Als der Weltpolizist irrte

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Am 28. Juli vor 50 Jahren endete der Korea-Krieg. Ein von den Vereinten Nationen legitimierter und geführter Krieg. Eine "Polizeiaktion", in der politische Fehleinschätzung einen schnellen Erfolg in ein verheerendes Desaster verwandelte.

Der Korea-Krieg hatte keinen Sieger, wohl aber 2,5 Millionen Tote. Einer der unsinnigsten Kriege der Geschichte endete nach einer Serie grotesker Fehleinschätzungen wieder dort, wo er am 25. Juni 1950 ausgebrochen war: Am 38. Breitengrad. Diese Trennlinie an Koreas Taille hatten die USA und die UdSSR im Februar 1945 in Jalta gezogen, um sich die Entwaffnung der geschlagenen Japaner brüderlich zu teilen. Japan hatte Korea 1910 den Chinesen abgejagt und skrupellos ausgebeutet. Nach Tokios bedingungsloser Kapitulation im August 1945 rückten die Sowjets in den Norden Koreas ein und die USA in den Süden, um den Beschluss der Potsdamer Konferenz umzusetzen: Start in die Unabhängigkeit mit freien Wahlen im ganzen Land.

Allerdings versteiften sich die beiden Supermächte auf gegen- sätzliche Antworten zur Frage, welche Parteien "demokratisch" seien und an Wahlen teilnehmen dürften. Des endlosen Feilschens überdrüssig, überantworten die USA die Lösung dieses Problems der UNO. Am 14. November 1947 verlangt die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit 43 zu null Stimmen bei Enthaltung der UdSSR freie Wahlen in ganz Korea unter Aufsicht einer UNO-Kommission. Aber die Sowjets verweigerten UNO-Vertretern die Einreise in Nordkorea und installierten stattdessen dort ein KP-Regime am straffen Gängelband des Kremls. Im Süden wiederum hoben Pseudowahlen eine korrupte Rechtsdiktatur in den politischen Sattel.

"Kommunistische Brüder"

Freilich ist ein Urteil über die demokratische Legitimation beider Regimes in diesem geteilten Land müßig; die Koreaner kannten in ihrer Geschichte nämlich nur Diktaturen oder Fremdherrschaft. Von Belang ist vielmehr, dass die Aus- und Nachwirkungen dieser geostrategischen Auseinandersetzung bis in die Gegenwart reichen. Nach dem Nahostkonflikt ist der Konflikt in und um Korea die längste Weltkrise des 20. Jahrhunderts.

1949 gewann Mao Tsetung den chinesischen Bürgerkrieg und erhöhte auf diese Weise das Gewicht der kommunistischen "Brüderlichkeit" in Fernost dramatisch. Folgerichtig testeten die Nordkoreaner mit Grenzüberfällen zunehmend häufig die "Reife" des Südens für dessen "Befreiung". Deshalb suchte Südkorea die Rückendeckung der USA und bekam sie 1950 mit einem Beistandsvertrag, in dem Washington eine wichtige Einschränkung festschrieb: Korea liegt außerhalb des amerikanischen Verteidigungsbereiches, bekommt aber im Notfall Hilfe - das aber auch nur im Auftrag der UNO.

US-Hilfe gegen Blitzkrieg

Schon fünf Monate später trat dieser Notfall ein. Am 25. Juni 1950 überfiel Nordkorea in Blitzkrieg-Manier den Süden. Seine von den Sowjets gut ausgebildete 135.000-Mann-Armee trieb mit haushoch überlegener Panzer- und Luftwaffe die Südkoreaner vor sich her. Seoul bot dagegen nur korrupte Generäle, 95.000 miserabel motivierte Soldaten, keine Panzer und eine lächerliche Luftwaffe auf. Sogleich leisteten die USA mit schwachen Kräften den flüchtenden Südkoreanern "erste Hilfe" und riefen den Sicherheitsrat an, der einstimmig feststellte, dass Nordkorea durch einen unprovozierten Angriff den Frieden gebrochen habe und Südkorea die Hilfe aller UNO-Mitglieder benötige.

Dieses verblüffende einstimmige Votum kam durch einen schweren taktischen Schnitzer Moskaus zu Stande. Der UNO-Sicherheitsrat hatte sich nämlich 1949 geweigert, den Platz Chinas im Sicherheitsrat den nach Taiwan vertriebenen "Nationalisten" zu nehmen und den Kommunisten zu übertragen. Aus Protest dagegen boykottierte der Kreml fortan dieses höchste Gremium der UNO. Moskau vergab also die strategische Chance, sein Veto-Recht zum militärischen Vorteil Nordkoreas einzusetzen. Ohne Verzug beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen die Aufstellung einer UNO-Streitmacht unter dem Kommando des ebenso berühmten wie cholerischen US-Generals Douglas MacArthur, der den Pazifikkrieg gegen Japan gewonnen hatte. UNO-Generalsekretär Trygve Lie definierte die Aufgabe der UNO-Truppe als "Polizeiaktion gegen räuberische Banditen", Moskau behauptete hingegen, "südkoreanische Faschisten" hätten den Norden überfallen, der nun zurückschlage.

