US-Vasallen Blair & Co.

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Gibt es eine europäische Identität? Kann Europa zu einem eigenständigen Player gegenüber den USA werden? Ein Gespräch zur Habermas/Derrida-Debatte mit der Politikwissenschafterin Sonja Puntscher-Riekmann.

Die Furche: Jürgen Habermas und Jacques Derrida haben vor etwa drei Monaten eine Debatte über eine Identität Europas angezündet, die Europa gerade in der jetzigen Situation zu entwickeln habe. Braucht Europa eine solche Identität?

Sonja Puntscher-Riekmann: Zunächst einmal habe ich gewisse Vorbehalte gegenüber dem Begriff "Identität". Der kommt immer dann ins Spiel, wenn man nicht weiß, warum man beisammen ist. Ich bin der festen Überzeugung, dass es Identität - im Singular - in der Politik nicht gibt, wie es das übrigens auch im persönlichen Bereich nicht gibt: Wir haben alle mehrere Schichten von Identitäten, auch die Psychologie spricht ja von multiple self, nicht von einer eindeutigen, klar abgrenzbaren Identität.

Was ich mir wünsche, ist, dass Europa zusammenfindet - etwas, das sich eher mit "sich identifizieren" beschreiben würde: es geht darum, sich mit dem neuen politischen Gebilde namens Europäische Union zu identifizieren. Menschen identifizieren sich mit politischen Gebilden, mit Verfassungskonstruktionen, deren Werte, Normen und Verfahren sie teilen. Das wäre nun ein Punkt, wo ich sagen würde, dass die Initiative von Habermas, Derrida und anderen Intellektuellen sehr löblich ist: zu sagen, dass wir eine öffentliche Debatte über dieses politische Unternehmen namens Europäische Union brauchen.

Was mich an diesem Vorstoß ein bisschen gewundert hat, ist, dass er vollkommen abstrahiert hat von der 16-monatigen Arbeit, die im Konvent stattgefunden hatte. Keiner der Intellektuellen hat diese Arbeit reflektiert, weder kritisch, noch befürwortend, keiner von ihnen hat sich an die Akteure in diesem Konvent gewandt. Recht haben Habermas & Co. mit der Kritik, dass alle Vertragsänderungen der letzten fünfzig Jahre einschließlich der jetzigen weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit zustandegekommen sind - oder auf so spezialisierte Öffentlichkeiten hin orientiert waren, dass natürlich die große Begeisterung ausblieb. Wie soll sich aber so etwas wie eine europäische Bürgerschaft herausbilden, wenn man nicht weiß, was im Konvent thematisiert wurde, zu welchen Ergebnissen man gekommen ist und ob man mit den Ergebnissen leben will und kann?

Die Furche: Ist es so gesehen bezeichnend, dass diese Debatte zwar angezündet wurde, aber der große europäische intellektuelle Diskurs zum Thema nicht stattgefunden hat.

Puntscher-Riekmann: So ist es! Die Herangehensweise an das Thema, gerade bei Habermas, war ja eine außerordentliche abstrakte. Er hat im wesentlichen eine große Ratlosigkeit der Europäer konstatiert, wohingegen ich mir gedacht habe, also ich bin da nicht so ratlos, ich wüsste schon, welche Schritte man setzen müsste, um eine europäische Verfassung auch öffentlich zu debattieren und akzeptabel zu machen.

Die Furche: Was wäre Ihrer Meinung nach zu tun?

Puntscher-Riekmann: Der Grund, warum wir über eine Verfassung heute reden, ist, dass wir ökonomisch, aber auch politisch einen Integrationsgrad erreicht haben, der eines qualitativen Sprunges bedarf, vor allem in demokratiepolitischer Hinsicht. Denn in Europa hat ein solches Maß an Zentralisierung stattgefunden, dass man sich die Frage stellen muss, ob das demokratiepolitisch tragbar ist.

Dabei wird sichtbar, dass die Bürgerinnen und Bürger Europas oft überhaupt nicht begreifen, auf welche Art in Europa Politik gemacht wird: dass es nämlich im wesentlichen nationale Regierungen sind, die auf europäischer Ebene die Entscheidungen treffen. Dem Bürger hingegen erscheint die Union immer als deus ex machina, der irgendwie von oben herab weitreichende Entscheidungen trifft. Wenn man sich die Verträge ansieht, und wenn man sich vor allem ansieht, was jetzt in der Regierungskonferenz zur Verhandlung ansteht, dann erkennt man, dass wir es mit einem Institutionengefüge zu tun haben, das befugt ist, Entscheidungen in einer Vielzahl von Bereichen zu treffen, dass die Mehrheitsentscheidungen sehr ausgeweitet worden sind - dass also ein Staat mit seinem Anliegen unter Umständen einem Mehrheitsvotum unterliegen kann und dennoch das entsprechende europäische Recht vollziehen muss. In einer Vielzahl von politischen Bereichen können wir nicht mehr national entscheiden. Dies alles den Bürgern und Bürgerinnen nahe zu bringen und klar zu machen, wäre meines Erachtens das erste Gebot der Politik.

