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Volksweisheit in alten Bauernregeln

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Die vielgestaltige Abhängigkeit des Menschen vom Wetter hat ihn immer gezwungen, sich Gedanken über das kommende Wetter, zu machen. So lebt noch heute im Munde des Volkes eine große Zahl von Reimsprüchen und kurzgefaßten Regeln fort, die sich auf die Vorhersage des Wetters, auf das vom Wetter abhängige Gedeihen der Feldfrüchte, auf landwirtschaftliche Verrichtungen und verwandte Dinge beziehen. Die ländliche Bevölkerung kennt sie am besten und gebraucht sie auch am meisten. Sie sind daher unter dem Namen Bauernregeln zusammengefaßt und gründen sich auf Beobachtung und Erfahrung. Aber nicht auf Erfahrung eines einzelnen, sondern auf die hundert- und tausendfach wiederholte Beobachtung vieler Tausender aus allen Schichten der Bevölkerung. Jeder Beruf hat das Seine dazu beigetragen, das Wissen um das Wetter festzuhalten, der Bauer, der Hirte, der Jäger, der Seemann und viele andere mit der Natur vertraute Menschen. Die Bauernregel ist also eine Schöpfung des gesamten Volkes, eine Emanation des Volksgeistes, der sich mit all seiner gesunden Derbheit, seinem naiven Humor, seiner urwüchsigen Kraft creu widerspiegelt.

Geht man dem Alter und dem Ursprung der Bauernregeln nach, so kann man feststellen, daß viele von ihnen schon zur Zeit der Gregorianischen Kalenderreform (1582) vorhanden waren. Das beweisen manche Regeln, deren Datumsangabe sich noch auf den alten Julianischen Kalender bezieht, wie zum Beispiel die folgende, die im neuen Kalender erst für den 21. Dezember p&ßt: „Sankt Luzen (13. Dezember) Macht den Tag stutzen.“

Um die Einführung des neuen Kalenders entbrannte damals ein heftiger Streit. Gegen die Annahme der Reform wurde vielfach geltend gemacht, daß die an die Lostage anknüpfenden Bauernregeln dann ihre Gültigkeit verlören und daß der Landmann ganz in Verwirrung geraten würde, da er nicht mehr wüßte, wann er seine landwirtschaftlichen Verrichtungen vornehmen müßte. Denn darüber gab es viele kurze Regeln, wie zum Beispiel: -

„Säe Korn Egidii,

Habern, Gersten Benedicti.“

Nachdem aber die Kalenderreform doch angenommen war, schrieb 1590 der,Astrologe und Organist am Schottenkloster in Wien, Johann Rasch, für die Bauern ein Buch: „New Losstäg. Nutzliche bedencken und Unterscheidung der alten Losstag, die feldregel und Bawrenpractic angehend“, in dem er Untersuchte, „ob die in dem Neu-cälender all umb 10 tag müssen umbsetzt werden, oder aber noch in jren vorigen ter-minis und statis diebus unverruckt bleiben“.

In Handschriften des fünfzehnten und früherer Jahrhunderte finden sich Wetterregeln in lateinischer Fassung eingeschrieben, die wahrscheinlich meist von Mönchen herrühren. Es sind hauptsächlich die an die großen Lostage St. Paul, Maria Lichtmeß, St. Peter und Paul, Mariä\ Heimsudiung und andere anknüpfende Regeln, die in lateinischer Fassung auftreten. Ins Volk sind diese Mönchsve'rse direkt nicht gedrungen, aber durch die Mitglieder der Orden, die überallhin verschickt wurden, haben sie innerhalb des weiten Geltungs-bereidies der christlichen Kirche Verbreitung gefunden, und sie sind sodann auch durch Übersetzungen in die Landessprache dem Volk bekannt geworden. Auf die Weise erklärt sich zum Teil die große Übereinstimmung und Ähnlichkeit der volkstümlichen Wetterregeln in großen Teilen Europas.

Die meteorologischen Volksregeln befassen sich mit denselben Problemen, die auch die wissenschaftliche Meteorologie aufklären möchte: nämlidi Anhaltspunkte für die Witterungsgestaltung eines späteren Termins aufzufinden. Der Volksglaube, daß die Zwölf Rauhnächte von Weihnachten bis Dreikönig eine große Prognose für alle zwölfe Monate des nächsten Jahres zu stellen erlauben, geht bis zum Anfang des achten Jahrhunderts zurück. Sogar im chinesischen Kulturkreis ist diese weitverbreitete Regel bekannt, die aber jeder physikalischen Unterlage entbehrt und in das Kapitel Volksaberglauben gehört. Daß sich der Bauer um die Jahreswende mit den Aussichten für das kommende Jahr beschäftigt, ist naheliegend, und daß die zwöll Nächte mit den zwölf Monaten in Zusammenhang gebracht werden, ist verstand-

lieh, aber meteorologisch unbegründet. Auch solche Regeln, wie „Anfang und Ende vom Januar zeigt das Wetter an fürs ganze Jahr“, oder „Oktober und März gleichen sich allerwärts“ haben keine große Verläßlichkeit.

Folgenden Regeln kommt jedoch mehr Realität zu: „Wie's im April und Maien war, so schließt man auf's Wetter im ganzen Jahr“ und „Dezember veränderlich und lind, der ganze Winter ein Kind“. Statistische Untersuchungen ergaben für die erstere Regel 76 Treffer, für die letztere 72 Treffer in 100 Jahren. Auch für den vergangenen Winter 1945/46 traf die zweite Regel zu.

