Die Passion gemeinsam Lesen

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Vor allem die Passionserzählungen führten zum christlichen Vorwurf, Juden seien "Gottesmörder". Rabbi Da Don meint, jüdische und christliche Experten sollten versuchen, gewalttätige Sprache in den Übersetzungen zu vermeiden.

Seit 1998 ist Kotel Da Don der Oberrabbiner von Kroatien. Seine orthodoxe Gemeinde in Zagreb umfasst etwa 3000 Mitglieder, Da Don ist der erste Oberrabbiner für Kroatien nach der Schoa. Ein Gespräch - ausgehend von der Last des Karfreitags - über das Verhältnis von Juden und Christen.

Die Furche: Herr Oberrabbiner, der Karfreitag war im Lauf der Geschichte ein Tag, an dem sich Antijudaismus manifestierte. Trennt dieser Tag heute noch Juden und Christen?

Kotel Da Don: Das hängt mehr von der Art und Weise ab, wie dieser Tag begangen wird, als von den Texten selbst. Wenn Priester oder Kirchenführer die Texte des Karfreitags dazu benutzen, eine negative Stimmung gegenüber den Juden zu schüren oder gar von einer Schuld der Juden sprechen, dann ist das sehr schlimm. Als Juden können wir uns nicht in die Liturgie oder die Texte der Kirche einmischen. Wir sagen keinem, was er lesen soll. Aber es geht darum, wie die Menschen das lesen und was in ihren Köpfen vorgeht, wenn sie diese Texte hören.

Die Furche: Sie sprechen da die Evangelien, die Passionserzählungen an. In der Johannespassion, die in der katholischen Karfreitagsliturgie gelesen wird, kommen die Juden generell als "Schuldige" am Tod Jesu vor.

Da Don: Das ist auch eine Frage der Übersetzung. Man muss den Kontext der Zeit, in der die Texte geschrieben wurden, im Auge haben. Es ging damals um Unterschiede zwischen Juden und Juden: Die ersten Christen waren ja Juden - und in der Auseinandersetzung mit den anderen Juden wurde manches sehr hart formuliert. Der verstorbene Papst Johannes Paul II. hat deswegen vorgeschlagen, dass sich Juden und Christen zusammensetzen und Fragen der Übersetzung diskutieren sollten, um diese näher an die Wirklichkeit heranzubringen - ohne besondere Interessen oder emotionale Fragen.

Die Furche: Wie kann das geschehen?

Da Don: So weit ich weiß, wollte Johannes Paul II. eine Expertise darüber haben, wo der Text zu nichts Gutem führt. Eine revidierte Übersetzung soll zu einer weniger gewalttätigen Sprache, zu weniger Hass gegen Juden als in der Vergangenheit führen.

Die Furche: Gibt es dieses gemeinsames Unterfangen von Juden und Christen bereits?

Da Don: Wir müssen zueinander offener werden. Wenn jemand etwas tut, was den anderen verletzt, dann muss man überlegen, wie man es macht, damit niemand verletzt wird. Man kann nur dann voranschreiten, wenn man seinem Freund gegenüber offen ist. Heute sind die Beziehungen zwischen Christen und Juden Gott sei Dank auf einem hohen Niveau. Von daher glaube ich, dass wir von diesem Punkt gar nicht mehr so weit entfernt sind. Natürlich müssen das Experten machen, die die Texte und deren geschichtliche Hintergründe kennen.

Die Furche: Es gibt zurzeit Konflikte zwischen Juden und der katholischen Kirche, seit der Papst die vorkonziliare Liturgie wieder zugelassen hat. Dort findet sich ja am Karfreitag die antijüdische Fürbitte. Benedikt XVI. hat diese Fürbitte zwar geändert, aber Juden fühlen sich nach wie vor verletzt, weil da wieder von ihrer Bekehrung gesprochen wird ...

