7021753-1988_47_13.jpg
Digital In Arbeit

Zwiespältigkeit im Kinder wünsch

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Welche Aufgabe haben Sie an der Universitäts-Frau-

MARIANNE SPRINGERKREMSER: Ich bin Vorstand auf Zeit des Instituts für Tiefenpsychologie und Psychotherapie, bin ausgebildete Psychoanalytikerin und mache seit über zehn Jahren eine psychosomatische Ambulanz an der II. Universitäts-Frauenklinik. Dabei habe ich mit Frauen zu tun, deren Unfruchtbarkeit ungeklärt und nicht auf organische Ursachen zurückführbar ist. Die Frauen kommen entweder aus eigener Initiative, nachdem konservative Behandlungen ihrer Unfruchtbarkeit gescheitert sind, oder weil sie das Gefühl haben, daß vielleicht etwas nicht stimmt. Oder es kommen Frauen, denen Fruchtbarkeitstechnologien nicht geholfen haben.

FURCHE: Zuweisungen durch die behandelnden Gynäkologen gibt es nicht?

SPRINGER-KREMSER: Von den Gynäkologen wird überwiegend nur dann zugewiesen, wenn medizinische Versuche aus unerklärlichen Gründen gescheitert sind.

FURCHE: Auch von den Universitäts-Frauenkliniken kommen Frauen nur dann in die Ambulanz, wenn bestimmte Behandlungen absolviert wurden, nicht aber werden Sie zu den Erstgesprächen mit Patienten etwa vor IVF-Behandlungen herangezogen?

SPRINGER-KREMSER: Eine Universitätsklinik hat zweifellos einen Forschungsauftrag, trotzdem müßte für die Betroffenen die Kooperation von Gynäkologen und Psychologen sichtbar werden.

FURCHE: Wird sich das in nächster Zukunft bessern?

SPRINGER-KREMSER: In der BRD schießen Institutionen, in denen Frauenärzte Fruchtbarkeitstechnologien in privater Praxis anwenden, aus dem Boden. Ich halte das für sehr problematisch, weil solche belastenden Behandlungen wirklich nur in die Hände ausgebildeter Fachleute gehören. Ärztliche, gynäkologische Kompetenz kann sich nicht nur im Anbieten und Durchführen von Reproduktionstechnologien erschöpfen.

Die Möglichkeit detaillierter Erklärungen mit ausreichender Zeit für Betroffene, auch die „dümmsten“ Fragen zu stellen, ist derzeit an einer Universitätsklinik nicht zu gewährleisten. Meiner Meinung nach wäre es höchst wichtig, daß die behandelnden Ärzte auch die ausführlichen Gespräche führen, sie sollten nicht immer nur den Psychologen „zugeschoben“ werden.

FURCHE: Welche Erfahrungen haben Sie aus den Gesprächen mit Patientinnen?

SPRINGER-KREMSER: Für eine Frau ist es sehr wichtig, den Kinderwunsch grundsätzlich zu reflektieren, bevor sie sich in eine technologische Behandlung begibt. Solange keine Schwierigkeiten auftauchen, glaubt jeder von sich, fruchtbar zu sein. Nach dem ersten Besuch beim Gynäkologen mit einem solchen Problem muß die Patientin mit der Kränkung und der Trauer, daß dies nicht so ist, erst einmal fertigwerden.

Auch die Suche nach etwaigen körperlichen Ursachen ist ungeheuer belastend.

Alle diese Belastungen werden in Kauf genommen, aber die Erwartungen der Frauen, daß mit diesen Erfahrungen auch entsprechend umgegangen wird, werden immer enttäuscht. Niemand belohnt sie dafür. Eine Entlastung tritt ein, wenn organische Ursachen entdeckt werden. Ist dies aber nicht der Fall, kommt es zu geheimen Schuldzuschreibun-gen.

Wenn man vor der Anwendung von Reproduktionstechnologien Frauen fragt, was ihrer Meinung nach Ursachen für die Unfruchtbarkeit sein könnten, treten oft Zwiespältigkeiten zutage: ein heftiger Kinderwunsch gleichzeitig mit heftigen Vorbehalten. Die Vorbehalte aber sind tabu, eine gute Mutter wünscht sich ein Kind. Sich mit diesem Tabu auseinanderzusetzen, würde die Frauen so belasten, daß sie lieber chirurgische Eingriffe an sich vornehmen lassen.

Dabei ist den Frauen das überhaupt nicht vorzuwerfen, auch die Gesellschaft setzt sich ja nur in bestimmter Weise damit auseinander. Meine Aufgabe ist es, hinzuschauen, zu helfen, und nicht wegzuschauen. Die Gründe für diese Vorbehalte sind in der Regel schmerzlich, liegen für jede Frau

Nur ein paar Sitzungen anders. Fast immer haben sie mit der Mutterbeziehung der Frau zu tun, mit ihrer Vorstellung von Mütterlichkeit. Sehr oft bestimmen auch die Männer über den „richtigen“ Zeitpunkt, wann ein Kind kommen soll.

FURCHE: Wie lange dauern solche therapeutischen Gespräche in der Ambulanz?

SPRINGER-KREMSER: Es sind in der Regel nur ein paar Sitzungen vorgesehen.

Kürzlich habe ich für die Sozialversicherung ein Gutachten ausgearbeitet, das sich mit der Übernahme der Kosten für Reproduktionstechnologien durch diese beschäftigte. Zur Frage stand, ob Kinderlosigkeit zu Depressionen mit notwendigen — teurem — stationärem Aufenthalt führen könnte, und ob dann nicht eher die Kinderwunsch-Behandlung von der Versicherung zu übernehmen sei. Die Sozialversicherung hat die Übernahme der Kosten abgelehnt.

FURCHE: Haben Sie den Eindruck, daß die ungewollte Kinderlosigkeit zunimmt?

SPRINGER-KREMSER: Die Tätigkeit am Bildschirm scheint sich negativ für die weibliche Fruchtbarkeit auszuwirken. Insgesamt glaube ich, daß die Kinderfeindlichkeit der Gesellschaft dabei eine wichtige Rolle spielt. Außerdem legen viele Frauen mehr Wert auf persönliches Glück in der Beziehung, was mit dem alten Bild der Mütterlichkeit nicht leicht vereinbar ist. Sich für ein Kind zu entscheiden, heißt vorübergehend andere Prioritäten setzen, manches hintanzustellen, etwa in der Berufstätigkeit. In diesen Veränderungsprozeß der Frauen sind die Männer kaum einbezogen, das müßte sich ändern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung