Vor uns das Klon-Zeitalter

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Die ersten Projekte, einen Menschen zu klonen, sind im Gang. Wird das Klonen nun also endgültig salonfähig?

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Die ersten Projekte, einen Menschen zu klonen, sind im Gang. Wird das Klonen nun also endgültig salonfähig?

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Jetzt wird es also ernst: Im Auftrag der "Raelistischen Bewegung", einer Sekte, wird seit Dezember in den USA an dem Projekt gearbeitet, ein Kind zu klonen. Es soll die Kopie eines mit zehn Monaten verstorbenen Säuglings werden. Kommt es zum Wettlauf mit dem italienischen Arzt Severino Antinori, der vor drei Wochen angekündigt hatte, einen Menschen zu klonen. Stehen wir vor einem Dammbruch?

Hätte vor 20 Jahren jemand vor der Biotechnologie gewarnt mit dem Hinweis, eines Tages würde auch das Klonen von Menschen auf dem Programm stehen, er wäre wegen Verleumdung redlicher Wissenschaft gescholten worden. In den neunziger Jahren wurden wir aber langsam an den Gedanken gewöhnt: 1993 berichtete Jerry Hall von der George-Washington-Universität erstmals von einschlägigen Experimenten. Beruhigend hieß es damals, man habe mit lebensunfähigen Embryonen gearbeitet. Vor allem aber: Das Experiment habe wertvolle Erkenntnisse geliefert, eine Hoffnung für kinderlose Paare.

Fünf Jahre später machte dann Richard Seeds, ein US-Physiker, der sich der Reproduktionsforschung verschrieben hatte, Schlagzeilen. Er kündigte an, bei nächster Gelegenheit einen Menschen zu klonen. Ein Jahr darauf: "Daily Mail" berichtet, Forscher in Massachusetts hätten einen männlichen Embryo geklont und bis zu einem Stadium von 400 Zellen wachsen lassen. Sogar 32 Tage habe ein geklonter Embryo in Australien überlebt, berichtete heuer der "Daily Telegraph". Dann habe man ihn abgetrieben.

Soweit einiges von dem, was publik wurde in Sachen Menschen-Klonen - wohl nur die Spitze eines Eisberges. Man darf wohl annehmen: Der Dammbruch hat längst schon stattgefunden. Wesentlich beigetragen hat dazu sicher ein englisches Gesetz von 1990. Es gab der Wissenschaft grünes Licht für die Forschung an Embryonen, also an Kindern in den ersten Tagen ihrer Existenz. Damit wurde öffentlich sanktioniert, was vorher in den Labors wahrscheinlich getan, aber deswegen nicht gutgeheißen wurde.

Damit beschied der englische Gesetzgeber, dass der Mensch in den ersten 14 Lebenstagen seines Daseins als Gegenstand und nicht als Subjekt behandelt werden dürfe. Im Vorjahr ging das englische Parlament einen Schritt weiter: Es legalisierte das therapeutische Klonen, von dem man hofft, es werde einmal die Herstellung von Ersatzorganen ermöglichen. Im übrigen Europa wächst seither die Sorge, man könne den Anschluss in einer Zukunftstechnologie verpassen.

Daher löste die Entscheidung eine umfassende Debatte - vor allem in den deutschen Medien - aus. Auch die deutschen Bischöfe meldeten sich zu Wort (furche 12/2001). Die deutsche Regierung signalisierte, sie würde auf einen liberaleren Kurs einschwenken.

Welche Argumente führen nun die Befürworter der Nutzung von Embryonen ins Treffen? Zunächst viel Vordergründiges, etwa all das, was Antinori und seine Mitarbeiter bei der Bekanntgabe ihres Klonprojektes äußerten: Sie beriefen sich auf die Pflicht zur Hilfe für verzweifelte Paare, die ein Recht auf eigene Nachkommenschaft hätten. Weiters hieß es: "Warum sollten wir nicht tun, was Mutter Natur tut?" Zwillinge entstünden ja auf sehr ähnliche Art. Ein weiteres Motiv: "Leben retten und Krankheiten heilen."

Diesen Argumenten ist leicht zu entgegnen. Erstens: Es gibt kein Recht auf Nachwuchs. Auch wenn der Wunsch, eigene Kinder zu haben, mehr als verständlich ist, begründet er keineswegs ein Recht (siehe Spaemann-Interview, furche 13/2001). Wer unbedingt ein Kind will, hat ja die Möglichkeit, eines zu adoptieren.

Zweitens: Dass etwas, was in der Natur geschieht, nicht automatisch ein gleichartiges Tun legitimiert, lässt sich leicht an folgendem Beispiel zeigen: Dass es im Frühjahr in den Alpen eine Unzahl gefährlicher Lawinenabgänge gibt, kann niemand als Entschuldigung ins Treffen führt, der durch einen selbst ausgelösten Lawinenabgang Schaden verursacht.

97 Prozent Ausschuss Und drittens: Klonen dient keineswegs der Heilung einer Krankheit und schon gar nicht rettet es Leben. Vielmehr wird bei den Fehlschlägen, mit denen beim Klonen jedenfalls zu rechnen ist, Leben im großen Stil verschleudert. So gab es, bevor das Klonschaf "Dolly" das Licht der Welt erblickte, 277 Fehlversuche. 97 Prozent der bisherigen Klonversuche schlugen fehl. Daher verurteilt Ian Wilmut, "Vater" von "Dolly", das Klonprojekt: "Was Antinori vorhat, ist in krimineller Weise verantwortungslos." Es werde die absonderlichsten Missgeburten erzeugen: Monster von bis acht Kilo Geburtsgewicht, Kinder mit Fettleber, gestörtem Immunsystem ...