Ich bin ja auch immer dafür eingetreten, diesen neuen Verfassungsvertrag einer Volksabstimmung in sämtlichen Mitgliedstaaten zu unterwerfen. Dem wird entgegengehalten: Aber was tun wir, wenn einzelne Staaten nein sagen? Ist dann der ganze Vertrag null und nichtig? Hier hätte man sich vorher überlegen müssen, unter welchen Bedingungen man solche Volksabstimmungen macht, aber ich glaube, das wäre der Zeitpunkt gewesen, die Menschen, für die das ganze Werk ja gedacht ist, mit den Ergebnissen dieser Konferenz zu konfrontieren.

Die Furche: Man muss ja die Habermas/Derrida-Initiative wohl auch vor dem Hintergrund der transatlantischen Auseinandersetzung um den Irak-Krieg sehen...

Puntscher-Riekmann: Ich glaube, diese Spannung zwischen den USA und Europa muss man sehr differenziert betrachten. Zum einen hat die Union - entgegen manchen Vorurteilen - eine sehr große Bedeutung, auch in ihrer Außenpolitik, aber es ist die Bedeutung eines Handelsriesen. Das soll man dennoch nicht gering schätzen, Handelspolitik ist ein wichtiger Teil der Außenpolitik und diese nicht nur Sicherheits- und Militärpolitik. Und zum anderen darf man nicht übersehen, dass es innerhalb der EU zum Irak-Krieg einfach keine einheitliche Meinung gab, wobei das "neue Europa" nicht nur in Osteuropa angesiedelt war, wie Chirac versucht hat, das darzustellen: Von den Briten einmal abgesehen, gab es mit Spanien und Italien zwei wichtige Mitglieder der Union, die sofort ihre völlige Loyalität zu den USA deklariert haben.

Die Furche: Was bedeutet das für die künftige Rolle Europas?

Puntscher-Riekmann: Die Außenpolitik ist ein zentraler Punkt der europäischen Einigung - und ich will nicht meinen Unmut verhehlen, dass auch im neuen, jetzt vorliegenden Vertragsentwurf die Fortschritte auf diesem Gebiet gering sind. Aber man muss dennoch sehen, dass die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik im klassischen Sinne jener Rubikon ist, jenseits dessen nationalstaatliche Souveränität endgültig ins Mark getroffen ist. Dass hier alle klassischen nationalen Eitelkeiten wie im 19. Jahrhundert wieder auf den Plan treten, ist nicht etwas, das mich überrascht. Es bedrückt mich, aber es überrascht mich nicht. Selbstverständlich glaube ich, dass wir weiterhin mit einem Unilateralismus der USA konfrontiert sein werden, dass die Europäer hier bestenfalls die Vasallen abgeben werden und sich nicht einbilden sollen, sie könnten eine eigenständige Außenpolitik machen. Was immer in den Köpfen von Blair, Aznar, Berlusconi herumspuken mag, sie sind Vasallen.

Dass all das Europa zu einem Schwächling macht, steht außer Streit. Die Irak-Krise hat uns das vor Augen geführt. Andererseits sieht man ja auch, nicht nur was den Irak-Krieg, sondern auch was Afghanistan betrifft, dass die Amerikaner dieser Krisensituationen nicht Herr werden. Ganz im Gegenteil: Auch wenn Bush nun das laute Pfeifen im dunklen Wald zu seiner rhetorischen Strategie macht, ist dennoch unübersehbar, dass die Amerikaner zwar in der Lage sind, die verschiedenen Krisenherde militärisch kurzfristig zu dominieren, sie aber weder ein Konzept für eine Nachkriegsordnung haben, noch willens sind, in den Aufbau einer solchen massiv zu investieren. Nun versuchen die Amerikaner jedenfalls, neue Partner für den Wiederaufbau zu gewinnen. Daher auch das Bemühen, eine neue UNO-Resolution zustande zu bringen. Das ist der Moment, in dem die Europäer stark sein könnten. Das wäre die zweite Chance, zu einer gemeinsamen Außenpolitik zu kommen.

Sonja Puntscher-Riekmann ist Leiterin der Forschungsstelle für institutionellen Wandel & europäische Integration an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Zu diesem Thema bereits erschienene Beiträge:

Clemens Sedmak: "Vorrang für alte' Werte" (Nr. 25/19. Juni)

Heinrich Neisser: "Was will Europa sein?" (Nr. 28/10. Juli)

Peter Strasser: "Die Erfindung Europas" (Nr. 33/14. August)

Bruno Aigner: "Alternative zu US-Modell" (Nr. 34/21. August)

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