum, Christentum und Islam. Auch die arabische Presse schrieb über den Bibelkünstler aus Wien.

Ich kenne Israel von Sharm El Sheikh bis Akko, vom Jordan bis zum Mittelmeer. Überall strömte mir — bei all den Menschen — Liebe entgegen. So konnten die vielen Ideen und Erlebnisse in der Wüste, vor allem aber die tiefen Erkenntnisse in meinem Werk Realität werden. Ein Spiegelbild bot 1970 meine Ausstellung von vier Zyklen (zwei jüdische, zwei christliche), die unter dem Patronat des Päpstlichen Nuntius, des Oberrabbiners, des Botschafters, des Präsidenten des Nationalrates, des früheren Innenministers und des Wiener Bürgermeisters stand. Ein sichtbares Zeichen dafür, wie sehr das universelle, einmal geoffenbarte Wort der Heiligen Schrift die Menschen verschiedener Konfessionen und politischer Richtungen vereint.

In einem stimme ich mit vielen Persönlichkeiten in Israel, an der Spitze mit Frau Ministerpräsident Golda Meir, überein: Je mehr in Israel die Menschen gottlos werden, um so mehr ist der Staat gefährdet. Israel ohne Gott ist ein Paradoxon, denn Israel heißt ja ,,Ringer mit Gott“. Es hat sich auch heute nichts an dieser geschichtlichen Tatsache geändert. Ein Volk im Bündnis mit Gott leidet, wie die Märtyrer, aber es bleibt bestehen. Der Aufschrei vieler Menschen in Israel: „Warum können wir nicht sein wie die anderen Völker und in Ruhe gelassen werden, warum müssen wir immer so viel leiden?“ findet seine Antwort. Meine Antwort wäre: Israel hat die Sendung, den Menschen, auch den Feinden, im Bündnis mit Gott, die Liebe zu lehren und vorzuleben.

So sind Volk, Land und Religion Israels ständig neue Quelle meiner Zyklen, die die Aufgabe haben, den Menschen die Liebe, trotz aller Härte, zu lehren oder — wie ein jüdischer Journalist schrieb — „Degasperi hat trotz der Härte seiner Bilder ein Herz voll Liebe und kein anderes Verlangen, als diese Liebe auf seine Mitmenschen zu übertragen.“

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