"Verstehen, was Begehren sein kann"

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Sophie Wennerscheid ist Professorin für skandinavische Literatur an der Universität Gent in Belgien. In ihrem neuen Buch "Eigenartiges Begehren. Sexualität und Technologie im 21. Jahrhundert", das 2018 im Berliner Verlag Matthes &Seitz erscheinen wird, untersucht sie neuartige sexuelle Praktiken, die vielen Menschen fragwürdig erscheinen. Besonders deutlich wird eine solche Fragwürdigkeit in der Beziehung zwischen Menschen und humanoiden Wesen, den "technologisch Anderen" also. Grundlage der Arbeit sind empirische Studien zum Umgang von Menschen mit Sexpuppen, Sexrobotern oder anderen Technologien sowie auch Geschichten aus Science-Fiction-Büchern und -Filmen.

DIE FURCHE: Wie sind Sexroboter zum großen Thema geworden?

Sophie Wennerscheid: Den maßgeblichen Impuls hat der Computerexperte David Levy gegeben, als er 2007 sein Buch "Love and Sex with Robots" veröffentlichte. Levy präsentiert sich darin als Visionär, der davon ausgeht, dass die Menschen in etwa 50 Jahren erfüllende Liebesbeziehungen zu Robotern haben werden. Und zwar sowohl in partnerschaftlicher wie in sexueller Hinsicht. Seine Ansichten blieben natürlich nicht unwidersprochen. Da vieles von dem, was Levy beschreibt, noch nicht Realität ist, gibt es aber kaum valide empirische Studien zur Nutzung solcher Roboter. Deshalb ist die Debatte sehr polarisiert.

DIE FURCHE: Nun wird auch diskutiert, ob diese Roboter eventuell zur Therapie von Sexualstraftätern eingesetzt werden können. Halten Sie das für sinnvoll und vertretbar?

Wennerscheid: Natürlich könnte man sich vorstellen, dass Puppen oder Roboter eingesetzt werden, um Menschen zu helfen, denen es schwer fällt, sexuelle Beziehungen zu pflegen. Sie könnten benutzt werden, um einen entspannteren Umgang mit Sexualität und Körperlichkeit zu lernen. Bei Sexualstraftätern ist das schwieriger. Wenn sich ein Täter in Therapie begibt, dann hat er vermutlich bereits ein Problembewusstsein entwickelt. Gemeinsam mit den Therapeuten gilt es, das Fehlverhalten in den Griff zu kriegen. Das funktioniert aber nicht, indem es einfach an einem Roboter ausgelebt wird. Es geht nicht darum, alle Arten von sexuellen Bedürfnissen, hinter denen ja oft auch noch etwas ganz anderes steht, auszuagieren, sondern ein kontrolliertes Verhältnis dazu zu bekommen.

DIE FURCHE: In Japan gibt es mit Shin Takagi einen bekennenden Pädophilen, der über seine Firma lebensecht aussehende Kinderpuppen herstellt und international vertreibt. Viele sehen darin den Versuch, ein Geschäftsmodell auf pädophilen Neigungen zu begründen; in Australien etwa wurde die Einfuhr bereits verboten. Takagi aber behauptet, diese Sexpuppen würden Menschen wie ihn daran hindern, sich an echten Kindern zu vergehen. Was sagen Sie zu diesem Argument?

Wennerscheid: Die Tatsache, dass es sich hier nicht um Sexroboter, sondern um Sexpuppen handelt, macht das Ganze nicht weniger problematisch. Viele Kritiker von weiblich aussehenden Sexrobotern fordern ein grundsätzliches Verbot dieser Maschinen, weil sie befürchten, dass so eine Objektivierung und Erniedrigung von Frauen weiter verstärkt wird. In Bezug auf humanoide Roboter oder Puppen, die aussehen sollen wie Kinder, gilt das erst recht. Verbote an sich bringen aber selten weiter. Auch im Fall der Pädophilie würde ich erstmal genauer hinschauen und differenzieren. Wenn sich Menschen bewusst in Therapie begeben, damit es nicht zu Übergriffen auf Kinder kommt, und die Therapeuten meinen, dass sie mit Sexpuppen arbeiten können, dann ist nicht ausgeschlossen, dass ein therapeutischer Effekt entsteht. Auf dem freien Markt solche Puppen zu verkaufen, halte ich hingegen für falsch. Hier würde ich für Gesetze plädieren, die das verbieten.