Manche Regeln enthalten meistens die Vorstellung einer gewissen ausgleichenden Gerechtigkeit im Wettergeschehen, wie zum Beispiel die Verse:

„Wenns heiß ist am Dominicus (4. August),

Ein strenger Winter folgen muß.“

Oder:

„Ist der Januar hell und weiß,

Wird der Sommer sicher heiß.“

Das Wettergeschehen hält sich aber nicht an ein solches, wahrscheinlich ethischen Morhenten entsprungenem „Prinzip ier ausgleichenden Gerechtigkeit“. Die Unter-sudiung der Temperaturgänge zeigt, daß meist nicht ein Ausgleich innerhalb des Jahres besteht, sondern vielmehr Beharrungsvermögen. Die Regeln „Warmer Hor-nung, warmer Sommer“, „Trockener Mai, dürres Jahr“ und „Wenn Kälte in der erstell Adventwodie kam, so hält sie noch zehn Wochen an“, halten sich an dieses Prinzip.

Sehr zu bachten sind auch die sogenannten Wetterlostage, die von unseren Vorfahren für bestimmte Tage des jährlidien Witterungsablaufes aufgestellt wurden. Wenn es beispielsweise am Siebenschläfertag (27. Juni) regnet, dann soll es sieben Wochen regnen. Faßt man die Regel wörtlich auf, so ist sie natürlich falsch. Denn sieben Wochen hintereinander hat es in Mitteleuropa noch nie geregnet. Das es gerade sieben Wochen sein sollen, liegt an der Bevorzugung der Ziffer Sieben. Die Regel bringt uns auch insoferne in Verlegenheit, als es sehr gut sein kann, daß es am 27. Juni in Salzburg regnet, während Wien regenfrei bleibt. Soll nun dieser sicher nur lokale Unterschied sich sieben Wochen lang fortschleppen? Die Meteorologen haben aber trotz solcher Vorbehalte die Regel geprüft und ihren echten Kern herausgeschält. Wenn man sie so auslegt, daß verbreitete Regenfälle Ende Juni auf einen durchschnittlich regenreichen Juli schließen lassen, so wird sie durch die Erfahrung bestätigt. Wir kennen den Grund: Um diese Zeit stellt sich bei uns die sogenannte Sommermonsunlage ein, die kühlere Witterung und häufigere Niederschläge bringt. Ihre meteorologischen Voraussetzungen sind der „ Aufbau eines Hochdruckgebietes im Nordwesten von Europa und die Anlage eines Tiefdruckgebietes über dem Balkan, die im jahreszeitlichen Rhythmus um diese Zeit „fällig“ sind. Sie können auch etwas später kommen, darum gibt es auch eine Regel:

„Wie das Wetter am Siebenbrüdertag (10. Juli), So bleibt es sieben Wochen lang.“

Es ist erstaunlich, daß unsere Vorfahren ein so gutes Gedächtnis für verhältnismäßig seltene Vorgänge gehabt haben; denn wörtlich genommen, treffen die Regeln selten zu. Sie gewinnen ihren Wert erst durch eine gewisse Toleranz in der Zeit. Wir können das zum Beispiel an der bekannten Regel der „Eisheiligen“ oder der sogenannten „Schafkälte“ entnehmen. Der Glaube an die „Eisheiligen“ Mamertus, Pancratius und Servatius (11. bis 13. Mai) ist von der richtigen Beobachtung ausgegangen, daß es im Mai häufig Kälterückfälle gibt, die der Vegetation schädlich werden können. Zur zeitlichen Bestimmung des Eintreffens solcher Rückschläge wurde in früheren Zeiten der ungefähr passende Tag eines oder in diesem Falle mehrerer Heiligen des Kirchenkalenders genommen. Man darf deshalb aus der Regel nicht schließen, daß gerade der 11., 12. und 13. Mai Frostgefahr bringen, sondern nur- so viel, daß man sie im Laufe des Monats Mai erwarten kann. Es erfolgen eben im Frühjahr dauernd Kälterückfälle als ganz natürlicher Ausfluß der Umstellung vom Winter zum Sommer, die bald vor, bald nach den Eisheiligen sich einstellen, zeitweise natürlich auch auf diesem Termin liegen, und dann den Glauben an die „Gestrengen Herren“ von neuem beleben.

Bei ähnlicher Auffassung der volkstümlichen Wetterregeln wird man finden, daß in vielen ein guter Kern steckt. Die wissenschaftliche Forschung hat dabei oft Gelegenheit festzustellen, daß das Volk zwar un-

physikalisch gedacht, aber Richtiges geahnt hat. Der Wunsch, auf längere Zeit im voraus etwas über das Wetter zu erfahren, wird durch die Bauernregeln kaum befriedigt. Am meisten Wert haben diejenigen Regeln, die auf Grund aufmerksamer Beobachtung des augenblicklichen Wetters auf das unmittelbar bevorstehende Wetter schließen lassen. Sie sind auch für den wissenschaftlichen Wetterdienst von Bedeutung, besonders dann, wenn sie bestrebt sind, die Wettervorgänge physikalisch zu erfassen.

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