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Von der Wiener Romantik zu Ungarns Wiedergeburt

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Die kirchliche Romantik, die unter der seelischen Leitung des neiligen Hofbauer weite Kreise Wiens ergriff, wurde von der Forschung nur in gewissen Hiuptzügen erfaßt. So blieo auch die Ausstrahlung dieses wertvollen geistigen Inhalts auf die Donauvölker bis zu den letzten Jahren beinahe völlig unbekannt. Im folgenden soll versucht werden, die Bedeutung des heiligen Clemens Hofbauer für Ungarn zu skizzieren.

Mit der kirchlichen Romantik Wiens ist der Name des Grafen Franz Szechenyi, des Vater Stephan Szechenyis der später als „der größte Ungar“ die Wiedergeburt seines Vaterlandes in die Wege leiten sollte, untrennbar verbunden. Franz Szechenyi war Zögling der Theresianischen Akademie und Lieblingsschüler Denis' gewesen. Vom Geiste der Aufklärung erfaßt, erblickte er in seiner Jugend in dem Freimaurertum ein geeignetes Gegengewicht gegen den anationalen Absolutismus und gleichzeitig ein passendes Mittel zur Verbreitung moderner Ideen in Ungarn. Die Tragödie seines Sekretärs Hajnöczy, der in die Verschwörung des Abtes Martinovich mitverwickelt war und hingerichtet wurde, ließ ihn mit Schaudern erkennen, daß die Reform des ungarischen Lebens ohne mächtige Erschütterung unmöglich sei — und davor schreckte er zurück. Er wurde Mäzen der ungarischen Literaten und Begründer des Nationalmuseums in Pest; in politischer Hinsicht resignierte er: aus einem Reformer wurde ein konservativer Anhänger der bestehenden ständischen Gesellschaftsordnung und loyaler Anhänger der Dynastie, aus einem Freimaurer ein Vorkämpfer des Katholizismus. Unter dem Einfluß Hofbauers wurde er tief religiös.

Die nähere Verbndun? zwischen den beiden begann spätestens um die Zeit des Wiener Kongresses; der Palast des Grafen auf der Landstraß', verwindelte sich zu einem Mittelpunkt der kirchlichen Romantik und zum Treffpunkt der vornehmen katholischen Kreise der Stadt, sein Kreis zum würdigen Nachfolger des Kreises um Fr. Schlegel. Die österreichischen und deutschen Mitglieder des Szeche-nyischen Kreises — Fr. ScnJeeei. seine Frau Dorothea Mendelssohn mit ihren Kindern, den Brüdern Veit, Klinkowström, Zacharias Werner, Pilat, Penkler und viele andere — waren nicht die einzigen d:e unter dem Einfluß Hofbauers standen Unter der ungarischen Anhängerschaft Hofbauers ragen besonders drei Prälaten hervor: Br. St. Fischer. ErrSischof von Eger. Leopold Somogyi, Bis hof von Szombathely (Steinamanger), und Alexius Jordinszky, Domherr in Esztergom (Gran). Der engen Zusammenarbeit mit diesen war es zu verdanken, daß Szechenyi seine Hilfe der sich in schwieriger Lage befindenden niederen Geistlichkeit seines Landes zuwandte, mehrere hundert Exemplare der Bibelübersetzung zur Vertelung unter den armen Geistlichen zur Verfüguns stellte und um die Übersetzung vieler Bücher religiösen Inhalts Sorge trug Bei dieser letzten Arbeit war ihm Domherr Jordanszky behilflich. Die einzige katholische Zeltschrift Ungarns in deutscher Sprache konnte nur mit der finanziellen Hilfe Szechenvis erscheinen Ebenso machte der alte Graf .iocli am Rande des Grabes für die „Concordia“ Schlegels bei den ungarländischen Prälaten lebhafte Propaganda.

