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Moderne Tiefenpsychologie und alte Weisheit

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Der berühmte Verfasser bemerkt im Vorwort, r daß dieses Buch sein letztes sein solle. Dies ge- , stattet, mit der Kritik des Buches auch eine seines t Gesamtwerkes zu verbinden. Ein abschließendes , Urteil über das vorliegende Buch läßt sich allerdings 1 erst dann abgeben, wenn auch der dritte Band des umfassenden Werkes vorliegt. Gerade dieser dritte Į Band, in welchem Frau Dr. M. L. von Franz ver- , sucht, eine Konkordanz zwischen der Alchemie und 5 der Philosophie des heiligen Thomas von Aquin . herzustellen, würde für ein abschließendes Gesamt- , urteil besonders wichtig sein: für die Frage, ob 1 C. G. Jung am Ende seiner großen Gelehrtenlaüf- j bahn vielleicht doch noch den Weg zur Philosophia . perennis gefunden hat?

Ein klares und sicheres Urteil über das vorliegende , Buch ist vor allem dadurch erschwert, daß es großenteils die Gedankenwelt der mittelalterlichen Alchemie und Astrologie mit ihren für : die moderne westliche Wissenschaft so krausen und unverständlichen Gedankengängen in sich aufgenommen hat. Es ist außerordentlich schwer, dem [ Verfasser hierbei zu folgen: bei allem Bemühen, ihm , gerecht zu werden, will es dem Leser manchmal scheinen, als habe sich Jung immer mehr in eine undurchsichtige synkretistische Ideenwelt verirrt, die christliches Gedankengut oft in äußerst verwirrender Weise vermischt mit der Geheimwissenschaft gnostisch-theosophischer Arkanlehren, mit östlichem Gedankengut (Karma) und indischen Yoga-Lehren, mit der chinesischen Yang- und Yin- Mystik, so daß der Leser schließlich überhaupt , ‘nicht mehr weiß, welchen Standpunkt der Verfasser als eigenen vertritt. Die Vermengung christlichen Gedankengutes mit diesem Synkretismus wirkt mehr verwirrend und irreführend als klärend; sie ist zweifellos mit daran schuld, daß der Verfasser auch in Kreisen katholischer Gelehrter begrüßt wird als Bahnbrecher einer christlich-universalistischen Psychologie, wobei man sich wohl an seine positiv deutbaren Aeußerungen hält, nicht aber auch an die okkultistische Neigung zu einer ausgesprochenen Magia nigra.

Trotz dieser grundsätzlichen Bedenken handelt es sich hier zweifellos um ein außerordentlich tiefschürfendes Werk, das uns Modernen zeigt, wie tiefe Schätze der Weisheit in der vom rationalen Denken der Neuzeit so verkannten Alchemie und Astrologie verborgen waren und für uns weitgehend verschüttet sind. Es wird Jungs Verdienst bleiben, daß er gezeigt hat, welche Bedeutung gerade für die moderne Tiefenpsychologie vertieftes Eindringen in diese alte Weisheit gewinnen kann. Für eine wahrhaft universalistische Wissenschaft kann es keinen Zweifel geben, daß alle wirklichen Wahrheitserkenntnisse, auch der Alchemie und Astrologie, mit zum integralen Wahrheitsgut der katholischen Wahrheit gehören und daher eingebaut werden müssen in ein großes System einer universalistischen Wissenschaft. Für diese Aufgabe wird es allerdings eines überragenden Geistes bedürfen, der vor allem die Gabe der Discretio spirituum besitzen muß, damit er schonungslos Wahres und Wertbeständiges von Falschem und Irreführendem scheiden kann, damit das Licht der Wahrheit nicht durch Irrtum und Irrlehre verdunkelt wird.

Jung kämpft gegen eine reine Bewußtseinspsychologie mit Recht für Anerkennung des Unbewußten; wieweit er recht hat mit seiner Lehre vom „Kollektiv-Unbewußten” und den „Archetypen”, sei hier nicht erörtert. Wenn er aber nach einer historischen Parallele für den Weg analytischer Tiefenpsychologie sucht, so hätte er eine solche klarer und überzeugender am „mistico viaggio” Dantes finden können als an der „mystischen Reise” des Alchemisten Michael Majer (p. 229 ss.).

Jung “bringt — und das ist der größte Vorwurf, den man gegen sein bisheriges Werk erheben muß — in geradezu gefährlich irreführender Weise Wahres und Falsches in einen unterscheidungslosen Synkretismus zusammen, der gnostische, manichäische, theosophisch-anthroposophische Elemente in wahllosem Gemenge neben- und durcheinander verarbeitet.

Diese grundsätzlichen Einwendungen dürfen uns allerdings nicht hindern, die Größe und den Mut des Gelehrten zu bewundern, der mit einer ungeheuren Fülle von Wissen und Kenntnis antiker und mittelalterlicher Literatur uns hier ein Werk von imponierender Größe hinterlassen hat.

Menschliche, psychologische und wissenschaftliche Größe anerkennen, heißt allerdings noch lange nicht, zu allem ja sagen, was der konsequente christliche Denker, für den die Philosophia perennis unwandelbare Richtschnur bleibt, niemals bejahen kann. Aber, wie bereits gesagt, ein endgültiges Urteil, ob und inwieweit wir zu Jungs Lebensarbeit als Gesamtwerk ja sagen können, wird erst nach dem Erscheinen des dritten Bandes dieses großen Werkes möglich sein.

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