Die Hilfe der UNO lief aber derart langsam an, dass Nordkorea die Südkoreaner und ihre amerikanischen Helfer auf einen kleinen Brückenkopf um Pusan im Südosten der Halbinsel zusammendrängen konnte. In dieser hoffnungslosen Lage riskierte MacArthur ein legendäres Husarenstück. Mit 70.000 Mann landete er völlig überraschend nahe dem 38. Breitengrad im Hafen Intschon, wo die Gezeiten binnen sechs Stunden um neun Meter schwanken, und schnitt den völlig überrumpelten Nordkoreanern den Rückzug ab.

Legendäres Husarenstück

Damit war die "Polizeiaktion" gelungen und die Lage vor der nordkoreanischen Aggression wieder hergestellt. Allerdings ermächtigte die Vollversammlung der Vereinten Nationen nun die UNO-Truppen "zur Verfolgung der Aggressoren und zur Ausdehnung der Polizeiaktion auf Nordkorea", um den "gesamtkoreanischen Staat wieder herzustellen" - eine schwerwiegende Fehleinschätzung sowohl der globalen Kräfteverhältnisse als auch der Fähigkeiten MacArthurs.

Anfang Oktober 1950 warnte Peking, dass China intervenieren werde, sollten die UNO-Truppen den 38. Breitengrad überschreiten. Niemand nahm diese Drohung ernst und die "Polizeiaktion" gegen Nordkorea rollte an.

Einen Monat später standen die ersten UNO-Soldaten am chinesischen Grenzfluss Jalu. Zu diesem Zeitpunkt meldete der amerikanische Geheimdienst CIA Indizien dafür, dass bereits 40.000 Chinesen nach Nordkorea eingesickert seien. Die Heimatstrategen in Washington nahmen das eher belustigt auf: Warum nicht Chinesen in Nordkorea, es gebe doch auch viele Mexikaner in Texas?

Nahezu zeitgleich liefen einige chinesische Soldaten zu den USA über und verrieten, dass eine gewaltige "Freiwilligen-Armee" zur Befreiung Koreas bereitstehe. MacArthur schlug diese Warnung in den Wind. Am 28. November brach dann der Sturm los: An die 800.000 Chinesen stießen mit lähmender Wucht über den Jalu vor und trieben die UNO-Truppen südwärts vor sich her.

Jetzt verlangte der völlig überrumpelte General MacArthur von US-Präsident Harry S. Truman die Erlaubnis, die Brücken über die Jalu sowie die Nachschubbasen in China zu bombardieren. Truman lehnt ab und begründet das später in seinen Memoiren so: Dafür fehlte die Erlaubnis in der UNO, wohl aber bestand die Gefahr, dass zur gesamten chinesischen Streitmacht auch noch die sowjetische gekommen wäre. Und immerhin besaß die UdSSR seit September 1949 die Atombombe.

Trotzdem gelang es MacArthur, die Chinesen im Raum Seoul zu stoppen; offenkundig hatten sie sowohl ihre numerische Überlegenheit als auch die technische Überlegenheit der USA falsch eingeschätzt. Just in dieser heiklen Lage unterlief dem gedemütigten MacArthur jedoch ein schwerer taktischer Schnitzer. Er kritisierte öffentlich die politische Entscheidung gegen massive Luftangriffe auf China und zitierte die alte Maxime: "Gewalt sei die denkbar größte Gewalt entgegen zu setzen. Gewissen Kreisen in Washington scheint es schwerzufallen, das einzusehen." So bekam Truman die ersehnte Chance, den politisierenden General abzuberufen.

Mit Gewalt gegen Gewalt

Nach einer gescheiterten Offensive dämmerte den Chinesen im Mai 1951, dass sie die "Befreiung Südkoreas" zu teuer käme. So schlief der Krieg schließlich entlang dem 38. Breitengrad ein. Und der norwegische erste Generalsekretär der Vereinten Nationen, Trygve Halvdan Lie, erklärt am 1. Juni 1951, die UNO habe mit der endgültigen Zurückweisung des nordkoreanischen Aggressors das Kriegsziel erreicht. Ein Waffenstillstand am 38. Breitengrad sei deshalb annehmbar.

Die "Polizeiaktion" der UNO zur Vereinigung Koreas endete also ebenso kläglich wie blamabel. Nach heftiger Kritik der Sowjetunion musste Lie sein Amt schließlich zurücklegen. Noch zwei Jahre zogen sich die Verhandlungen hin - unter anderem weil sich der größte Teil der gefangenen Chinesen und Nordkoreaner weigerte, in die Heimat zurückzukehren. Am 28. Juli 1953 schweigen endlich die Waffen.

Die Bilanz dieses Krieges: 2,5 Millionen Tote. Warum? Weil alle an diesem Krieg Beteiligten ihre Chancen, ihre Gegner und die geopolitische Lage falsch eingeschätzt hatten; weil die Strategien der Militärs und der Politiker auseinander klafften; weil sich die UNO im Herbst 1950 nicht mit dem Erfolg der "Polizeiaktion" und der De-facto-Grenze am 38. Breitengrad zufrieden gab.

Der Autor ist freier Publizist.

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