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Klarstellungen zum „österreichischen Wörterbuch

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Die Diskussion, die seit einigen Wochen in der Presse über das vom Unterrichtsministerium geplante neue „österreichische Wörterbuch“ geführt wird und an der sich auch die „österreichische Furche“ pflichtgemäß beteiligte, ging zum Teil von irrigen Voraussetzungen oder Mißdeutungen der von den Bearbeitern verfolgten Absichten und Ziele aus. Es sollen daher einige wesentliche Klarstellungen vorgenommen werden. Das Thema, um das es geht, ist gewiß so bedeutsam, daß es nicht allein eine streng sachliche, sondern vor allem auch eine von wirklicher Sachkenntnis bestimmte Erörterung verlangen darf.

Zunächst sei betont, daß die vorbereitenden Arbeiten an dem umstrittenen .österreichischen Wörterbuch“ schon im Herbst 1947 begonnen wurden. Wohl ein Beweis dafür, daß von Übereilung keine Rede sein kann. Auch der Vorwurf, es werde hinter verschlossenen Türen ohne die gebotene enge Fühlungnahme mit den berufenen Fachleuten beraten und gearbeitet, ist unzutreffend; denn die sogenannte große Kommission, durch deren Voten alle grundsätzlichen Fragen entschieden wurden, und die auch an der letzten Feilung des Werkes entscheidend teilnimmt, besteht aus Angehörigen aller in Betracht kommenden Fachkreise, aus Lehrern sämtlicher Schulgattungen, von der Volksschule bis zur Universität, aus Schriftstellern, Redakteuren, Verlegern und Setzern. Auch die Wiener Sprachgesellschaft, der alle Germanisten angehören, sowie die Wörterbuchkanzlei der Akademie der Wissenschaften ist in der Kommission vertreten. Für die technischen Fachausdrücke wurden Spezialisten beigezogen.

Die Herausgabe eines amtlichen österreichischen Wörterbuches stellt keineswegs, wie einzelne Teilnehmer an der öffentlichen Debatte zu glauben scheinen, ein Novum dar. Es handelt sich dabei nur um die .Wiederaufnahme einer alten Tradition, die sehr weit zurückreicht. Allerdings wurde seit 1926 keine Neuausgabe mehr veranstaltet. Um so notwendiger erscheint es, jetzt — nach Ablauf eines knappen Vierteljahrhundcrls, das viele Veränderungen des Sprachschatzes sowohl wie der Rechtschreibung mit sich brachte — wieder ein solches Wörterbuch für den Schulgebrauch aufzulegen. Der Umfang und die Zweckbestimmung dieses Wörterbuches sind nicht so weitreichend, daß eine Konkurrenz mit dem Duden befürchtet werden müßte. Das Wörterbuch soll in erster Linie für die Volks-, Haupt- und Mittelschulen bestimmt sein, weshalb ihm auch ein kurzgefaßter grammatikalischer Teil samt Rechtschreiberegeln beigegeben wird. Strenge Festlegungen auf die in dem Wörterbuch aufgestellten Normen werden jedenfalls nur im Unterrichtsbetrieb der Schulen verlangt werden können. Weder den Schriftstellern noch auch den Journalisten und Setzern will das Wörterbuch ein Prokrustesbett bereiten, in das sie sich unbedingt hineinzwängen lassen müssen.

Zwei Leitgedanken sind es vornehmlich, die dem Unterrichtsministerium bei der Abfassung des Wörterbuches vorschweben: Die Wahrung der österreichischen Nuance der deutschen Schriftsprache und die Sanktionierung der längst üblich gewordenen modernen Schreibung von Fremdwörtern. Gegen keinen dieser beiden Grundsätze werden ernsthafte Einwendungen erhoben werden können, es sei denn, man bestritte überhaupt die