So ernstzunehmen diese Warnungen sind, sie stellen keinen wirklichen Einwand gegen die Technik dar. Man werde die Technik eben perfektionieren, antworten die Befürworter - und sehr sorgsam vorgehen.

Diesem Argument ist schwer zu begegnen, sobald man dem Grundsatz zustimmt, man dürfe Embryonen zu Forschungszwecken verwenden. An dieser Frage scheiden sich die Geister: Ist der Embryo tabu oder darf man ihn - zwar eingegrenzt - nutzen?

Sehr prägnant formuliert Florian Rötzer (FAZ v. 2. 2. 2001) die Position der Befürworter des Klonens: "Warum sollte man potenzielles Menschenleben auch ausgerechnet beim Klonen oder im Hinblick auf den Gebrauch von embryonalen Stammzellen schon am Zeitpunkt der Befruchtung schützen, wenn zugleich, bei In-vitro-Fertilisation eine große Zahl von Embryonen verbraucht wird und auch Abtreibung möglich ist? Warum sollte ein Zellhaufen, aus dem einmal ein Mensch werden kann, der aber noch nichts Menschliches besitzt und sich faktisch nicht von ,gestarteten' Zellen anderer Lebewesen unterscheidet, schon unter die Achtung der Menschenwürde fallen müssen?"

Ähnlich Bettina Schöne-Seifert, Ärztin und Philosophin in Hannover: "Schon von Abtreibungen kann angenommen werden, dass sehr viele Menschen in diesem Land sie auch dann für moralisch zulässig halten, wenn sie aus weniger gravierenden Gründen erfolgen. Ganz offenkundig trifft diese Diagnose für die verbreitete und akzeptierte Benutzung von nidatonshemmenden Spiralen zu, die routinemäßig und ohne jeden Abwägungskonflikt Frühembryonen abtöten sollen, um Schwangerschaften zu verhindern. Wenn aber diese Praxis mit unserem moralischen Sinn und dem besonderen Status, den wir Embryonen zuschreiben wollen, vereinbar ist - warum dann nicht auch hochrangige Forschung an ebenso wenig entwickelten Vorstufen unserer selbst?" ("Die Zeit" 9/2001) Nur eine Vorstufe?

Da ist die Frontlinie: Ist der Embryo eine "Vorstufe unserer selbst" oder ein unbedingt schützenswerter Mensch in den ersten Lebenstagen? Wer den Zugriff befürwortet, ist bemüht, das Menschsein des Embryos zu relativieren. Dann spricht die Forschung vom Prä-Embryo: Bis zum 14. Tag habe sich das Nervensystem noch nicht entwickelt, also habe das Wesen keine Wahrnehmungsfähigkeit. Der mittlerweile zum Bundesminister avancierte deutsche Bioethiker Julian Nida-Rümelin wiederum erklärt: "Achtung der Menschenwürde ist dort angebracht, wo die Voraussetzungen erfüllt sind, dass ein menschliches Wesen entwürdigt werden, ihm seine Selbstachtung genommen werden kann. ... Die Selbstachtung eines Embryos lässt sich nicht beschädigen."

Für den Euthanasie-Befürworter Peter Singer entscheidet die Fähigkeit, die eigene Situation zu reflektieren, für den Philosophen Norbert Hoerster das Überlebensinteresse ...

Mensch von Anfang an Schon allein die Vielzahl der Grenzziehungen macht deutlich, dass jede einzelne arbiträr ist - und daher für Zuteilung oder Ablehnung eines Rechts auf Leben ungeeignet. Fundamentale Menschenrechte können nicht zugeteilt werden. Sie stehen jedem zu, der zur Spezies Mensch gehört, in welcher Phase seines Lebens er sich auch befinden mag. Darauf weist Robert Spaemann (FAZ v. 31. 3. 2001) hin: "Wenn Menschenrechte ,verliehen' (...) werden, dann gibt es sie gar nicht. Denn dann ist es eine Frage der Definitionsmacht, wem diese Rechte zuerkannt werden und wem nicht. Die Gesellschaft wird zum ,closed shop', der neue Mitglieder nach belieben kooptiert oder ausschließt aufgrund von Kriterien, die eine Mehrheit festlegt ..."

Wer das Lebensrecht zu den Menschenrechten rechnet, müsste es somit auch dem Embryo ab dem ersten Tag seiner Existenz zusprechen. Eine Gesellschaft, die auf dem Fundament der Menschenrechte steht und dies ernstnimmt, müsste daher jede Form von Missbrauch der Ungeborenen - vom Tiefkühlen über das Klonen bis zum Abtreiben - einstellen.

Geschieht dies nicht, so bewegen wir uns jetzt mit Präimplantationsdiagnostik und Klonen über eine Grenze hinaus, die dem Menschen eine neue Form der Sklaverei bescheren wird: Unter Berufung auf die Autonomie des Menschen macht sich unsere Generation daran, ihre Nachkommen nach den heutigen Vorlieben zu "erzeugen" und damit zu unterwerfen. Was das an Autonomie für die kommenden Generationen bedeutet, kann man sich ausrechnen.

Der Philosoph Hans Jonas hat einmal vom Recht jedes Menschen auf eine "offene Zukunft" gesprochen. Die Fortsetzung des bisherigen Kurses der Humangenetik wird uns wohl eher eine zubetonierte Zukunft bescheren.

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