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Digital In Arbeit

Der Geist und die Maschine

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Es besteht kein Zweifel mehr, daß die elektronische Rechenmaschine — von manchen Leuten aus verdorrter Romantik her als Roboter angesprochen — für die automatische Sprachübersetzung angewendet werden wird; offen ist lediglich der Zeitpunkt des Uebergangs von der wissenschaftlichen Untersuchung zur laufenden Praxis und der Bereich sinnvoller Anwendung.

Als W. Weaver 1949 einen Aufsatz in Amerika verbreitete, um das Interesse für die Sprachübersetzung mit Hilfe der elektronischen Rechenmaschine zu erwecken, wurde er — außer von Rechenmaschineningenieuren, die als voreingenommen gelten mußten und daher nicht schwer wogen — als Utopist angesehen. Insbesondere die zuständigsten Philologen hatten, wenn überhaupt, höchstens ätzende Kommentare zur Antwort. Nicht viel anders erging es D. Booth in England, der schon seit 1946/47 derartige Arbeiten vorschlug. Es muß zugegeben werden, daß die Vorstellung, eine Maschine könne auch nur roheste Uebersetzungen liefern, etwas Befremdliches an sich hat, etwas völlig Ungewohntes.

Die automatische Uebersetzung beruht darauf, daß mindestens ein Teil der Uebersetzungsvor-gänge so genau beschreibbar ist, daß er der Formalisierung unterworfen werden kann. Da die Informationsverarbeitungsmaschine grundsätzlich alles automatisch erledigen kann, was formalisierbar ist, sind die Grenzen der Uebersetzung mit den Grenzen des Formalisierbaren identisch. Diese Grenzen zu übersehen ist für jeden unmöglich, der mehr als Unverbindliches oder Unzutreffendes über den Gegenstand aussagen will; wer immer ernst hier arbeitet, macht nichts anderes, als diese Grenzen weiter hinauszuschieben.

Das leichtere Kapitel ist das „elektronische Wörterbuch“. Da man jedem Buchstaben eindeutig eine Zahl zuordnen kann (man könnte auch jedem Wort eine Zahl zuordnen, das ist nur eine Frage des Praktischen), lassen sich in der elektronischen Rechenmaschine alphabetische Informationen ebenso unterbringen wie numerische. Die Zuordnung zweier Wörter aus zwei verschiedenen Sprachen, wie sie in einem Wörterbuch gegeben ist, läßt sich auf der Maschine unschwer programmieren — jede größere Buchführung ist schwieriger. Probleme ergeben sich aus den verschiedenen Formen, aus den Endungen und Vorsilben, die beim Benützen des gewöhnlichen Wörterbuches als bekannt und reduzierbar vorausgesetzt werden. Der Maschine müssen strikte Regeln der Veränderung einprogrammiert werden.

Das Hauptarbeitsgebiet ist die Formalisierung der Grammatik. Dabei sind verschiedene Verfahren in Untersuchung. Man untersucht zum Beispiel, ob es besser ist, unmittelbar von einer Sprache in die andere zu gehen, oder ob man eine Zwischensprache verwenden soll, eine Hilfssprache von gewisser, aber beschränkter Aehnlichkeit mit den Kunstsprachen wie Esperanto. Die Hilfssprache wäre eine maschineninterne und könnte vielleicht die mehrfache Uebersetzung (in mehrere Sprachen gleichzeitig) erleichtern. Ueber diese Versuche zu berichten, würde viel mehr Platz beanspruchen, als hier zur Verfügung steht.

Auf einer von der UNESCO in ihrem Pariser Haus im Juni 1959 veranstalteten Tagung wurde der Stand der Arbeiten deutlich. Die Hauptarbeit wird in Amerika, England, Japan und Rußland geleistet. Das erste Ziel ist die Uebersetzung naturwissenschaftlicher Texte. Aber noch nirgends wird laufend übersetzt. Man ist über Probetexte zwischen 1000 und 10.000 Wörtern noch nicht hinausgekommen, es gibt noch viel zu verbessern.

Steht mit der „Gefahr“ der automatischen Uebersetzung ein „Vorrecht des Menschen auf dem Spiele“? Wird dadurch der Mensch dem Automaten gleichgesetzt und seine schöpferische Kraft dem „Maschinismus“ überantwortet?

Von Natur aus ist die Maschine zuerst einmal fn keiner Weise ein Gegensatz zum schöpferischen Akt. Sie entsteht durch einen solchen und sie wirkt aus einem solchen. Dem Benutzer erlaubt sie, den schöpferischen Akt auf eine höhere Ebene zu verlegen, in die Bedienung der Maschine und in die Planung des Zusammenwirkens von Menschen und Maschinen. Auch dieses Zusammenwirken hat von seinen Grundlagen her nichts Negatives an sich. Es ist überhaupt kein Zufall, daß Naturwissenschaft und Technik im christlichen Abendland ihre Hauptentwicklung genommen haben, denn die Beherrschung der Natur in uns und um uns ist durchaus christliches Prinzip. Von allen Religionen der Welt hat allein die christliche eine essentiell positive Einstellung zur Naturwissenschaft. Auf ihrem Boden ist daher folgerichtig das „Maschinenzeitalter“ entstanden. Negativ sind Auswüchse, ganz besonders dann, wenn der Urgrund vergessen oder geleugnet wird.