Über den Einfluß dei Hofbauerschen Geistesströmung auf Ungarn stehen uns vorläufig noch wenige Daten zur Verfügung. Aber zweifellos wurzelte der ganze unleugbare Aufschwung des ungarländischen Katholizismus dieser Zeit in erster Linie in der kirchlichen Romantik Wiens. Wo sonst könnte man nach der Quelle der Inspiration suchen, die das katholische Schrifttum Ungarns in dieser Zeit so reichlich befruchtete? Von einem hervorragenden Vertreter der religiösen Dichtung in Ungarn, Sujanszky, hat man schon festgestellt, daß mehrere Motive seiner Gedichte wie auch der Reichtum seiner Gefühle auf den Geist Hofbauers weisen; nachträgliche Forschungen werden bei anderen katholischen Dichtern sicherlich einen ähnlichen Tatbestand feststeilen Wenn man bedenkt, daß das Melos der katholischen Kirche in Ungarn noch in den heutigen Tagen großenteils auf die Vormärzdichtung zurückgreift, tritt schon die Bedeutung dieser wenig beachteten Frucht des Wiener Geistes und Gemütleben auf das Nachbarland klar zutage.

Ein we terer Schritt, und zwar ein schicksalhaft bedeutender für die Geschichte Ungarns, kann getan werden, wenn wir die Beziehungen des heiligen Clemens Hofbauer zur Familie Szechenyi untersuchen. Die Biographien Hofbauers stellen ausdrücklich fest, daß Franz Szechenyi und se.ne ganze Familie unter der seelischen Leitung des Heiligen standen. Uns interessiert hier insbesondere der Einfluß des Heiligen auf den Sohn, Grafen Stephan Szechenyi, dem das Ungartum zu ewigem Danke verpflichtet ist. Gibt es hier eine geistige Brücke zwischen Vater und Sohn, zwischen dem restaurationsfreundlich-konservativen Hofbauer und Franz Szechenyi auf der einen und dem konservativ-liberalen Reformator .Stephan Szechenyi auf der anderen Seite? Auf den ersten Blick keine; untersucht man aber die ganze moralische Gestalt der Personen, eine unverkennbare

Der Reichtum und die Tiefe der Seele Stephan Szechenyis, „des größten Ungarns“, ist so unergründlich und von so übermenschlichem Format, daß die Geschichtsschreibung von diesem außergewöhnlichen Menschen, der in der Wiener Herrengasse geboren wurde und 1860 in Döbling in geistiger Verwirrung sein Leben endete, noch immer vor neue Rätsel gestellt wird. In den letzten Jahrzehnten scheint die Wissenschaft doch entscheidende Schritte in der Erkenntnis der seelischen Gestalt Stephan Szechenyis gemacht zu haben. Er glaubte an den ewigen moralischen Fortschritt und als Anhänger der Philosophie der organischen Staatstheorie auch an die Zukunft seines Volkes, das ihm noch jung und darum entwicklungsfähig schien. Die Urquelle seines Nationalismus war aber zutiefst religiöser Färbung, seine organische Betrachtungsweise wurde zunächst von dem christlichen Glauben an die Vervollkommnung der Menschheit genährt. Das Streben nach dieser Vervollkommnung wat für ihn ein Gebot Gottes, ein Gebot seiner Religion, ein Dienst an der Zielsetzung des Allmächtigen. Nun nahm er die Hoffnung auf Vervollkommnung nicht nur für die Gesamtheit, sondern auch für den einzelnen Menschen in Anspruch, wobei der fortsch-eitende Reinigungsprozeß auf dem Felde der Tugend als Gradmesser der Vervollkommnung dienen sollte. Damit berührte er schon den Kreis des christlichen Perfektionismus, der den wirklichen Zweck des menschlichen Lebens in der zu Gott strebenden Vervollkommnung erblickte. “iese Idee erfüllte sein ganzes Wesen. An die Tochter der „beaute Celeste“ schreibt er einmal: Nicht vom Reichtum oder vom Vermögen hänge die menschliche Größe ab, sondern wie man den Verpflichtungen nachkomme; auch der ärmste Mensch könne der Träger großer Ideen sein; der Preis der Pflichterfüllung sei aber „d i e innere Still e“, der große Friede der Seele, das einzige wirkliche Glück. In einem späteren Werke („Das Volk des Ostens“) findet man die bezeichnenden Worte: „Je mehr sich der Mensch von der Materie entfernt und zu den höheren Wesen sich erhebt, um so breiter wird der Kreis seines Glücks.“

Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Geistesarbeit und die patriotische Tätigkeit Stephan Szechenyis, damit auch die Wiedergeburt Ungarns im Vormärz, von einem transzendenten, “rein religiösen System bestimmt war. Die Wurzel des Problems ist und bleibt die Umgebung zu finden, in dem die Seele des Reformers sich zu solchen Höhen emporschwingen konnte. Tiefsinnige Forschungen glaubten den Einfluß Herders oder — im Zusammenhang mit der organischen Geschichtsbetrachtung — den der deutschen idealistischen Philosophie entdecken zu können. Am glücklichsten war ein noch jüngerer Forscher, Bcla Ivänyi-Grünwald, der bei cnem bedeutenden Seelsorger der Zeit, Stanislaus Albach, auf die Ideen des christlichen Perfektionismus stieß und gleichzeitig beweisen konnte, daß Szechenyi in starkem Ausmaße unter dem Einfluß der Predigten Albachs stand. Es fragt sich nur, ob damit das Problem wirklich gelöst ist.

Meiner Meinung nach ist vor allem die Tatsache von entscheidender Wichtigkeit, daß die Seele Szechenyis von einer tatkräftigen, aus dem lebendigen Quell einer gefühlvollen, begeisterten

Liebe gespeisten Religiosität gesättigt war. Ist es nicht naheliegend, daß dieser liebevolle Glaube von bezwingender Größe vom größten Seelsorger der Zeit, vom heiligen Hofbauer, ausgehen mußte? Einem jeden Kenner der Hofbauer-Literatur drängt sich dieser Gedanke zu allererst auf.

Die Forschung weiß von Hofbauer zu berichten, er habe sozial gedacht und sei ein liebevoller Vater für die arme industrielle Bevölkerung seiner Stadt gewesen, dem die Probleme des menschlichen Elends nahegegangen seien Auch der jüngere Szechenyi kämpfte, wenn auch unter anderen Bedingungen, gegen das Elend seines Volkes, besonders gegen das Elend der Bauernmassen, um damit die Hebung des Wohlstandes und der Moralität zu erzwingen. Er hat die sozialen Ideen Hofbauers weiterentwickelt und aus ihnen mit einem kühnen, genialen Schlage die Grundzüge einer evolutionistischen sozialen und wirtschaftlichen Reform für sein Volk ausgebildet.

Es gibt eine Tatsache, die bisher der Forschung entging, obwohl sie von der größten Tragweite ist: Szechenyi war Eudämo-nist in dem edelsten Sinne; er suchte in seinem ganzen Leben mir Hilfe von Andacht und moralisch bestimmter Tätigkeit das Glück, den Frieden Gottes, als den ersehnten Preis. Die Sehnsucht nach der „großen Stille“ trieb ihn zur Tätigkeit, von ihr stammt seine Hingabe an das große Reformwerk her, dieser Trieb bildete den Angelpunkt seiner Geisteswelt Seine Religiosität war ganz im Sinne dieser Hof-bauerschen Reform der Andacht getragen.

Die Grundzüge der seelischen Entwicklung Stephan Szechenyis und damit die Grundlage der Wiedergeburt Ungarns wurden also ohne Zweifel vom Cl. M. Hofbauer und der kirchlichen Romantik Wiens bestimmt. Dieses Milieu verhalf Szechenyi zum Ausbau seines genialen Lebenswerks s.

Szechenyi hatte die beste Absicht, die empfangenen Anregungen Wien zu vergelten. Er blieb der Dynastie ebenso treu wie der Verbindung seines Landes mit Österreich, doch verlangte er Gerechtigkeit für ein jedes Volk mit entsprechender Entwicklungsmöglichkeit. Für jedes Volk, in echt romantischem und christlichem Sinne. Er schlug die Gewährung einer gemäßigten Reform für sein Vaterland vor, deren Durchführung eine ähnliche administrative und sozial-wirtschaftliche Reform auch für Österreich unerläßlich gemacht hätte. Sein Vorschlag, der einzig lebensfähige, der die Donaumonarchie vor den Erschütterungen des Jahres 184.S und dei folgenden Jahrzehnte hätte bewahren können, stieß auf Zurückweisung in den Regierungskreisen. Damit wurde die letzte große, autonome Geistesbewegung, die von Wien ausgegangen war, des Erfolges auf dem politischen Felde beraubt. Der Kampf der Nationalitäten könnte, von der höheren Warte der romantischen Idee der Gerechtigkeit heruntergestürzt, mit voller Hemmungslosigkeit aufflammen und die uralte Organisationstorm der Donauvölker endgültig zerschlagen.

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