Am Ende des Tages auf Augenhöhe

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Salzburg und Tirol haben gewählt. Eine linguistische Nachwahlanalyse mit Blick auf allgemein daraus zu ziehende Lehren. Oder: Politjargon als Lehrstück für Leerformeln.

In Tirol, wo man sich durchaus politische Veränderungen erwarten durfte, blieb fast alles beim Alten (womit nicht die Person Günther Platter gemeint ist!). Die Devise der ÖVP "Tirol muss regierbar bleiben“ mit der Negativfolie italienischer Verhältnisse und dem Jammerbild eines gestauchten Fiat 500 hat offenbar gewirkt. Und doch darf die seit Urzeiten dominante Partei nicht behaglich frohlocken: Die Wahlbeteiligung von 56 Prozent war nicht bloß auf das Föhnwetter samt Freizeitangeboten zurückzuführen. Die zahlreichen Personenlisten hatten hingegen wider Erwarten ihr Ziel nicht erreicht - weder mit attraktiven Charakterköpfen noch mit dynamischen Namen wie "Für Tirol“ oder "Vorwärts Tirol“.

"No-na-net“-Rhetorik

Der Absturz der beiden Regierungsparteien in Salzburg war nach den sattsam bekannten Ereignissen zwar voraussagbar, dennoch nicht realistisch einzuschätzen. Der Gewinn der Oppositionsgruppen aber überraschte nach Ausmaß und Deutlichkeit.

Als in Salzburg lebender und lehrender Beobachter haben mich vor allem die Verbalstrategien der hiesigen Parteien im bildlichen Kontext der Plakate beschäftigt. Die bislang stärkste Partei hat ihren Wahlkampf ganz auf ihre bisherige Sympathieträgerin Gabi Burgstaller zugeschnitten. Auf allen Plakaten als Galionsfigur erscheint sie allein, nachdenklich oder lächelnd, und ihre Sätze sollen Vertrauen vermitteln: "Wer den Menschen im Wort ist, läuft nicht davon“ oder "Gewinner dieser Wahl muss Salzburg sein!“ sind eher gut gemeint als überzeugend. Die begleitenden Passagen wie "Salzburg braucht Zusammenhalt“ oder "Salzburg braucht Verantwortungsbewusstsein“ nähern sich bedenklich einer "No-na-net“-Rhetorik an.

In den Plakatkonzepten der ÖVP sind zwei Tendenzen zu erkennen. Entweder ist der Spitzenkandidat Wilfried Haslauer in Bild und Wort der legendären Figur seines gleichnamigen Vaters angenähert, was mit der Frisur beginnt und bis zur Variation seiner kolportierten letzten Botschaft reicht: "Passt mir auf mein Salzburg auf!“ soll jener an seinem Lebensende gesagt haben. Der Sohn und "Hof-erbe“ macht daraus "Auf Salzburg schauen“ und ergänzt es mit Botschaften wie "… heißt Weitblick zeigen“ oder "… heißt gemeinsam anpacken“.

Die FPÖ setzt den Namen ihres Parteivorsitzenden sprachlich ambivalent ein: Zunächst ist Schnell ein Familienname, aber auch ein Zeitadverb, wobei Syntax und Plakatdruck vermitteln: "Jetzt SCHNELL: Familien stärken“ bzw. "Respekt für alle Generationen“, in ritueller Wiederholung begleitet von "Weil wir ihm vertrauen!“.

Die "Unfähigkeitsvermutung“

Die Grünen versuchten es mit knappen verbalen Empfehlungen ihrer Frontfrau Astrid Rössler: "Mehr Grün. Mehr Kontrolle.“ Das alte Stilmittel der Wortwiederholung zu Beginn bewährt sich einmal mehr. Andere Plakate arbeiten mit witzigen, teilweise mehrdeutigen Sprachspielen im Spannungsbereich von Text und Kontext - so mit der Verbindung eines offensichtlich irritierten Affen und dem Spruch: "Es gilt die Unfähigkeitsvermutung“ oder dem Bild eines frisch geernteten Karottenbüschels und der Botschaft: "Wir pflanzen Bio. Keine Wähler.“

Der aufwändige Wahlkampf von "Team Stronach“ schlägt sich auch in einem üppigen Plakatangebot nieder, in dem der "Titelheld“ seinen Wertekanon nunmehr in der beliebten Dreizahl deponiert: "Wahrheit - Transparenz - Fairness“. Dazu werden nach Lebensalter und Beruf mehrere Zielgruppen angesprochen: "Mit Eurer Zukunft / Euren Pensionen / Euren Arbeitsplätzen spekuliert man nicht!“. Das gleichbleibende Verbum "spekulieren“ spielt dabei auf das brisante Vokabel der Salzburger Politik schlechthin an. Das jüngste Plakat "Mit Salzburg spekuliert man nicht!“ scheint auf die Salzburg-Bekenntnisse der beiden Großparteien im Wahlkampf zu antworten, also gleichsam "Intertextualität“ in politischer Währung zu bieten.

Der bekannte Grazer Philosoph Kurt Salamun hat ein Inventar von rhetorischen Mustern erstellt, die sich auf allen Ebenen politischer Werbung und ideologischer Propaganda konstatieren lassen. Mit Identifikationsformeln wird der Adressat der Botschaft nicht bloß angesprochen, sondern quasi ungefragt vereinnahmt: in Floskeln mit "wir“ oder "unser“ findet sich der Empfänger unversehens im gleichen Boot mit dem Sender. Auch im Wortschatz der Politik gibt es - mehr oder weniger stabile - Modewörter. Seit der russischen "Glasnost“ tönt es allenthalben von "Transparenz“. "Solidarität“ - man fragt sich bisweilen: "Mit wem bitte?“ - hat man als sozialdemokratisches Kampfvokabel wiederentdeckt, und "Fairness“ ist ein Grenzgänger zur Welt des Sports.

Wollt ihr mehr Lebensqualität?

Häufig bewegt sich das Angebot politischer Aussagen und Verlautbarungen an der Grenze zu semantischen Leerformeln. Dazu würde ich mittlerweile auch den zunächst durchaus positiv besetzten Begriff der "Lebensqualität“ rechnen. Eine Abstimmung über die Frage "Wollt Ihr mehr Lebensqualität?“ würde sicher mindestens 100 Prozent Pro-Stimmen ergeben. Doch bleibt es unklar, was der jeweils Einzelne darunter versteht. Lebensqualität bei der Gestaltung des Feierabends bedeutet für die einen Jogging, für andere aber ausgiebigen Fernsehkonsum ("Soletti immer dabei!“) oder Theaterbesuch mit anschließendem gepflegten Essen.

Aber die Wurzel all dieser Oktrois und Unschärfen liegt im eher diffusen Befund der Alltagssprache. Die Berufsbilder Versicherungsmathematiker oder Astronaut lassen sich bündiger definieren als der notorische "Mann von der Straße“, der "Durchschnittsbürger“ oder gar die "politische Kultur“.

Im aktuellen Politikjargon haben drei Redeweisen Hochkonjunktur: Man leitet Aussagen mit "am Ende des Tages“ ein, kommuniziert mit seinem Partner "auf Augenhöhe“ und antwortet auf Fragen oder Beschwerden regelmäßig mit "Ich bin ganz bei Ihnen!“. Hoffentlich ist der jeweilige Wortspender auch ganz bei sich!

Der Autor ist em. Prof. für Linguistik an der Universität Salzburg

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