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Ein Kampfflugzeug für den Weltfrieden

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Auf dem Arbeitstisch lag ein aquarelliertes Blumenstück, auf einem Klappstuhl daneben lehnte ein Aquarell noch samt der Unterlage, Wiesenblumen in einer Vase, zwei Tage alt, also fast noch feucht, Farben und Strukturen des Straußes und der Blüten von seltener Harmonie.

Besuch in einem Maleratelier? Nein, Besuch bei dem österreichischen Architekten Clemens Holz- meister, der über 93 Jahre alt und gerade mit dem fünften Umbau des Kleinen Salzburger Festspielhauses beschäftigt ist, wozu er seinen eigenen Entwurf eben modifiziert hat, um der Technik entgegenzukommen.

Aber Anlaß des Besuches in der Salzburger Brunnhausgasse ist etwas anderes, die Idee Holzmeisters für ein „Weltheiligtum der Religionen für den Frieden”, den „Cosmogral” - eine faszinierende Idee, die „so viel kostet wie ein modernes Kampfflugzeug, 100 Millionen Schilling”, sagt Holzmeister erläuternd: „Ich habe mein Können dazu verwendet, in unserer hoffnungslosen Situation im Weltgeschehen einen Beitrag zu leisten. Ich kann nicht reden, aber ich kann zeichnen.”

Der monumentale Entwurf, der auf neutralem Boden verwirklicht werden sollte, könnte auf einer Südseeinsel ebenso gebaut werden wie an der Geburtsstätte des heiligen Paulus in Tarsos oder, wie es sich der ägyptische Staatspräsident Sadat vorstellt, sobald der Friede mit Israel geschlossen ist, auf dem Berg Sinai.

Man muß nicht viel von Zufall halten, mehr schon von Bezügen, die sich plötzlich (oder auch sich langsam entwickelnd) ergeben: Gerade in dem Jahr, in dem die Salzburger Hochschulwochen dem Thema „Jesus Christus und die Religionen” gewidmet waren, publizierte Holzmeister die Idee vom „Cosmogral”, die nichts mit Synkretismus zu tun hat, aber alles mit dem Frieden, der Begegnung von Menschen und Völkern.

Man sollte sich erinnern, daß Nikolaus von Kues im ausgehenden Mittelalter in der Schrift „De pace seu concordantia fidei” (1453) eine Vereinigung der verschiedenen Religionen angestrebt hat; die Religionen sind für ihn nur verschiedene Ausdrucksweisen des ewigen Logos und deshalb einer Harmonisierung fähig. Durch ein Religionsgespräch in Jerusalem sollte diese Einheit hergestellt und der Anfang zu ihrer praktischen Entwicklung gemacht werden.

Für unsere Tage bietet Clemens Holzmeister den architektonischen Entwurf. Es gibt in Rom ein Sekretariat für die Beziehungen zu den nichtchristlichen Religionen, das sich mit diesem Entwurf wird beschäftigen müssen, zumal auch schon UN-Generalsekretär Kurt Waldheim damit befaßt war und sich offensichtlich mehr Staatsmänner als

Vertreter von Religionen - abgesehen von Wiens Erzbischof Kardinal König - mit dem Cosmogral auseinandersetzen, ahnend oder wissend, daß das Heil nicht mehr von Ideologien und Technologien wird kommen können.

Unter dem Eindruck der Idealpläne für Kathedralen in Brasilien, so berichtet Clemens Holzmeister in seiner Autobiographie, erhielt er „eines Tages den Brief eines Tiroler Pfarrers aus Eben am Achensee, in welchem der geistliche Herr Thomas Schipflinger mich zu einem besonderen Werk aufruft”. Holzmeister zitiert dann aus Schipflingers Brief:

„In unserer Zeit ist nicht nur die Ökumene der Konfessionen, sondern die große Ökumene der Religionen notwendig, um in einer gemeinsamen Anstrengung den Frieden, einen wahren Frieden zu begründen, ja die dazu notwendigen Voraussetzungen religiöser und geistiger Natur zu schaffen… Wäre es da nicht ein wunderbarer Gedanke, ein ,Weltheiligtum Cosmogral” der Religionen zu errichten, an dem ‘alle Religionen mitarbeiten, in dem alle Weltreligionen ihre eigene und gemeinsame Stätte der Anbetung und der Aussprache haben … Diese Idee braucht unbedingt einen architektonischen Ausdruck, ein architektonisch prophetisches Manifest.”

Holzmeister ist Träger dieser Idee geworden. Seine Verbindungen haben dafür weltweites Interesse geschaffen, zur Finanzierung glaubt er, müsse man wohl auf ein oder zwei große Geldgeber (Ölmagnaten vielleicht?) hoffen.

