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Wo steht das katholische Buch?

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Das ist eine brennende Frage in einer Zeit, da S. Unseld, Leiter des Suhrkamp- und Inselverlags, unumwunden von einer „Lesemüdigkeit“ spricht. Ähnlich äußert sich Ludwig Muth vom Herder-Verlag. >, der ,- »r den Anstieg des Buchbesitzes begrüßt, aber eine großzügig, rückläufige Lektürezeit feststellen muß. Ob ein solcher JPrend auch auf dem engeren Gebiet der Theologie vorherr? t, kann nur durch eingehende Untersuchungen geklart werden, das Beispiel Hollands aber zeigt auf jeden Fall, daß weder die heutige theologische Buehproduk-tion noch die entsprechende .Lese Freudigkeit den Höhepunkt der sechziger Jahre erreicht haben. Es ist bezeichnend, daß gegenwärtig fast ausschließlich Einzel probleme behandelt werden und daß kein namhafter Theolöge es wagt, eine Vollständige Dog-matik auszuarbeiten. Der schon lange angekündigte Grundkurs Karl Rahners läßt noch immer auf sich warten.

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Das ist eine brennende Frage in einer Zeit, da S. Unseld, Leiter des Suhrkamp- und Inselverlags, unumwunden von einer „Lesemüdigkeit“ spricht. Ähnlich äußert sich Ludwig Muth vom Herder-Verlag. >, der ,- »r den Anstieg des Buchbesitzes begrüßt, aber eine großzügig, rückläufige Lektürezeit feststellen muß. Ob ein solcher JPrend auch auf dem engeren Gebiet der Theologie vorherr? t, kann nur durch eingehende Untersuchungen geklart werden, das Beispiel Hollands aber zeigt auf jeden Fall, daß weder die heutige theologische Buehproduk-tion noch die entsprechende .Lese Freudigkeit den Höhepunkt der sechziger Jahre erreicht haben. Es ist bezeichnend, daß gegenwärtig fast ausschließlich Einzel probleme behandelt werden und daß kein namhafter Theolöge es wagt, eine Vollständige Dog-matik auszuarbeiten. Der schon lange angekündigte Grundkurs Karl Rahners läßt noch immer auf sich warten.

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Eine Ausnahme bildet das großangelegte Sammelwerk Mysterium Salutis. Grundriß heilsgeschichtlicher Dogmatik, hrg. von J. Feiner und M. Lohr (Benziger, Einsiedeln-Köln), von dem bis jetzt vier Teile — in sechs Teilbänden — erschienen sind (1965 bis 1973); demnächst erscheint der letzte, 5. Teil über die Eschatologie.

Einen ausgezeichneten Behelf bietet Alex Stock: Umgang mit theologischen Texten (Benziger, Ein-siedeln-Köln 1974), der in die wichtigsten Methoden der Textbehandlung einführt, also in die Text- und Literaturkritik, sowie in die Gat-tungs-, Traditions- und Redaktionskritik. Daran schließt sich die heute so aktuelle strukturale Textsemantik an, gefolgt von einer Darlegung der historischen Methoden. Ein zweiter Teil, der Beispiele eines analytischen Umgangs mit Texten enthält, hat deshalb großen praktischen Wert, weil gezeigt wird, wie zur Vorbereitung von Predigten, Katechesen, Liturgiegestaltung und Bibelkursen aus vorliegenden Textmaterialien neue • Textmontagen und '-keüagen zusammengestellt werden können.

Einen ähnlichen Weg beschreifet Gerhard Lohfink: Jetzt verstehe ich die Bibel. Ein Sachbuch für Formkritik (3. Auflage, 1974, Katholisches Bibelwerk, Stuttgart). Der bekannte Neutestamentier R. Schnackenburg empfiehlt diese Einführung wärm-stens, weil sie sich „mit einer prüfenden Beurteilung der sprachlichen und literarischen Gestalt (der Bibel) befaßt, in der sich Gedanken und Intentionen des betreffenden Autors Ausdruck verschaffen“. Obwohl biblische Einleitungen der Gegenwart auch über Formgeschichte und Formkritik informieren, bemüht sich Lohfink um handfeste praktische Hinweise auf die Charakteristika der zahlreichen literarischen Gattungen. Am Schluß bringt er dann auch praktische Übungen, die es dem Leser ermöglichen, den „Sitz im Leben“ dieser Gattungen und Formen zu erfassen und somit die entsprechenden Perikopen richtig zu verstehen und zu interpretieren.

„Sitz im Leben“ ist auch das Stichwort für das Verständnis der Evangelien, und mit Recht sagt Walter Kasper in Jesus der Christus (M. Grünewald, Mainz 1974), daß die Kirche der Sitz im Leben der Schriften der Jesusüberlieferung ist. Es fällt auf, daß gerade jetzt mehrere Jesus-Bücher erschienen sind, die all jenen eine Antwort zu geben versuchen, die sagen: „Was uns interessiert, ist nicht der Christus, den die Kirchen verkünden, was uns aber aufhorchen läßt, ist Jesus selber und seine .Sache'“ (21). Der Verfasser weiß sich der katholischen Tübinger Schule, besonders den christologischen Entwürfen von Karl Adam und Joseph R. Geiselmann verpflichtet, und obwohl seine Christologie wiederholt die Erinnerung an K. Adams „Der Christus des Glaubens“ /1954) aufkommen Hßt,geht sie doch weit darüber hinaus, weil es, wie Kasper selber sagt, darum geht, „in einer tiefer bohrenden systematischen Reflexion die leitenden Motive sowohl der Überlieferung als auch der gegenwärtigen Neuansätze herauszustellen und in Auseinandersetzung mit ihnen einen eigenen systematischen Neuansatz zu wagen“ (10).

