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Die Opferkirche der modernen Baukunst

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Für den Architekten bildet der Entwurf eines Sakralbaues eine Aufgabe besonderer Verpflichtung. Sie bedeutet nicht nur die Erfüllung eines bestimmten Raumprogrammes wie bei einem Zweckbau, oder das Suchen nach künstlerischem Ausdruck eines profanen Monumentalbaues. Sie bedeutet letztlich den Aufruf zur Gestaltung einer irdischen Manifestation eines überirdischen Prinzip?,, dje Erweiterung de? in der Schöpfung Geschaffenen durch ein Werk des menschlichen Geistes, in dem sich die reale Welt mit der transzendentalen berührt. Für den Kirchenbauer gilt im besonderen das Wort des französischen Dichters Paul Valėry, mit dem er die Aufgabe des Baukünstlers umschrieben hat, von der er sagt: „Der Architekt nimmt den Punkt, wo Gott in seiner Schöpfung stehengeblieben war, zum Ausgangspunkt seines Schaffens."

Nachdem die abendländische Sakralbaukunst im Verlaufe ihrer Entwicklung alle Möglichkeiten erschöpft zu haben vermeinte, wurden im vorigen Jahrhundert die neuen Kirchen wieder im gotischen, dem sogenannten neogotischen Stil gebaut. Aber wir können nicht zu den alten

Domen zurückkehren und ihre unterbrochene Uebung wieder aufnehmen. Schon das Werkzeug, die Technik, würde sich uns versagen. An sich wäre es ja möglich, die tiefen Portale und gewaltigen Pfeiler der Romanik oder die Netzgewölbe der Gotik nachzuahmen, aber es wäre nicht wahr (Rudolf Schwarz). Unbewußt fühlt man in solchen Kirchenräumen die historische Unwahrheit, In solchen Kirchen kann man nicht beten, ist keine Begegnung mit , dem persönlichen Gott. Rilke hat ihren architektonischen Ausdruck treffend verglichen mit einem Käfig, der „Gott umklammert wie ein gefangnes Tier".

In dieser Situation tritt die sakrale Baukunst auf neue Strömungen, sowohl in geistig-religiöser als auch in architektonisch-künstlerischer Beziehung.

ln geistig-religiöser Beziehung ist es die liturgische Bewegung, das Laienapostolat und die christozentrische Bewegung, die eine Erneuerung der im Schwinden begriffenen religiösen Substanz anstrebt;

in architektonisch-künstlerischer Beziehung ist es die Erweiterung des optischen Gesichtsfeldes des modernen Menschen und damit die Preisgabe des seit der Renaissance vorherrschenden perspektivischen Raumerlebnisses zugunsten des Erlebnisses der Struktur und der Funktion in der bildenden Kunst, und in technischer Beziehung sind es die modernen Baustoffe Stahl, Stahlbeton und Glas, die völlig neue Raumkonzeptionen mit bis dahin nicht verwirklichbaren Großräumen, bei geringster Dimensionierung der Konstruktionselemente gestatten, also eine neue „Entmaterialisation des Materials“ (Worringer).

