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Vertrauen statt Angst

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Lesen sei „mystischer“ als fernsehen, betonte der deutsche Theologe Eugen Biser in Goldegg, wo auch ein Friedrich-Heer-Preis für Publizisten angekündigt wurde.

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Lesen sei „mystischer“ als fernsehen, betonte der deutsche Theologe Eugen Biser in Goldegg, wo auch ein Friedrich-Heer-Preis für Publizisten angekündigt wurde.

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Eine der zentralen Aussagen in dem Buch „Die glaubensgeschichtliche Wende“ des Münchener Theologen Eugen Biser lautet: „Nur Vertrauen kann die Angst überwinden.“ Biser bezieht dies auf die Zukunft von Religion und Christentum und spricht von der notwendigen Botschaft der Angstüberwindung im Sinne des Johanneischen Jesus, „Habt Vertrauen! Ich habe die Welt überwunden“ , von der Botschaft der Freiheit gegenüber den manipu- latorischen Netzen der Funktionärsherrschaft und von der Botschaft vom Frieden, die nicht den negativen Begriff der Friedensbewegung meint im Gegensatz zum Krieg, sondern vielmehr den Frieden dessen, der von sich sagt: „Meinen Frieden gebe ich euch“ .

Biser war Gast und Festredner beim diesjährigen Dreiländertreffen des katholischen Buchhandels Deutschlands, der Schweiz und Österreichs zum Thema „Stehen wir vor einer glaubensgeschichtlichen Wende? Versuch einer religiösen Diagnose“ . Die Beratungen und Hauptversammlungen des Verbandes katholischer Verleger und Buchhändler in Deutschland und des Verbandes katholischer Buchhändler und Verleger in Österreich galten in diesem Treffen in Goldegg im Salzburger Land dem Berufsbild einerseits, andererseits der Stärkung der Kontakte und auch technischen Fragen.

Zum 40-Jahr-Jubiläum des Verbandes katholischer Buchhändler und Verleger Österreichs kündigte sein Präsident, der Salzburger Buchhändler Bernhard Weis, im Gespräch mit der FURCHE einen Friedrich-Heer-För- derungspreis für Publizisten und Essayisten an. Dieser Preis, dessen Höhe noch nicht bekannt ist, soll kritischen Schriftstellern, die auf den Spuren Friedrich Heers im Sinne eines humanistischchristlichen Weltbildes publizieren, verliehen werden. Die deutschen Buchhändler und Verleger haben es sich zur Aufgabe gemacht, arbeitslose Diplomtheologen auf Seminarbasis umzuschulen, mit Marketing, Betriebswirtschaft, Finanzen, Werbung und Mitarbeiterführung in Zusammenarbeit mit den Diözesen vertraut zu machen.

Eugen Biser gab der Versammlung im Wappensaal des Goldegger Schlosses mit seiner Diagnose und Analyse dreier Bereiche — In welcher Welt stehen wir? Welcher

Art sind die Bedingungen des Menschen heute? Welche Bedingungen und Chancen finden Religion und Kirche heute vor? — wohlfundierte Hilfe auch zu sach- kritischer Auseinandersetzung mit den Funktionären der Kirche.

Was den Glauben heute angeht, so erläuterte Biser im Gespräch den Wandel vom Wissens- zum Erfahrungsglauben. Der Theologe setzt auf die Jugend von heute: „Bevor man mit der Jugend ins Gericht geht, sollte man sie erst genau ansehen. Denn ihr ist eine Expansion der praktischen Caritas zu danken, wie es sie früher nicht gegeben hat. Die Hilfe für die Dritte Welt ist für sie eine Selbstverständlichkeit geworden und bedeutet keine Alibihaltung oder -leistung.“

Immer wieder greift Biser das Thema Angst auf, die mit der Einsamkeit einhergeht. Die Angst als zentrale Leidenserfahrung des

Menschen führt nach außen zur Einsamkeit, die Einsamkeit ihrerseits ist eine soziale Erscheinungsform der Angst. „Zur Komplettierung des Menschen gehört nicht allein das liebende Du, sondern auch das göttliche Geheimnis des personal rufenden und antwortenden Gottes“ , unterstreicht der Theologe. Das ist eine der großen Chancen der Kirche, sich der Angst der Menschen anzunehmen.

Im Zusammenhang mit realisierten Utopien — der Diebstahl des Feuers durch Prometheus fand zum Beispiel in der Kernenergie Verwirklichung, das Hauffsche Märchen vom Kalten Herzen in der Herztransplanta-

tion und im künstlichen Herzen - wird noch weiter ausgegriffen auf Eigenschaften, die Gott zugeschrieben werden: spürbar in der Allgegenwärtigkeit beim abendlichen Fernsehen oder in Live- Ubertragungen, ebenso in der enormen Zunahme der Informationen in Richtung Allwissenheit.

Und dennoch sieht Eugen Biser in den anthropologischen Rückwirkungen und Umschlägen einen „pseudomystischen Zustand“ des Menschen vor dem TV-Gerät: Das Zimmer ist dunkel, der Mensch ist einem Bild hingegeben, aber der wahren Mystik fern. Hingegen sei der Leser dem Mystiker sehr nah. Umzusetzen, was an Information, Konsultation und Konzentration in den Printmedien vorhanden sei, vor allem im Buch, diene der Selbsterfüllung und Selbstverwirklichung.

Wichtig ist dem Theologen - er erläutert das im Zusammenhang mit dem biographischen Werk Reinhold Schneiders, „Winter in Wien“ - der Zusammenhang zwischen Glauben und Vitalität. Oft i sei Glaubenslosigkeit nicht Bos- 1 heit, sondern ein anderer Ausdruck für Lebensschwäche des heutigen Menschen. Auch die Abtreibungsproblematik reiht Biser hier ein: „Wer für sich selbst keine Zukunft sieht, wird Schwierigkeiten haben, dem Kind eine Zukunft zu geben.“

Trotz aller — das Stichwort stammt noch von Karl Rahner - „winterlichen Kirche“ sieht der Theologe keinen Anlaß zur Resignation, vielmehr im Darunter bereits neue Keime und Strukturen, die zum Leben drängten.

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