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Unter heißer Sonne

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Europäer und Neger bauen heute nebeneinander in Mittel- und Südafrika. Wiewohl die bis in die Steinzeit zurückreichenden Negerkulturen Afrikas in Auflösung begriffen sind, liegt ein wesentlicher Teil der Bautätigkeit noch in den Händen der „primitiven“ schwarzen Völker. Nicht selten sieht man, wie das naturvölkische Afrika mit seinen altertümlichen Bauformen bis an den Rand der von amerikanischer Betriebsamkeit erfüllten Gmßstädte heranrückt, sogar in diese eindringt. Hingegen prägen das Bild der städtischen Zentren Negerafrikas vorwiegend europäische Architekten; die bedeutendsten Bauten entstehen hier in den zweckbetonten Formen des Funktionalismus. Seit im 15. Jahrhundert die Portugiesen San Salvador, das Reich des Erlösers, an der Kongomündung gründeten, wurde Afrika europäisches Kolonialgebiet, und im frühen 20. Jahrhundert war der Schwarze Erdteil unter die europäischen Großmächte aufgeteilt. Die Baustile seiner Heimat verpflanzte der Europäer seit dem 17. Jahrhundert in die Tropen, und der Neger in Mittel- und Südafrika ahmte die Architektur des reichen und mächtigen weißen Mannes nach seinem Vermögen nach.

In den organisch gewachsenen Kreis traditioneller Bauformen brachte das Eindringen der neueren europäischen Baukunst große Verwirrung. Die Engländer bauten in Afrika im griechisch-klassizistischen Stil; an der Sklavenküste wurden Häuser im brasilianisch-portugiesischen Mischstil errichtet, und in Südafrika haben die Buren einen eigenen Cape Dutch Style geschaffen. In den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg beherrschten griechische und italienische Unternehmer die Bautätigkeit in Mittel- und Südafrika, seit Kriegsende gewinnen afrikanische Baugesellschaften an Boden. Ihre Projekte ahmen die Baulichkeiten, die europäische Versicherungsgesellschaften, Kreditinstitute und Handelskompanien im späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert in Afrika errichteten, nach. Die bedeutenderen architektonischen Aufgaben werden aller Hr(gs' durchweg' von- Etfröpaer-n in den Formen der „neuen Sachlichkeit'' durchgeführt. Ohne Auswirkung blieben einzelne Versuche europäischer Bauherren, die traditionellen afrikanischen Kunstfertigkeiten den Anforderungen der neuen Architektur dienstbar zu machen. So fand etwa die geschmackvolle Ausstattung der Villa des Hochkommissärs von Französisch-Westafrika in Dalaba, die 1935 von Volkskünstlern aus dem Fouta-Djallon-Gebirge angefertigt wurde, keine größere Beachtung.

Die Fülle der Aufgaben, der sich der Architekt, der Afrika als Tätigkeitsfeld wählt, gegenübersieht, ist überwältigend. Jedoch hat jeder, der in Afrika bauen will, erhebliche Schwierigkeiten zu überwinden.

Das Hauptproblem ist der Geldmangel, den überaus hohe Baukosten empfindlich spürbar machen. Infolge der Landflucht — in manchen Gegenden wandert ein Viertel der Landbevölke-lung alljährlich in die Städte ab — und wegen der stark zunehmenden Einwanderung von Europa steigen die Grundpreise in den Städten überraschend schnell. Die Zubringung der Baustoffe, die zum größten Teil von Europa eingeführt werden müssen, ist überaus kostspielig. Das Baumaterial lagert oft mehr als sechs Monate in den afrikanischen Häfen, weil diese für die heutigen Anforderungen viel zu klein sind. Weitere Verzögerungen und Kosten werden durch den weiten Transport auf den schlechten, nur an der Küste staubfreien und in der Regenzeit zum großen Teil gesperrten Straßen verursacht.

Ein Problem ist für den Bauunternehmer weiterhin die Einstellung des Personals. Die Facharbeiter müssen in Europa angeworben und übermäßig hoch bezahlt werden. Die Anwerbung der schwarzen Arbeiter stößt auf große Schwierigkeiten wegen der geringen Bevölkerungsdichte — in Westafrika kommt beispielsweise nur ein einziger Einwohner auf den Quadratkilometer — dazu beansprucht die unrationell betriebene Landwirtschaft alle verfügbaren Kräfte. Der einheimische Arbeiter ist unterernährt und nur zu Handlangerdiensten zu gebrauchen. Er arbeitet trotz des niedrigen Lohnes unrationell. Auch unterscheidet sich sein Arbeitsrhythmus wesentlich von dem eines Weißen. Verhältnismäßig große Leistungen erzielen die einheimischen Bauunternehmer mit ihren schwarzen Arbeitern, wenn sie Musikanten einstellen, die den Arbeitsrhythmus mit ihren Ttommeln und Pfeifen angeben.