Die Universalität des Grals - ein Name, der in fast allen Religionen und Kulturkreisen ein kostbares Gefäß der Gnadenspende bedeutet - wurde zum Zentralbau. Holzmeister schildert die Architektur selbst so:

„Um die gewaltige Gralsschale mit 50 Metern Durchmesser lagern sich die heiligen Schreine oder Lebensheime der acht religiösen Traditionen der Menschheit. Es sind dies (nach dem Alphabet): Buddhismus,

Christentum, Hinduismus, Human- theosophische Gruppen der Neuzeit, Islam, Judentum, Naturreligionen und Universismus (Konfuzianismus und Taoismus). Diese um den Zentralbau herum gelagerten Lebensheime der einzelnen Religionen besitzen einen Garten, ein Heiligtum und Räume für Kommunikation und Information, Dialog und Meditation. Sie nehmen die Gläubigen in ihre gewohnte religiöse Geborgenheit auf, sie isolieren oder verschlucken sie aber nicht, sondern sie weisen und sammeln sie hin zur großen Mitte des einen Heiligtums, zum Heiligen Gral Gottes.”

Acht Aufzüge führen von den einzelnen Heimen aus auf die Patene des Grals, auf die Plattform der Schale. Sie ist der Ort gemeinsamer feierlicher kultischer und manifestatori- scher Akte. Die Heime untereinander verbindet ein gedeckter Arkadengang, der den Blick auf den Rundgarten um den Zentralbau freigibt. Durch diesen Garten führt ein groß angelegter Freieingang zum Entree der monumentalen Gralsschale, die vom Allerheiligsten des Heiligtums gekrönt ist. Das ist die von vier Pfeilern getragene, achtrippige eigentliche Hohe Gralsschale von etwa 25 Metern im Durchmesser.

Betrachtet man das Gebäude im Schnitt, so sieht man, wenn man will, Parabolspiegel, die Kraft aus allem, was über ihnen ist, auffangen, oder auch eine Radarantenne, um auf einem Bildschirm etwas einzufangen, was für die Menschheit von höchster Bedeutung ist. An eines hat C. H. vielleicht nicht gedacht (oder es nicht gesagt), man findet es aber in der Biographie als Aquarellskizze: an die Ähnlichkeit mit den Brunnen auf dem Petersplatz in Rom.

Dieses Weltheiligtum - wird es je erstehen, wird es gebaut werden können? Clemens Holzmeister gibt in seiner Autobiographie selbst Antwort: „Diese acht Quartiere, in Steinarchitektur gedacht, lagern im Kreis um die große Schale. In ihren Sälen will eine interregionale Zusammenarbeit den Weltfrieden erreichen. Die große vereinigte Versammlung oben auf der Schale verkündet dann ihr Manifest unter dem freien Himmelszelt Der riesige achteckige Stern leuchtet als Symbol der Versammlung” (Seite 273 der Selbstbiographie).

Ein romantisches, ein utopisches Ziel, ganz gewiß. Wenn aber je einer, auch wenn er sich als Atheist deklarierte, die Frage des Noch-Nicht und seiner Verwirklichung bedacht hat, dann Emst Bloch. Und so sollte der U-Topos, der Standplatz des Noch-Nicht, verwirklicht werden. Vielleicht ist es ein Manifest der Suche nach der Blauen Blume der Romantik, ein Manifest der Suche des Weltfriedens. Aber wenn man sich nicht aufmacht, etwas zu suchen, kann man sicher sein, es nie zu finden.

Clemens Holzmeister hat das in Salzburg in fast fünfzigjährigem Wirken, mit Unterbrechungen, gezeigt, daß man ständig suchen muß. Mit keinem anderen Architekten ist der Salzburger Festspielbezirk mehr und inniger verbunden als mit dem gebürtigen Tiroler, der nun darangeht, das Kleine Festspielhaus zum fünf- tenmal umzubauen. Dabei ist zwar in erster Linie daran gedacht, das Haus akustisch zu verbessern, es wird aber auch den Besuchern eine eigene Rolle zuweisen: „Der Zuschauer soll nicht nur inmitten des Spielplatzes seinen Sitz erhalten, sondern in gewissem Maß auch zum Mitspieler werden, zum Teil einer theatralischen, zur Dekoration werdenden Saalarchitektur”, schreibt Wolfgang Greisenegger im ersten Band der Holzmeister-Biographie (Seite 275), und er läßt Clemens Holzmeister sagen: „Der Zuschauerraum wird in einen ,Marktplatz” verwandelt, der vor der Bühne sich aufbaut.”