Berechtigung und Schutzwürdigkeit der österreichischen Variante und Klangfarbe des Hochdeutschen oder man fordere die Preisgabe des im Laufe der Zeit durch die Entwicklung erzielten Fortschritts in der Rechtschreibung. Es sei nicht in Abrede gestellt, daß vornehmlich das Verlagswesen, das sich von dem Export seiner Erzeugnisse nach Deutschland und der Schweiz abhängig weiß, die österreichische Variante der deutschen Schriftsprache mit einigem Mißtrauen und Mißbehagen betrachtet. Man wird indes die Besorgnisse dieser Interessengruppe unschwer durch den Hinweis darauf zu zerstreuen vermögen, daß die wenigen spezifischen Austriazismen, die hier in Frage stehen, im ganzen deutschen Sprachraum verstanden werden können, zumal sie auch im Duden mit dem Vermerk „ö. R.“ (österreichisches Regelbuch) enthalten sind. Einem einfachen Verzicht auf die österreichischen Sonderformen des Hochdeutschen das Wort reden, hieße nicht allein der österreichischen Eigenart, die sidi eben auch im Sprachlichen kundgibt, in einem sehr wichtigen Punkte absagen, sondern es bedeutete auch eine Verarmung der deutschen Sprache, in der österreichische Wortprägungen einen angemessenen Platz beanspruchen dürfen, jedenfalls in dem gleichen Maße und mit demselben Recht, wie norddeutschen Wortformen ein entsprechender Platz, ja zuweilen sogar ein Vorrang bedenkenlos zuerkannt zu werden pflegt. Eine Zurückschraubung der Rechtschreibung etwa auf das vor drei Jahrzehnten erreichte Entwicklungsstadium ließe sich schwer rechtfertigen, weil die Rechtschreibung etwas ebenso Lebendiges ist wie die Sprache selbst, und daher jeder Versuch einer Standardisierung einem mechanischen Eingreifen gleichkäme, übrigens hat es durchaus den Anschein, als ob die Widerstände • gegen eine maßvoll moderne Rechtschreibung weitaus geringer seien als jene, die sich gegen die Anerkennung österreichischer Wortprägungen wenden.

Wie es ja ganz natürlich ist, gab es in der Wörterbuchkommission von vornherein drei Richtungen, von denen jede sehr viele und schwerwiegende Argumente für ihre Anschauungen ins Treffen führen konnte. Die „Fortschrittlichen“, die anfänglich sehr scharf ins Zeug gingen und beispielsweise grundsätzlich nur die phonetische Schreibung der gangbaren Fremdworte zulassen wollten, wurden sehr bald durch die ernsten Gegengründe der „Konservativen“ zu einem Abgehen von ihrem „revolutionären“ Standpunkt bewogen. Ja, man kann ohne Übertreibung behaupten, daß die „Konservativen“, zu denen sich auch der Verfasser dieser Zeilen rechnet, in grundlegenden Fragen mit ihrer Ansicht durchgedrungen sind. Im allgemeinen aber siegte 'die „vermittelnde Richtung“, der von den beiden „Extremen“ zum Beispiel die Konzession einer gleichberechtigten Zulassung be i d e r Schreibarten der Fremdworte — der althergebrachten und der phonetischen — gemacht wurde. Nur dort, wo sich hinsichtlich der phonetischen Schreibung schon ein unbezweifelbarer Usus herausgebildet hat -—, etwa bei Telefon (statt Telephon), Schal (statt Shawl) oder Koks (statt Coakes) — konnte von der Anführung der älteren Schriftform Abstand genommen werden. Das in den Pressepolemiken vielgenannte Wort „Charme“ etwa, wird hingegen sowohl unter „ch“ in der althergebrachten, wie unter „sch“ in der phonetischen Schreibung „Scharm“ verzeichnet, und es steht jedem Benutzer des Wörterbuches' — selbst dem Zweit- oder Drittkläßler — frei, sich für die eine oder die andere Schreibung zu entscheiden. Es sei hier angemerkt, daß damit dem konservative Standpunkt, der im gegebenen Fall sicherlich auch die Ästhetik auf seiner Seite hat, in stärkerem Maße Rechnung getragen wird, als dies von seitön des Duden geschieht, der nur mehr den „Scharm“ anerkennen will. Bei dem Worte „Blamage“, das gleichfalls gern als Paradigma für die angeblich von den Autoren des „österreichischen Wörterbuches“ beabsichtigte Revolutionierung der Rechtschreibung angeführt wurde, findet selbstverständlich die phonetische Schreibung, weil sie noch keineswegs üblich geworden ist, keine Billigung, wohl aber wird die „Blamage“ im Interesse jener, die dieses Wort zwar aus der Umgangssprache kennen, aber von seiner Herkunft und seiner richtigen Schreibung nichts wissen, auch unter „Blamasch“ zu finden sein, freilich mit dem Hinweis darauf, daß die richtige Schreibform „Blamage“ lautet. Der durchgängig in Anwendung kommende Grundsatz in allen mehr oder minder strittigen Fällen ist vernünftigerweise der, daß die Aufgabe des Wörterbuches nicht darin besteht, der Entwicklung der Rechtschreibung obrigkeitlich vorzugreifen oder sie auch nur anzutreiben, sondern lediglich darin, d i e derzeitige orthographische Übung amtlich gutzuheißen. Wo eine solche Übung noch nicht besteht, kann es infolgedessen auch keine Gutheißung geben.