Auch die Beschaffung der Nahrung für die am Bau Beschäftigten verursacht viel Mühe, da wegen der erwähnten spärlichen Besiedlung und wegen des wenig ergiebigen Brandrodungsfeldbaues sowie der unwirtschaftlichen Viehzuchtmethoden das Einbringungsgebiet der Lebensmittel sehr groß sein muß.

Dagegen sind die Schwierigkeiten, die im Bauwesen aus den klimatischen Bedingungen in Mittel- und Südafrika erwachsen, verhältnismäßig geringfügig. Allerdings erweisen sich einige technische Vorkehrungen als notwendig und ist eine gewisse Beschränkung in der Verwendung der Baustoffe nicht zu umgehen. Das Eisen, das leicht oxydiert, muß man in Negerafrika durch Leichtmetalle ersetzen In Hochländern mit starken Temperaturstürzen darf man das Dach nicht mit Wellblech, Eternit oder Ziegeln decken. In Südafrika machen die starken Hagelfälle eine Schalldichtung des Daches erforderlich. Wegen der heftigen Gewitter, bei denen der Regen meterweit in die Gebäude hineingepeitscht wird, muß besonders in den regenreichen Küstengebieten für eine gute Abflußmöglichkeit des Wassers gesorgt werden. Um den für die Kühlung der Wohnräume nötigen Luftabzug zu erhalten, muß eine angemessene Querventilation möglich sein. In den Städten, wo elektrischer Strom zur Verfügung steht, muß man Klimaanlagen einbauen. Allzu starker Sonnenbestrahlung wird wirksam durch die Nordsüdstellung deT Gebäude — die Mittagssonne scheint nicht ins Haus, da sie nahe dem Zenit steht; weiter durch verstellbare Sonnenblenden, durch die „brises-soleil“, eine Erfindung Le Corbusiers, und neuerdings auch durch farbiges Fensterglas begegnet.

Ein nicht zu unterschätzendes Hemmnis für die Entwicklung einer künstlerisch ernst zu nehmenden modernen Baukunst in Schwarzafrika ist das mangelnde Interesse der in den Kolonien lebenden Weißen. Die Geschäftsleute gehen nach. Afrika, um rasch möglichst, viel Geld zu verdienen und damit den Rest ihres Lebens sorgenfrei in der Heimat zu verbringen. Diese Leute sind daher gegen jede aufwändigere, mit höheren Kosten als unbedingt notwendig verbundene Bautätigkeit in Afrika. Die Staatsbeamten aber, die in Negerafrika arbeiten, werden am jeweiligen Dienstort in ein möbliertes, dem Staat gehöriges Haus eingewiesen; da sie jeweils nach zwei bis drei Jahren versetzt werden, beschränkt sich ihre persönliche Habe auf wenige Stücke, und sie sind bestrebt, möglichst wenig Geld für die Wohnung auszugeben. Seit 1945 zeichnen sich allerdings in der Lebensweise der in Afrika ihrem Beruf nachgehenden Europäer einige Neuerungen ab. So mancher Weiße rechnet heute damit, bis zu seinem Tode in Afrika zu leben und dort ein schönes Haus zu erwerben. Während noch vor wenigen Jahren viele der in den Kolonien lebenden Europäer Junggesellen waren, gehen heute vor allem Jungverheiratete nach Afrika und gründen dort eine Familie. Die Kinder schickt man erst im schulpflichtigen Alter zur Ausbildung nach Europa zurück, während die Eltern nur die Sommermonate gemeinsam mit ihren Kindern in der alten Heimat verbringen. Auch hat sich zum Beispiel die französische Verwaltung 1956 entschlossen, ihre Beamten und Angestellten nicht mehr ro oft zu versetzen, damit sie sich besser in ihre Aufgaben einleben können. Durch diese Neuerungen wird der Wohnbau in Afrika natürlich sehr gefördert.