Da Don: Seit dem Amtsantritt des gegenwärtigen Papstes ist manches geschehen, das zu Kontroversen geführt und Empörung hervorgerufen hat. In diesem Kontext ist das alles zu sehen - natürlich auch der Fall des Bischofs, der den Holocaust leugnet. Einige Kirchenführer haben erklärt, das sei nicht die Meinung des Papstes, sondern sei auf seine Umgebung zurückzuführen. Das hat den Fortschritt, der über die Jahre hindurch erreicht wurde, gefährdet. Ich denke, alles, was religiöse Führer tun, muss im Vorhinein sehr, sehr genau überlegt werden.

Die Furche: Sind die Errungenschaften des II. Vatikanums in Bezug aufs Verhältnis zwischen Christen und Juden nun in Gefahr?

Da Don: Die Rehabilitierung eines Bischofs, der den Holocaust klar leugnet, gefährdet den großen Fortschritt in unseren Beziehungen, den das II. Vatikanum geleistet hat. Denn wir können nicht tolerieren, dass jemand, der die Position eines Bischofs innehat, rehabilitiert wird. Wir können nicht trennen zwischen Religion und Moral und Geschichte: Wenn jemand die Geschichte nicht akzeptieren kann und versucht, eine Ideologie zu kreieren, dann ist das Scheinheiligkeit. Was wird in 20 Jahren sein, wenn die Holocaust-Überlebenden nicht mehr unter uns sind? Wenn dann jemand kommt, der sagt, es habe keine Gaskammern gegeben, das sei nur jüdische Propaganda? Das ist demütigend und paradox!

Die Furche: Aber Benedikt XVI. hat all diese Ansichten von Bischof Williamson zurückgewiesen. Reicht Ihnen das?

Da Don: Das ist ein großer Fortschritt. Dennoch: Es ist tragisch, dass dieser Mann das tun muss als Bedingung, damit er wieder sein Bischofsamt ausüben kann. Für jemanden, der so eine Position erreicht, müsste es Allgemeingut sein und nicht eine Vorbedingung. Das zeigt der Welt und dem jüdischen Volk immer noch, dass dieser Bischof keine irgendwie glaubwürdig Person ist. Er sagt, er will die Wahrheit suchen, die für jedermann zum Allgemeingut gehört. Ich hoffe, er wird diese Wahrheit finden!

Die Furche: Ist der Standpunkt des Papstes zu diesem Thema für Sie klar genug?

Da Don: Ja. Als ein Mann aus Deutschland weiß er genau, was während des Zweiten Weltkriegs geschehen ist: Er hat eine klare Position und Meinung. Wir zweifeln nicht an seiner Ansicht über den Holocaust. Aber manchmal ist es so, dass jemand das eine sagt und dann etwas tut, was mit diesen Worten nicht in Einklang ist. Für religiöse Menschen müssen Taten und Worte übereinstimmen. Hochrangige Kirchenleute machen eine konservative Lobby im Vatikan für diesen größten Schaden seit den 70er Jahren verantwortlich - nicht den Papst selber.

Die Furche: Auch in anderen Kirchen ist Antijudaismus präsent. In der griechisch-orthodoxen Kirche gibt es den Brauch, während der Passionsfeierlichkeiten eine Judas-Puppe zu verbrennen oder zu erschießen.

Da Don: Wenn das jemandem Spaß macht, kümmert es mich nicht. Ich hoffe nur, dass derartige Aktionen nicht zu Judenhass aufstacheln. Man muss aber auch sehen, dass es in den orthodoxen Kirchen keinerlei formelle Dokumente über Judentum und Juden gibt.

Die Furche: Wenn Christen den Karfreitag begehen - mit Evangelientexten, Fürbitten, auch Gesängen wie den Improperien, die als antijüdisch verstanden werden könnten: wenn Christen an diesem Tag ihre historische Verantwortung gegenüber den Juden bekennen würden - wäre das hilfreich für den Dialog?

Da Don: Jedes Bekenntnis, das aufrichtig aus dem Herzen eines Menschen kommt, macht ihn zu einem besseren Menschen. Wenn Papst Johannes Paul II. das Fehlverhalten der Kirche gegenüber den Juden durch die Geschichte bekannt hat - diese große Szene im Jahr 2000! -, dann kann das jeder tun. Es ist eine Frage der Aufrichtigkeit und des Mutes: Ich bin überzeugt, unter uns gibt es viele aufrichtige und mutige Menschen.

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