Eine „Verhunzung“ der deutschen Schriftsprache durch die Einbeziehung von mundartlichen Ausdrücken war meines Wissens niemals beabsichtigt. Es haben sich lediglich manche Stimmen dafür eingesetzt, dem mundartlichen Sprachgut einen größeren Raum zuzugestehen. Die Philologen und Linguisten, die der Wörterbuchkommission angehören, hatten es jedoch gar nicht sehr schwer, sich die großen Komplikationen auszumalen, die sich bei starker Berücksichtigung der Mundartausdrücke ergeben müßten, weil von einer gesamtösterreichischen Mundart doch nur in sehr beschränktem Umfang gesprochen werden kann. Man kam — dies sei zur Beruhigung der Gemüter besonders hervorgehoben • — schließlich dazu, nur einen ganz kleinen Bestand an mundartlichen Bezeichnungen, die, als gesamtösterreichisch gelten können, in das Wörterbuch aufzunehmen und diese Worte deutlich als mundartlich und daher in der reinen Hochsprache nicht zulässig zu kennzeichnen.

Das spezifisch österreichische des umkämpften Wörterbuches reduziert sich also — genau besehen — auf folgendes: Eindeutig norddeutsche Wortprägungen, wie zum Beispiel Schomsteinfeger( statt Rauchfangkehrer) oder „einholen“ (statt einkaufen), werden nicht aufgenommen. Die österreichischen Bezeichnungen etwa Paradeis (statt Tomate) oder Orange (statt Apfelsine) genießen den unbedingten Vorrang. Es wird die größere Beliebtheit und Gebräuchlichkeit der schwachen Konjugation in Zweifelsfällen (beispielsweise bei dem Zeitwort „fragen“) hervorgehoben. Ebenso die österreichische Pluralbildung (Wägen, Kästen). Die österreichische Aussprache beziehungsweise Betonung — man denke daran, daß wir Kaffee, nicht Kaffee trinken, Mathematik, nicht Mathematik studieren und notfalls eine Uniform tragen, während wir uns in eine Uniform höchstens pressen lassen — erfährt besondere Unterstreichung und Kennzeichnung. Sehr weit verbreitete und daher als gesamtösterreichisch anzusehende Mundartausdrücke werden angeführt, ohne daß ihnen die Qualität von hochdeutschen Worten zugesprochen würde.

Behält man diese Grundsätze, die für das „österreichische Wörterbuch“ maßgebend sind, im Auge, so fallen die meisten der vorgebrachten Anschuldigungen weg.

Das „österreichische Wörterbuch“ wird gewiß kein unübertreffbares Meisterwerk werden — schon deshalb nicht, weil es ja nur als sogenannte „mittlere Ausgabe“ mit etwa 20.000 Worten gedacht ist, der später eine größere Ausgabe folgen soll —, aber es verspricht immerhin ein wertvoller Schulbehelf zu werden, der für sich in Anspruch nehmen kann, die wohlausgewogene

Mitte zwischen „fortschrittlich“ und „konservativ“ zu wahren und dem österreichischen Sprachgut, das ein unverzichtbares Stück des hochdeutschen Sprachgutes darstellt, den gebührenden Schutz angedeihen zu lassen.

Die fleißige, gediegene und höchst mühevolle Arbeit derer, die dieses Wörterbuch schaffen, sollte keinesfalls mit unberechtigten Vorwürfen belohnt werden.

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