Aber auch anderweitig deuten sich neue Ansprüche an die Baukunst an. So bringt es etwa die wachsende Konkurrenz im Beherbergungswesen mit sich, daß nach und nach schöne Hotelbauten, wie das moderne „Aviamar“ in Leopoidville, Kongo, entstehen und die schlecht eingerichteten, lieblos gebauten, ja häßlichen HotdbiLnüt denen derv europäische Reisende, roit häuwj*00k!für teures Geld vorliebnehmen rwriß, verschwinden. Große Hafenanlagen, Staudämme, Kraftwerke und Flugplätze werden angelegt. Auf repräsentative Verwaltungsbauten legen vor allem die Franzosen Wert. Krankenhäuser, Sportanlagen und Schulen sind ein dringendes Anliegen aller Regierungen. Die katholische Kirche, die sich dem neuen Afrika gegenüber besonders aufgeschlossen erweist, ja neuerdings afrikanische Missionsvikariate in reguläre Diözesen verwandelt, hat verlockende Bauaufträge zu vergeben; der Vatikan ordiniert alljährlich eine bedeutende Anzahl weißer und schwarzer Bischöfe, die Kathedralen bekommen müssen. Es ist nicht länger angängig, daß diese geistlichen Würdenträger in einfachen Hütten wohnen und in Holzkapellen die Messe zelebrieren, wie man es noch vielfach in Mittelafrika sehen kann.

Auf jungfräulichem Boden, fernab von den alten Zentren, entstehen überall dort, wo Bodenfunde, wie Gold, Diamanten, Eisen und Kupfer, Phosphate, Superphosphate sowie Bauxit, bzw. die Möglichkeit zur Gewinnung elektrischer Energie eine günstige Entwicklung der Industrie versprechen, neue Stadtanlagen. Kennzeichnend für die Gesinnung der Bevölkerung dieser neuangelegten Zentren ist es, daß hier Rathaus und >' Kirche, die den Mittelpunkt der gewachsenen europäischen Stadt bilden, an den Rand des Gemeinwesens abgedrängt sind, während Bank, Post und Warenhäuser das monumentale Zehtrum der verbauten Fläche bilden.

Auch die älteren städtischen Siedlungen werden den neuen Erfordernissen angepaßt. Viele Städte Mittel- und Südafrikas haben in den letzten Jahren neue Aufgaben übernommen, die dringend neue städtebauliche Lösungen erfordern: Ibadan wurde zur Universitätsstadt, Bloemfontain zur Kongreßstadt, Johannisburg zu Täöerrr If^ftkrie^entrum''von so überragender'*Be-de'uttfrrgy'3äß-niW e's'das „afrikanische Chikägö*' nennt. Übrigens treten bei der Umgestaltung dieser afrikanischen Städte oft die gleichen Probleme auf, mit denen sich auch unsere Stadtplaner auseinandersetzen müssen. Man hat zum Beispiel trotz der Weite und Großzügigkeit der afrikanischen Stadtanlagen auch hier mit der Parkraumnot zu kämpfen, da infolge der geringen Verbauungsdichte und wegen des Fehlens öffentlicher Verkehrsmittel jede Familie zumindest zwei einsatzfähige Motorfahrzeuge benötigt.

Bei der Neugruppierung der Eingeborenenviertel — einen für 7000 bis 8000 Neger bestimmten Stadtteil legen die Franzosen gerade jetzt in Duala an — werden die Angehörigen verwandter Völker zu „neighbourhoods“ zusammengeschlossen. Durch dieses Zusammenwohnen, durch sportliche und kulturelle Veranstaltungen will man den Leuten die verlorengegangene Stammesbindung soweit als möglich ersetzen. Das Hauptproblem bei der Reorganisation der Negerviertel ist aber die Beseitigung der „bidonvilles“, der Brettldörfer, an deren Stelle gesunde und ansprechende, aber billige Wohnungen treten sollen. Diese Aufgabe wird die Stadtverwaltungen noch Jahre hindurch beschäftigen, denn vor allem müssen die Neger umerzogen werden: ihr Zusammengehörigkeitsgefühl wirkt sich heute nämlich dahin gehend aus, daß jeder Mann mit festem Einkommen von seinem Gehalt und leider oft über seine Finanzkraft hinaus müßige Verwandte und Freunde monate-, ja jahrelang beherbergt und verköstigt. Kein Wunder, daß auch das geräumigste und schönste Haus, das der Staat oder ein privater Unternehmer seinen schwarzen Bediensteten zur Verfügung stellt, nach kurzer Zeit wieder untragbar überfüllt und durch häßliche Einbauten entstellt ist.

Obwohl also noch sehr vieles zu tun bleibt, sieht man, daß nach dem Vorbild Nordafrikas und einiger südafrikanischer Städte nun das ganze Mittel- und Südafrika den Anschluß an die moderne Baukunst sucht, und Architekturpersönlichkeiten wie Ernst May, der nach dem zweiten Weltkrieg in Ostafrika Meisterleistungen vollbracht hat, bürgen dafür, daß man von Mittel- und Südafrika schon in den nächsten Jahren manchen interessanten Beitrag zur Baukunst unserer Zeit erwarten darf.

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