„Die zur Zeit vorhandenen, seitlich unterteilten Holzwände des Saales bleiben erhalten, werden aber zu hohen schmalen Häusern mit Türen, Baikonen, Erkern und vorkragenden Grabendächem”, lautete das ursprüngliche Konzept, von dem sich aber Technik wie Bühnenbildner zu sehr belastet fühlten. Die Dachkonstruktionen bleiben jetzt weg, die Beleuchter erhalten dafür einen Balkongang. Im ganzen gesehen, bleibt etwa der Eindruck des Arkadenhofes eines Renaissancepalastes, ähnlich vielleicht dem Palazzo Jeremia in der Via Rodolfo Belenzani in Trient.

Man findet in diesem Umbau Anklänge an Holzmeisters große Faust-Stadt, die er für Max Reinhardts Inszenierung in der Felsenreitschule 1933 über die ganze Bühnenbreite von 40 Metern gebaut hat und die seither ein theatergeschichtlicher Begriff geworden sind, ebenso wie aus seiner allerdings weniger bekannten Don-Gipvanni-Stadt von 1953 am selben Spielplatz: theatralischer Architektur.

Romantik, definierte Herbert Muck in seiner Festrede auf den damals 90jährigen Clemens Holzmeister in Dürnstein, sei „als die Fähigkeit (zu) bestimmen, in Bildern ein Gleichnis seelischer Tiefe zu finden, oder als ein Gerichtetsein auf ganzheitliches Weltverständnis, das man über die Innenerfahrung gewinnt.” (Seite 8 der Biographie)

Von daher versteht man auch wie selbstverständlich das Engagement Holzmeisters für den Cosmogral. Denn die Komponente des Kosmos, der universalen Ordnung, des Gleichgewichts, ist ein entscheidender Wesenszug an ihm. Sieht man die Vergleichende Religionswissenschaft an, so zitiert sie aus fast allen Jahrhunderten Bemühungen, die Religionen mögen sich einigen, zu dem Einen, zu dem Heiligen finden.

So erinnert etwa Friedrich Heiler an den Mogulkaiser Akbar (1564-1605), der, selbst Muslim, getreu seinem Wahlspruch „Friede mit allen” nicht nur Toleranz gegenüber andersgläubigen Untertanen übte, sondern auch in engem Austausch mit Jesuitenmissionaren stand, ihre Kapelle besuchte und ihre heiligen Bücher und Bilder küßte.

Um der Einheit der Religionen näher zu kommen, ließ er ein „Gottesdiensthaus” errichten, in dem allwöchentlich Gespräche der Vertreter der verschiedenen Religionen stattfanden. Zuletzt suchte er eine überkonfessionelle Religion, die Religion Gottes oder „göttlichen Monotheismus”, zu schaffen.

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, mit den vielen guten Aussagen des Konzils über die nichtchristlichen Religionen, sollte es, wie es in mancher Vorlesung der diesjährigen Salzburger Hochschulwochen anklang, wohl möglich sein, sich mit der Idee des Cosmograls auch auf seiten der römisch-katholischen Kirche zu beschäftigen, selbst wenn der Präsident des Sekretariats für die nichtchristlichen Religionen, Kardinal Sergio Pignedoli, in Salzburg bei der Festveranstaltung gesagt hat, für ihn gebe es nur das Gespräch mit den einzelnen Vertretern der nichtchristlichen Religionen.

Sieht man dazu als Hintergrund die Auseinandersetzungen auf der Wiener Tagung über Wissenschaft und Technik im Dienst der Entwicklung und die vielen Differenzen, die dort auftraten, weil immer noch von Ausbeutung, Benachteiligung, Neokolonialismus geredet wird und weil sich die unterentwickelten Länder in sehr radikaler Weise benachteiligt sehen, dann wird man einem Projekt wie dem „Weltheiligtum Cosmogral” nicht nur Chancen geben.

Man empfindet es vielmehr als Verpflichtung, als die große, unwiederholbare Möglichkeit der geistigen Situation unserer Zeit und Welt, sich zu diesem Projekt zu bekennen: das gilt für alle angesprochenen Religionen in gleicher Weise. Das große gemeinsame Symbol der Schale, des heiligen Grals, so meinte Clemens Holzmeister in seinem Gespräch, vereinige alle und verleihe das Gefühl, daß jemand über uns entscheide:

„Wir müssen gegen das schauerliche Rüsten gegen den Frieden auftre- ten und es stören.”

Literatur: Clemens Holzmeister, Architekt an der Zeitenwende, Bd. 1 und 2 der Biographie (Verlag Das Bergland-Buch, Salzburg, Stuttgart, Zürich).

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