Ähnlich gelagert ist auch das holländische Werk von Edward Schille-beeckx: Jezus, het verhaal van een levende (3. Auflage, Bloemendaal 1974/75), das demnächst in deutscher Übersetzung erscheint. Genau so wie Ratzinger, Schooneberg uhd auch Kasper verrät Schillebeckx eine ungewöhnliche Vertrautheit mit der Bibelexegese, die bei einer früheren Dogmatikergeneration kaum vorhanden war, nur übertrifft Schille-beeckx seine heutigen Kollegen noch bei weitem, weil er sich zu einem Fachexperten entwickelt hat, der sowohl die ganzen neutestamentlichen Forschungsergebnisse wie auch die einschlägige internationale Literatur berherrscht und verarbeitet. Der Titel seines Buches, der wörtlich etwa „Jesus, die Erzählung von einem Lebenden“ lautet, läßt vielleicht die Vermutung aufkommen, daß es sich um eine Biographie oder ein „Leben Jesu“ handle. Das trifft aber nicht zu, betont doch der Verfasser ausdrücklich, daß er ausschließlich kritische Prolegomena zu einer solchen Erzählung beisteuern wollte. Am Ende läßt er durchblicken, daß wir kaum etwas Verbindliches über Jesus als „göttliche Person“ auszusagen vermögen, weil wir dabei doch nur von einem — allerdings analogen — menschlichen Personsbegriff ausgehen können und müssen (537/38).

Mit seinem Jesus ohne tietuschen (Verlag Styria, 1974) hat Wolfgang Beilner, der Salzburger Exeget, wirklich für eine Überraschung gesorgt. Das Buch enthält einen durchlaufenden Kurzkommentar zu den wichtigsten Ereignissen, Taten und Lehren Jesu und erinnert in etwa an frühmittelalterliche Glossen. Die Ergebnisse aber der modernen Bibelwissenschaft werden gewissenhaft verarbeitet, wobei der Verfasser seinen „Respekt... besonders vor der protestantischen wissenschaftlichen Exegese“ (18) hervorhebt. Das sind keine leeren Worte, denn obwohl Beilner sich ganz besonders darum bemüht, den historischen Charakter möglichst vieler Erzä-lungen darzulegen, tut er das nie unkritisch und kennt er die unvermeidlichen Grenzen. Bei Engelserscheinungen sieht er die Möglichkeit, daß eine „literarische Bildung“ vorliegt, ebenso stellt er die Frage, ob es sich bei dem Stall der Geburt tatsächlich um eine historische Angabe handle. Besonders hinsichtlich der Kindheitsgeschichte stellt er die These auf, daß man „vorsichtig sein muß, die hier wiedergegebenen Evangeliennachrichten für .historisch' in unserem Sinne zu nehmen“ (129/30), auch die Angaben über Kindermord und Flucht nach Ägypten seien „ohne historischen Hintergrund“. Was die ewige Streitfrage über die „Brüder und Schwestern“ Jesu betrifft, so scheint ihm ein tieferes Erfassen der Persönlichkeit Jesu wichtiger zu sein als „die historisch wahrscheinlich unlösbaren

Fragen über die genauen Verwand-schaftsverhältnisse“. Anderseits läßt er erwartungsgemäß über die Auferstehung Jesu und die darauffolgenden Erscheinungen keinen Zweifel aufkommen.

Der Titel „Jesus ohne Retuschen“ mag im gewissen Sinne seine Richtigkeit haben, bei Licht besehen ähnelt die Darstellung aber eher einem Gerippe, so bleibt für eine lebendige exegetische Ausarbeitung genügend Raum übrig. Die vom Verfasser im Vorwort geforderte formgeschichtliche und redaktionsgeschichtliche Arbeit findet in seinem Werk kaum einen Niederschlag. Das ist zu bedauern, weil das Buch Zeugnis davon ablegt, daß Beilner die ganze Materie vollkommen beherrscht. So schweigt er auch über die genaue literarische Gattung vieler Abschnitte, wie er nicht einmal auf die Art der Unterweisung Jesu, besonders auf die Gleichnisse und den Unterschied gegenüber der Parabel (wie Lohfink sie versteht) näher eingeht. Aber trotz des Abkürzungsverfahrens begegnet der Leser in dem hier skizzierten Jesusbild dennoch einer einzigartigen Persönlichkeit, deren Lehre und Leben die Menschen noch immer und stets mit Hoffnung erfüllt. Daß der Verfasser immer wieder auf die durch und in Jesus begründete Hoffnung hinweist, erhöht den pastoralen Wert seiner Darstellung.

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