Das technische Zeitalter hat eine eigene Bauweise entwickelt, streng auf das Werk bezogen, dem der Bau dienen soll. Diese strenge Sachlichkeit übertrug sich vom Industriebau auf alle Bauarten. Es ist nicht einzusehen, warum die heute gegebene Weise des Bauens für den Bau der Kirche nicht gelten dürfe. Das hieße eingestehen, daß von der heutigen Welt und dem heutigen Leben überhaupt kein Weg mehr zu Christus und zum Glauben führen könne, daß Religion und Leben heute völlig disparate Dinge seien, die bestenfalls beziehungslos neben- einander herlaufen, aber sich niemals durch- dfipęen könntet . Die Gemeinschaft der Gläubigen hat aber den Auftrag, i.n d i e W e 11 zu gehen und sie zu taufen. Die Gläubigen von heute haben den Auftrag, ihre heutige Zeit, in der sie leben, christlich zu machen, und daher die Aufgabe, sie in ihrer Sprache anzureden. Die Kirche, die heute gebaut wird, legt unmittelbar Zeugnis ab, ob wir als Jünger des Herrn heute seinen Auftrag erfüllt haben. Ob wir heute noch genau so die Kraft haben wie die Menschen der Romanik und der Gotik, für unsere technische Zeit und ihren technischen Menschen die Kirche in einer gültigen Gestalt zu bauen. Das heißt nicht, daß unsere Kirchen zu Industriebauten werden sollten oder auch nur dürften. Das wäre Preisgabe des Christlichen, das nicht von dieser Welt ist. Die Kirche muß aber als Gebäude — wie die Gläubigen selbst — in dieser Welt stehen. Auch die Technik und ihre Bauweise ist immer noch Teil der Schöpfung und daher an sich gegen Gott offen. Unsere Aufgabe als Christen ist, die technische Bauweise hereinzuholen und aus der Werkhalle, dem mit modernen Mitteln überspannten Raum, der die erste Anwendung modernen Bauens darstellt, ebenso die Kirche zu gestalten, wie es frühere Zeiten etwa mit der römischen Basilika vermocht haben.

Auch die moderne Kirche ist primär Haus Gottes, weil in ihr von der gläubigen Gemeinschaft das von Christus gestiftete Mahl gefeiert wird. Sie ist das Haus der Gemeinde, in deren Feier der Herr eintritt. Diese Feier des Herrenmahles ist das Lebensgesetz der Gemeinde und damit Baugesetz der Kirche. Wie vom Glauben, werden auch von der gebauten Kirche der Ernst, die Tapferkeit und die innere Freiheit gefordert, sich vor dem Ansturm der Welt nicht zu retten hinter den Sicherheitspanzer des Monumentalen oder in die Fliehburg des subjektiv — gefühlsmäßig — Geborgenen.

Der Kirchenbau muß den Gläubigen in die Situation Christi stellen; muß ihn hineinrufen in die Opferhingabe Christi an den Vater, die in dem von Christus gestifteten Mahl in unserer Mitte geschieht. So wird der Kirchenraum nur eines tun: er wird das heilige Opfer mit der größten Klarheit und Unbedingtheit zum absoluten Mittelpunkt machen. Er wird den Altar darum nicht nur in die lebendige Mitte der Gemeinde rücken, sondern auch alles von ihm fortlassen, was nicht zum Vollzug des Opfers gehört und eine Verdunklung, Verschleierung und Vermengung bedeuten könnte.

Von der Opferkirche der Romanik über die Predigtkirche der späten Gotik, der Zentralraumkirche der Renaissance und der schauspielhaften Raumillusion als Hintergrund der heiligen Handlung im Barock spannt sich der Bogen der abendländischen Sakralbaukunst, bis er wieder in der Opferkirche der modernen Baukunst mündet. Eine über tausendjährige Geschichte liegt dazwischen. Ob die moderne Architektur einen Abschluß in dieser Reihe bedeutet oder einen neuen Anfang im Sinne einer universalen Kunst, die nicht nur das Abendland, sondern die Welt umfassen wird, vermögen wir heute noch nicht zu sagen. Aber die Anzeichen sprechen dafür, daß die Weltkirche in der universalen Möglichkeit, die in der neuen Architektur verborgen zu liegen scheint, zu einem universalen und nicht auf einzelne Kulturbereiche abgegrenzten Stil in der Architektur des Gotteshauses gelangen kann, der ihrer Mission und ihrem Auftrag entspricht.

Denn nur, wenn der Kirchenbau aus dem inneren Gesetz der Kirche, aus ihrer Feier und ihrer Anbetung, ' aus ihrem Wirken in diesen Tagen kommt, hat er ein Recht und eine Aufgabe, die allerdings eingebettet ist in die Stetigkeit. Nur von diesem Standpunkt aus kann der Kirchenbau leben und erneuert werden, und soweit er lebendig ist, gewinnt er von hierher seine Kraft. Aus dieser Sicherheit wird er sich jedes Mittel dienstbar machen, und es wird und es kann für ihn weder Materialfurcht noch Materialverherrlichung geben.

