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Wie übersetzt man „Dawena“?

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Zum Schutz von Minderheiten gehört auch die Erhaltung jener Orts- und Flurnamen, dievonderan-sässigen Bevölkerung stammen. Eingriffe wirken meist heiter bis unsinnig.

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Zum Schutz von Minderheiten gehört auch die Erhaltung jener Orts- und Flurnamen, dievonderan-sässigen Bevölkerung stammen. Eingriffe wirken meist heiter bis unsinnig.

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Vom 29. September bis 3. Oktober 1985 fand in Bozen eine internationale wissenschaftliche Tagung über den „amtlichen Gebrauch des geographischen Namengutes“ statt, veranstaltet vom Südtiroler Kulturinstitut zusammen mit dem Landesverband für Heimatpflege in Südtirol. Die Referenten aus Südtirol, Frankreich, der Schweiz, Belgien, Kanada, den USA, Italien und Österreich trafen sich in der Darstellung einer sehr komplexen Na-mengebung in mehrsprachigen Gebieten.

Historisch wie geographisch jeweils unter ganz verschiedenen Voraussetzungen allmählich von der heimischen Bevölkerung herausgebildet und täglich verwendet, gehören diese Namen — von der Dorf- und Stadtbezeichnung bis zum Gewässer- und Flurnamen — zum unveräußerlichen und erhaltenswerten Sprachgut einer Landschaft, sind von dieser nicht zu trennen und teilen das Schicksal mit dieser. Dennoch gab und gibt es immer wieder Versuche, durch Eingriffe und künstliche Regelungen das „Landschaftsbild“ zu beeinflussen und zu verändern, was sogar die großen internationalen Vereinigungen öfter beschäftigt, als man annehmen möchte.

Geht es in mehrsprachigen Ländern zuerst nur um Sprechformen, die der anderssprachige Nachbar mühelos verwenden kann, also um oberflächliche Anpassung an dessen Sprechgewohnheiten, so bilden sich daraus leicht Doppel- oder Konkurrenzformen und in der Folge Zweigleisigkeiten, die einer alten, gewachsenen Namen- und Sprachlandschaft gefährlich werden können.

Weil ein Franzose oder Juraschweizer Bäle sagt statt Basel, wird das zu keiner Veränderung führen, solange der Basler nicht darin die wichtigere, bessere oder schönere Benennung seiner Vaterstadt sieht. Aber der Gebrauch ganz bestimmter Sprachen im internationalen Verkehr begünstigt die Namenformen in diesen Sprachen, was öfters zu Konflikten führt.

Dagegen steht das Territorialprinzip, nach dem zuerst der unmittelbar Betroffene den Ausschlag geben sollte, also der Bewohner selbst. Dies führt bei

Kleinfluren, Bergen etc. sogar bis in den Dialekt (Bühel, Part, Klamm, Ach...) und — in mehrsprachigen Grenzgebieten — zu Ubersetzungsversuchen, die im Grunde nicht möglich sind. Wie wäre „Dawena“, „Troiablies“ oder „Ogstaböda“ auch hochsprachlich wiederzugeben? Umso weniger kann man solche Namen in Nachbarsprachen umsetzen, wie Dutzende von unsinnigen bis erheiternden Versuchen in Südtirols Mikrotoponomastik zeigen.

Wenn man den Spannungen, die leider zwischen Angehörigen verschiedener Sprachgemeinschaften immer wieder entstehen, nicht Nahrung geben will, muß man jede Änderung des festen Namenbestandes sehr sorgfältig überlegen und mit Fingerspitzengefühl - jedenfalls nie gegen den Willen der „Benannten“, sei es im Dorf, im Stadtviertel oder im Straßenzug — durchzuführen versuchen. Große und relativ junge Staaten wie die USA sind Namengebun-gen gegenüber liberal und überlassen vieles dem Gebrauch, aber auch kleineren regionalen Verwaltungsbehörden zumindest die Beratung und Genehmigung, wenn breiteres Interesse gegeben ist.

Wie zu erwarten war, trafen in den Diskussionen die Meinungen sehr verschiedener Interessengruppen hart aufeinander. Die noch immer rechtlich allein gültigen „Ubersetzungen“, freien Nachbildungen und öfters ungeschickten Italianisierungen des faschistischen Senators und Geographen E. Tolomei finden auch heute noch keineswegs allgemeine Zustimmung bei den deutschsprachigen Südtirolern, die den Gewaltakt des Namendiktates von 1923 nicht verwinden. Die zum Teil seit sechzig Jahren an Etsch und Eisack ansässigen Italiener aber haben sich daran gewöhnt und verwenden fast nur diese im Deutschen kaum gebräuchlichen oder sogar unbekannten Bezeichnungen.

Dazu kommt, daß der Rechtsstatus der Namen wohl nicht ohne Berücksichtigung der Paketbestimmungen zum Schutz der deutschen Minorität und die Regionalautonomie Südtirols beziehungsweise des Trentino beurteilt werden kann.

Vielleicht sollte man auch die sachlichen Voraussetzungen nicht aus den Augen verlieren. Es besteht ein großer Unterschied zwischen Namen lokaler Geltung (Wiesen, Felder, Bäche, Berge, Höfe, Fraktionen) und solchen regionaler Bedeutung (Bahnhöfe, Städte und Märkte, Täler, Flüsse, Gemeinden), deren bestehende Namen sehr verschieden verankert sind und gebraucht werden.

Kleinräumige Namen sollten nur eine Form haben, die der Bewohner oder nächste „Zuständige“ und Benutzer verwendet, der Eindeutigkeit, Einzieligkeit der Bezeichnung und dem Lokalkolorit zuliebe sogar in regional-dialektnaher Prägung, wie sie meist auch über viele Jahrhunderte hinweg Geltung hatten.

Bei den Benennungen größerer Orte, bewohnter Zentren oder verkehrswichtiger Orientierungspunkte wird man die vergangenen Jahrzehnte nicht ganz vernachlässigen können, welche zur heutigen, zweisprachig begünstigten Ubersetzungspraxis geführt haben, obwohl diese recht problematisch ist. Namen sind Hinweise, nicht Benennungen, und sie bilden eine eigene Kategorie innerhalb der allgemeineren Bezeichnungen (Hauptwörter), wie etwa der eigenwillige und abweichende Gebrauch von Präposition und Artikel unterstreicht.

Heute versucht man, nicht zuletzt auch über internationale Kontakte und Einrichtungen, das Territorialrecht des unmittelbar Betroffenen wieder besser zur Geltung zu bringen, was bei Namen Einsprachigkeit begünstigt. Es ist daher durchaus verständlich, daß nicht nur die Frankopro-venzalen Aostas ihre angestammten Ortsnamen wieder verlangten (und erhielten), sondern daß auch die anderen Minoritäten Italiens gleiches Recht verlangen, von den Inseln bis zu den Alpen, von den Sarden und Friaulern bis zu den Deutschen und Ladinern in Südtirol.

Der Autor ist Professor für Romanistik an der Universität Innsbruck.

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