EU-Poker um 1.000.000.000.000 Euro

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Die EU-Kommission fordert 1,24 Prozent des Bruttonationaleinkommens, das EU-Parlament will 1,18 und die EU-Ratspräsidentschaft verlangt 1,06 Prozent - alles zuviel für Österreich, dem Europa 1,0 Prozent wert ist.

von wolfgang machreich

Während Poker früher als reines Glücksspiel angesehen wurde, bezeichnet man es heute als Geschicklichkeitsspiel. In Österreich ist Poker deswegen vom Glückspielmonopol ausgenommen. Jeder und jede im Land darf ein Pokercasino eröffnen - auch die Bundesregierung, auch wenn es ums eu-Budget geht? Selbstverständlich, der Bundeskanzler und sein Finanzminister haben "mit ihrer 1-Prozent-Forderung absolut Recht", sagt Europaabgeordneter Hans-Peter Martin, denn "letztendlich ist der Streit um das eu-Budget ein Poker um eine Billion Euro - und die Regierung soll um eines Scheinfriedens willen nur ja nicht nachgeben!"

400 Millionen sind genug

Österreich fordert mit den anderen fünf eu-Nettozahlerländern (siehe Lexikon) eine Deckelung auf ein Prozent des Bruttonationaleinkommens (bne) für das eu-Budget 2007 bis 2013. Derzeit zahlt Österreich knapp zwei Milliarden Euro eu-Mitgliedsbeitrag. Der größte Teil fließt als Förderungen zurück, so dass ein Nettobeitrag von rund 400 Millionen Euro übrig bleibt - und das soll so bleiben, fordert Bundeskanzler Wolfgang Schüssel: "Ich habe nichts davon, sieben Jahre lang wesentlich mehr zu zahlen, damit ich ein bestimmtes Projekt ein wenig besser finanziert bekomme."

Schluss mit dem "Hochlizitieren" des eu-Budgets, Schluss mit dem "ständigen Draufsatteln" unterstützt Martin den Kanzler. Und wo kann beim eu-Budget gespart werden? "In der Verwaltung lassen sich Milliarden holen", antwortet Martin, "und um dafür Druck zu machen ist die 1-Prozent-Forderung genau richtig."

"Märchenerzähler", lautet dazu der knappe Kommentar von Herbert Bösch. Die eu-Verwaltung mache "mit all den Gebäuden, mit all den Sprachen nur fünf Prozent des Unionsbudgets aus", sagt der spö-Europaabgeordnete: Einsparungen bei diesem Posten "sind völlig irrelevant", fügt Bösch hinzu, "die Union zahlt genausoviel Geld allein dafür überflüssig produzierte Lebensmittel in der ganzen Welt zu vertreiben". Als oberster eu-Betrugsbekämpfer sieht Bösch in der kleinen Verwaltung vielmehr eine potenzielle Fehlerquelle, weil einzelne Beamte zu große Bereiche administrieren müssen. Österreichs 1-Prozent-Forderung ist für Bösch ein "neuerlicher Zahlenfetischismus", so wie zuvor das österreichische Nulldefizit oder der europäische 3-Prozent-Stabilitätspakt. "Zahlen allein sind doch keine Politik, zuerst muss ich festlegen, was Europa leisten soll", schimpft Bösch und anstatt das eu-Budget mit Pokern in Verbindung zu bringen, zieht er die Schlussfolgerung: "Eine Kuh, die ich melken will, muss ich auch füttern."

Besonders gut gemolken haben die eu-Kuh in der Vergangenheit die österreichischen Bauern: Sie profitierten überproportional von den Agrarförderungen aus dem Budget-Topf "ländliche Entwicklung". Für die övp-Europaabgeordnete und Bauernvertreterin Agnes Schierhuber läuten deswegen bei der 1-Prozent-Forderung der Nettozahler die Alarmglocken: "Mehr Europa für weniger Geld geht nicht", sagt Schierhuber und fürchtet, dass unter den Kürzungen vor allem die Bauern zu leiden hätten - aber nicht nur: "Die Programme für den ländlichen Raum nützen allen Menschen, die dort leben." Schierhuber hofft jedenfalls noch darauf, dass "Vernunft einkehrt".

Viel Zeit bleibt für einen solchen Sieg der Vernunft nicht mehr: Mitte Juni sollen die eu-Staats- und Regierungschefs die Verhandlungen für die finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013 abschließen, um eine fristgerechte Abwicklung der eu-Förderungen zu ermöglichen - doch "noch sind wir uns in der Substanz keinen Millimeter näher gekommen", sagt ein in die Budgetverhandlungen involvierter Diplomat.

Wie jeder gute Kaufmann

Verständnis für die harte Haltung der Nettozahler zeigt övp-Europaabgeordneter Paul Rübig: "Das macht jeder gute Kaufmann so", sagt er - schlussendlich hofft aber auch Rübig auf eine Einigung, denn "Europa besteht aus Kompromissen". Einen Fingerzeig, wie eine solche Übereinkunft aussehen könnte, hat das derzeitige eu-Vorsitzland Luxemburg vorgegeben: 1,09 Prozent des Bruttonationaleinkommens oder rund 900 Milliarden Euro lautet der luxemburgische Vorschlag - deutlich mehr als die 1,0 Prozent oder 815 Milliarden Euro der Nettozahler, aber auch wesentlich weniger als die von der eu-Kommission budgetierten 1,24 Prozent oder 1025 Milliarden Euro.

"Halt", ruft da unter anderem Othmar Karas: "Ohne das Europäische Parlament geht in dieser Frage nichts", reklamiert der Vizepräsident der Europäischen Volkspartei - und der "sehr gute Budgetentwurf" des Parlaments beläuft sich auf 1,18 Prozent. Noch scheint offen, welche Prozent-Karte im eu-Budgetpoker stechen wird - doch nicht ganz: Das eu-Parlament hat noch ein As im Ärmel: Kommt es zu keiner Einigung, tritt Artikel 272 des eu-Vertrags in Kraft, der eine Festlegung der jährlichen Haushalte bei 1,13 Prozent des bne vorsieht und "da wäre man ja ein dummer Spieler, wenn man ein Ergebnis, das darunter liegt, annimmt".

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