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Schule vor tiefgreifenden Veränderungen

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Mit Paradeisern und Eiern bewaffnet wollten sich vergangene Woche an die 10.000 Schüler in Wien gegen einen Bildungs-klau zur Wehr setzen.

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Mit Paradeisern und Eiern bewaffnet wollten sich vergangene Woche an die 10.000 Schüler in Wien gegen einen Bildungs-klau zur Wehr setzen.

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Erhard Busek, der am Donnerstag mit den Landesschulratspräsi - denten das Schul-Sparpaket über die Bühne brachte, konnte am Freitag wegen des Begräbnisses seiner Mutter mit den aufgebrachten Schülern nicht sprechen. Aber auch Sportstaatssekretär Gerhard Schäffer, ehemaliger ÖVP-Schulsprecher, der die, Demonstration beobachtete, meldete sich nicht zu Wort. Die amtsmüde ÖVP-General-sekretärin Ingrid Korosec erklärte die seinerzeitige sozialistische Schulpolitik für schuldig an der derzeitigen Misere. Und die besteht darin, daß nicht mehr alles finanziert werden kann, was Schule und Lehrern abverlangt wird, daß der kostenlose Zugang zur Bildung passe ist - daß aber gleichzeitig (Furche 12, Seite 1) immer neue Anforderungen an die Schule herangetragen werden.

Wenn das Niveau an unseren Schulen gehalten werden soll, ja sogar eine Leistungssteigerung erwartet wird, dann genügen moralische Appelle an Lehrer nicht, bei gleichzeitiger Beduzierung materieller Grundlagen. Viele Lehrer haben das Gefühl, daß heute von ihnen immer mehr verlangt wird, daß aber die Rahmenbedingungen immer unfreundlicher werden.

Wenn die Demonstrationen von Schülern gegen das Schul-Sparpaket mehr als ein Jux sind, dann könnte es sogar zu einem Schulterschluß Lehrer-Schüler in diesem Fragenbereich kommen.

Die Schul-Sparmaßnah-men ziehen Konsequenzen nach sich, es ist ein äußerst kompliziert-komplexes Gebiet, auf dem hier Politik betrieben wird. Nehmen wir die Stundentafel heran: Nachdem die ,45-Minuten-Unterrichts-stunde vorläufig zurückgestellt wurde, wird man jetzt die Wochenstundenzahlen in den AHS-Unterstufen und an den Hauptschulen reduzieren. Etwa ein bis zwei Stunden pro Schulstufe und Jahr soll eingespart werden, das sind sechs Stunden in vier Schulstufen.

Das hat Folgen für die Lehrplanumsetzung beziehungsweise Rückwirkungen auf den Lehrplan. Stundensparen heißt Neugestaltung des Lehrplans, es geht um die Kern- und Erweiterungsstoffe, die angeboten werden (siehe Beitrag unten). Das erfordert Zeit, gespart wird aber schon jetzt. Lehrer, Schüler, Eltern sind enorm herausgefordert. Die „Entrümpelung” der Lehrpläne, Pädagogen sprechen lieber von „Neuorientierung”, kommt sicher nicht vor 1996/97.

Im Gespräch ist auch wieder die Fünf-Tage-Unterrichtswoche, gegen die vor nicht allzu langer Zeit von ÖVP-Seite gewettert wurde (erinnern wir uns nur daran!) - und die auch Lehrer aus pädagogischen Gründen nicht für sehr sinnvoll fanden. Jetzt wird sie der Schulautonomie anheimgestellt. Das heißt, die Schulen sollen selbst über die Sinnhaftigkeit der Fünf-Tage-Woche entscheiden. Doch - wenn es keine Absenkung der Anforderungen geben soll, dann wird man eine Verlängerung des Schuljahres ins Auge fassen müssen. Über eine bestimmte Mindestanforderung von Stunden pro Schuljahr kann man sich nicht leicht hinwegturnen.

Die Ausweitung der Freigegenstände und Unverbindlichen Übungen, die - wie Fachleute nüchtern sagen -heute sehr oft zur Auffüllung der Lehrverpflichtung benützt werden, muß auf Sinnhaftigkeit hinterfragt werden. Wenn man eine Kürzung des Angebots diskutiert (das hängt mit dem zugeteilten Gesamtausmaß der Werteinheiten — Lehrerstunden zusammen; werden Werteinheiten gekürzt, wird man zuerst bei Freigegenständen „einsparen” müssen), dann steht damit auch die Frage der erweiterten Bildungsmöglichkeiten, der Förderung von Interessen und Begabungen zur Beantwortung an. Leo Leitner, ehemaliger Sektionschef im Unterrichtsministerium, er hat sich intensiv mit der jetzigen Schuldiskussion auseinandergesetzt, betont, daß man Prioritäten bei den Zusatzangeboten setzen müßte: Heute seien Sprachen und naturwissenschaftliche Orientierungen besonders erforderlich. Die einst so forcierte politische Bildung, Wirtschaft und Sport seien nicht mehr so stark. Ebenso habe sich das Fach Informatik eingebremst, weil Schüler schon von zu

Hause viel mehr mitbrächten, als sie in der Schule lernen könnten. „Vieles hat sich ohnehin schon rascher erledigt, als man geglaubt hat. Einst heilige Kühe sind auf der Schlachtbank gelandet”, so Leitner zur FURCHE. Er fordert ein klassenübergreifendes Angebot von Freigegenständen, dadurch könne einiges eingespart werden.

Besonders sensibel ist der Bereich Klassenschülerhöchst-zahlen. Was bedeutet Sparen hier? Dazu Leo Leitner: „Der begabteste Lehrer, der alles einsetzt, braucht Zeit oder kleinere Gruppen. Beides zu verändern hieße, zwischen Skylla und Charybdis zu schiffen.” Auch hier muß man daran erinnern, daß es eine ÖVP-Forderung war, die Klassenschülerzahlen zu senken. Die gegenwärtige Situation an unseren Schulen, geprägt von zunehmender Aggressivität der Schüler, läßt eine Erhöhung der Klassen-schülerzahl (derzeit etwa 30) kaum zu. Auch die Teilungsmöglichkeit (beim Sprachenunterricht beispielsweise) sollte gesichert bleiben.

Wir stehen vor weitreichenden und tiefgreifenden Veränderungen unseres Bildungssystems. Wenn Schüler selbst keinen „Deppenstaat” wollen und dies nicht nur mit Paradeisern und Eiern zu fordern bereit sind, sollten wir sehr wohl überlegen, was uns die Zukunft unserer Jugend wert ist.

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