DIE FURCHE: Sehen Sie generell die Möglichkeit, dass ein Pädophiler seine sexuelle Neigung ausleben kann, ohne einem Menschen zu schaden?

Wennerscheid: Tendenziell ja, aber sicher nicht an Kindern. Verschiedene Arten von Sexualität können ja auch mit Sexspielzeugen ausgelebt werden. Die Frage ist, ob Pädophile dafür wirklich lebensechte Kindersexroboter oder Ähnliches brauchen. Man muss das im Einzelfall entscheiden. Die Massenproduktion von Puppen, die Kindern ähneln, rechtfertigt das aber nicht.

DIE FURCHE: Kann man sagen, welche Menschen Sexpuppen oder -roboter kaufen?

Wennerscheid: Soweit wir wissen, handelt es sich um "ganz normale" Männer ohne pathologisches Profil. Etwas überproportional sind vielleicht Menschen vertreten, die Versagensängste haben. Aber bitte keine vorschnellen Schlüsse: Aussagen wie "Das sind Sozialversager, die im echten Leben keine richtige Frau bekommen und sich dann mit einer Sexpuppe vergnügen", bringen uns nicht weiter.

DIE FURCHE: Sexroboter werden immer lebensechter, auch haptisch sollen sie echten Menschen nahekommen. Welche Probleme bringen diese Maschinen mit sich?

Wennerscheid: Es gibt hochwertig produzierte Sexpuppen, die relativ menschlich aussehen. Sobald man dies aber mit simulierten Emotionen verbindet, wirkt das Ganze befremdlich. Die Entwicklung von künstlicher Intelligenz, die ja nötig ist, um mit einem Roboter kommunizieren und interagieren zu können, steckt noch in den Kinderschuhen. Trotzdem gibt es Befürchtungen, dass Roboter, die so gebaut sind, dass wir alles an ihnen attraktiv finden, zu einer emotionalen Verarmung beitragen könnten. Wenn es möglich wird, einen vermeintlich 'perfekten' künstlichen Geliebten zu haben, könnte die Bereitschaft sinken, sich mit realen Menschen und ihren Schwächen auseinanderzusetzen.

DIE FURCHE: Gibt es für Sie eine Grenze, wie realitätsnah die Weiterentwicklung dieser Roboter werden darf?

Wennerscheid: Vor allem sollten sie nicht nach pornografischen Vorgaben konstruiert werden. Dann stellt sich die Frage, ob es überhaupt wünschenswert ist, Roboter zu konstruieren, die uns möglichst ähnlich sind. Wenn wir schon in der Lage sind, künstliche Wesen zu schaffen, warum dann nicht ganz Neues schaffen? Das könnte doch auch in sexueller Hinsicht spannend sein. Deshalb spreche ich in meinem Buch von "eigenartigem Begehren". Es mag uns komisch vorkommen, uns von einer Maschine berühren zu lassen, die wie eine Maschine aussieht. Aber viele Science-Fiction-Bücher und -Filme erzählen Geschichten, die zeigen, dass das nicht unproblematisch ist und trotzdem interessant sein kann. Ich denke, es wird unseren Wahrnehmungshorizont erweitern und uns auch helfen, besser zu verstehen, was Begehren überhaupt ist oder sein kann.

Wenn es möglich wird, einen vermeintlich 'perfekten' künstlichen Geliebten zu haben, könnte die Bereitschaft sinken, sich mit realen Menschen und ihren Schwächen auseinanderzusetzen.

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