In unseren Tagen steht eine reiche Fülle technischer Möglichkeiten dem formenden Geiste zur Verfügung, so daß bisweilen mehr Mut zur Bescheidung als zum Ergreifen gehören könnte. Indem der Baukünstler der Gegenwart der Welt mit der Einfachheit und der Eindeutigkeit seiner dienenden Räume begegnet, stellt er gegen alle Kompliziertheit des technischen Apparates, gegen die Zerrissenheit und Unruhe der Gegenwart die gleichnishaft kündende Form des Einfachen, der Sammlung und der Stille.

Zweifellos ist die moderne Architektur — insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg — in ein Stadium getreten, in dem mit der modernen Statik — einem nicht gebändigten Spieltrieb folgend — Unfug getrieben wird. Die Originalitätssucht mancher Bauherrn und Architekten kennt keine Zügel und es gibt bereits zahlreiche Bauten, die jene wertvollen Bauwerke überschreien, in denen eine wahrhafte Koinzidenz zwischen Konstruktion, Funktion und baukünstlerischer Gestaltung erreicht wurde. Solche Bauten sind durchaus nicht immer als „Experiment" zu bezeichnen. Mag eine solche Reklamewirkung für manche Sparten der Profanbauten gerechtfertigt erscheinen, für den Sakralbau ist sie unbedingt abzulehnen.

Die modernen Baustoffe und die moderne Statik beinhalten eine Versuchung eigener Prägung für den Baukünstler der Gegenwart. Ihr bei Aufgaben der sakralen Baukunst zu erliegen, bedeutet einen Frevel besonderer Art. Zügellose Phantasie, spielerische Anwendung konstruktiver Möglichkeiten und Originalität um jeden Preis sind schon bei profanen Bauten höchst fragwürdige Qualitäten. Bei Sakralbauten wird den Maßstab der Beurteilung jene Wahrheit und Wahrhaftigkeit bilden müssen, um die die im besten Sinne des Wortes modernen Baukünstler seit Beginn der neuen Aera des Bauens gerungen haben und noch weiter ringen, je differenzierter die technischen Möglichkeiten werden.

Wir finden aber auch in der modernen Sakralarchitektur zahlreiche Bauten mit sinnfälliger

Uebereinstimmung zwischen konstruktivem Aufbau und formaler Durchbildung, zwischen Inhalt und Form, also den Ausdruck der Wahrheit des architektonischen Gefüges und damit der Wahrheit der architektonischen Konzeption. Und diese Wahrheit ist eines der wesentlichen Elemente, das im modernen Kirchenbau zum Ausdruck kommen muß.

Während sich im Profanbau durch die neuen konstruktiven Möglichkeiten für die Zukunft eine im allgemeinen erfreuliche Entwicklung abzeichnet, stehen wir im Sakralbau vor einem weitaus schwierigeren Problem. Infolge der religiösen Zweckbestimmung der Kirche, bei der nur ganz zurückhaltend von funktionellen Belangen die Rede sein kann, ist die Priorität der formalen Gestaltung selbstverständliche Voraussetzung. Es ist das unbestimmte Privileg der Monumentalarchitektur, in souveräner aber beherrschter Art über das rein Zweckmäßige hinaus nach künstlerischem Empfinden zu gestalten, im Kirchenbau jedoch unter genügender Wahrung der liturgischen Belange — vor dem verpflichtenden Hintergrund kirchlicher Tradition und Würde. Wenn im Profanbau das Zweckmäßigste auch das ästhetisch befriedigendste Resultat zeigt, unterliegen die Konstruktionsformen, die Gliederung, das Linienspiel, das Detail und der Oberflächeneindruck im Kirchenbau weit empfindsameren Gesetzen. In der wohlabgewogenen und glückhaften Verbindung der konstruktiven und materialtechnischen Seite mit den dominierenden Formproblemen des Kirchenbaues, in der harmonischen Vereinigung der geistig-religiösen Belange mit dem Technischen zum Gesamtkunstwerk wird der Weg zu moderner, überzeugender Gestaltung zu suchen sein.

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