Man sollte auch das Denken nicht überschätzen. Was wir unter „denken“ verstehen, ist ein komplexer Begriffsverband, dessen Anteile sehr verschiedenes geistiges Niveau haben. Wenn Ingenieure und Mathematiker gelegentlich von „denkenden Maschinen“ sprechen (ich bin aus mehreren Gründen gegen diese Redeweise), so haben sie ausgesprochen simple Teilaspekte im Auge, gerade jene eben, die vom Informationsautomaten erledigt werden können. Der Anteil der halb- oder ganzautomatischen Vorgänge in uns selbst ist viel größer, als wir geneigt sind, uns einzugestehen. Nicht nur Atem und Herzschlag, nicht nur Gehen und Essen funktionieren ganz ohne geistige Bemühung — auch bei zahllosen Denkvorgängen sind Automatismen beteiligt, ohne die wir völlig hilflos wären. Von Kind an richtet der Mensch in sich feste Abläufe ein, die er dann nur noch anstößt und ablaufen läßt. Unsere Freiheit ist die Freiheit der Disposition über diese Anstöße, in geringerem Maß auch die Freiheit ihrer Einrichtung. In der Sprache bildet sich diese Tatsache in den Phrasen ab, die man nachahmend übernimmt — ja selbst die Reaktionen im Gespräch bei gewissen Klassen von Themen und Gesprächspartnern liegen weitgehend fest und man hat etwas Besonderes geleistet, wenn die Reaktionen nicht allzu zufällig entstehen.

Schließlich ist das Denken, genau betrachtet, nur versuchsweise schöpferisch — der Rest ist Ausscheidung des nach logischen und anderen Regeln Unpassenden. Und die Informationsmaschine ist ein gigantischer Ausscheidungsapparat; sie bat in diesem Zusammenhang viele und bemerkenswerte Möglichkeiten.

Für den Menschen bestimmend ist das persönliche Erlebnis während seiner geistigen Tätigkeit. Das Erlebnis aber liegt auf einer Ebene, die mit der Maschine nichts zu tun hat. Um das persönliche Erleben ist zu ringen, es darf von der Welt der Naturwissenschaft nicht eingeengt werden, es wäre zu entfalten und mit Inhalten zu füllen.

Die Informationsmaschine als solche steht dieser Aufgabe nicht entgegen. Freilich ist jedes mächtige Gebilde gefährlich, und der Informationsautomat ist ein mächtiges Gebilde. Er wird in der Hand der Dummheit ebenso zur Gefahr wie in der Hand der bösen Absicht. Eben deshalb sind Angst und Grauen vor der Maschine fehl am Platz. Sind wir nicht ermahnt, uns nicht ängstlich zu sorgen? Die Maschine jeder Art ist Geist, der Gestalt angenommen hat, und Geist kann nur mit Geist beherrscht werden. Nichts ist schlimmer als die geistlose Anwendung von Maschinen. Für die Uebersetzungsmaschine folgt also, daß wir sie nicht ablehnen und den „Ungläubigen“ überlassen sollen, sondern daß wir im Gegenteil uns viel mehr um sie bemühen sollten, da sie nun einmal möglich geworden ist. *

Am leichtesten wird die Uebersetzung naturwissenschaftlicher Texte fallen, und dort ist auch der größte Bedarf. Die Sprache ist bei naturwissenschaftlichen Publikationen im Gegensatz zum Inhalt meist einfach, das Vokabular begrenzt (es gibt statistische Werte darüber). Der Mangel an Uebersetzern, die Sprach- und Fachkenntnisse haben, wird die Entwicklung beschleunigen. Ausdrücklich bemerkt sei, daß die automatische Erkennung gesprochener Sprache noch ganz am Anfang der Erforschung steht und daß der Eingang der Uebersetzungsmaschine noch lange die Schreibmaschine bleiben wird.

Je mehr man freilich in künstlerische Bereiche kommt, um so unbefriedigender wird das Ergebnis automatischer Uebersetzung sein. Dabei muß man sich allerdings vor Augen halten, daß dort auch die menschliche Uebersetzung unbefriedigend ist und viel mehr ein Nachempfinden und ein Neuschöpfen an Hand des Originals stattfinden muß. Dabei aber sind Person und Erleben so grundlegend, daß über eine Maschine wohl keine Worte verloren zu werden brauchen.

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