Grillpartie nach dem Bombenangriff

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Im Donner der Nato-Bomben rücken die Serben enger zusammen. Der serbische Schriftsteller Ivan Ivanji über die Tragödie auf dem Balkan.

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Im Donner der Nato-Bomben rücken die Serben enger zusammen. Der serbische Schriftsteller Ivan Ivanji über die Tragödie auf dem Balkan.

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Es wäre unnatürlich, nützte die noch immer geheimnisvolle Rebellenarmee der Albaner, die UCK, die Situation nach NATO-Angriffen nicht aus. Sie versucht, neues Terrain zu erobern. Vor knapp einem Jahr war sie noch eine Gruppe von einigen hundert Einzelkämpfern. Damals behauptete der pazifistisch angehauchte Präsident der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, die UCK existiere nicht, sie sei eine Erfindung der serbischen Geheimpolizei. Jetzt mußte er einen ihrer Führer, der dem Alter nach sein Sohn sein könnte, Hasim Thaqi, in Rambouillet als Chef der gemeinsamen Delegation anerkennen.

Diese vor einem Jahr noch winzige Schar besitzt heute die stärkste Luftwaffe der Welt, die Armada der NATO. Dafür wird die UCK zu ihrer Bodentruppe. Ab dieser Woche, nachdem die jugoslawische Luftabwehr weitgehend ausgeschaltet ist, will die NATO erklärterweise direkt in die Kämpfe ein- und sogar einzelne jugoslawische Panzer angreifen, weil das Gelände schwierig ist, es besteht aus bis 2.700 Meter hohen Bergen und tiefen Schluchten.

In den bombardierten Städten Serbiens entwickelt sich bei den breitesten Schichten der Bevölkerung Wut und Zorn, Haß gegen die Angreifer, die nicht Slobodan Milosevic' in seinem atomsicheren Luftschutzbunker bedrohen, sondern die einfachen Menschen. Die NATO mag ja militärische Objekte im Visier haben, aber sie trifft auch zivile Ziele und sie setzt jedermann in Angst und Schrecken.

Ein böses Beispiel war die Nacht zwischen dem vergangenen Samstag und Sonntag. Nachdem in ganz Belgrad dumpfe Explosionen zu hören und in der Ferne im Westen und Südwesten ein furchtbarer Feuerschein zu sehen waren, verbreitete sich plötzlich das Gerücht, die NATO habe Giftgas eingesetzt. Tatsächlich meldete das Radio, wer Gasmasken besitze, solle sie bereithalten, von Hilfe seien auch nasse, vor das Gesicht gehaltene Tücher, aber lebensgefährlich sei die Angelegenheit nicht. Angelegenheit? Man wußte nicht, was man glauben sollte, aber man kann sich die Reaktion der verunsicherten Menschen vorstellen. Am Morgen erst stellte sich heraus, daß beim Dorf Sremcica, etwa zehn Kilometer vom Belgrader Stadtrand entfernt, ein Magazin für Raketentreibstoff getroffen war, aus dem sich nach der Explosion giftige Dämpfe ausbreiteten. Zum Glück trieb er über die Donau in Richtung eines unbewohnten Geländes ab, so daß Menschen nicht zu Schaden kamen.

Auf den Bildschirmen in den europäischen Wohnzimmern sieht man furchtbare Maschinen wie in SF-Filmen, Bomben- und Raketenabwürfe wie bei Computerspielen und ordenbestückte NATO-Generäle, die über die Erfolge ihrer Apparate berichten, wie die Trainer nach einem Fußballspiel. Über Serbien befinden sich die Piloten kaum in größerer Gefahr als auf dem Himmel ihrer Heimat. Auch von dort stürzt man ab und zu ab. Unter ihnen aber leben knapp über zehn Millionen Serben und Montenegriner in unbezähmbarer Furcht. Muß man dabei nicht doch von der Verhältnismäßigkeit der Mittel sprechen.

Die NATO und die westliche Staatengemeinschaft hatten sich zwei Ziele gesetzt: eine Verschlimmerung der humanitären Katastrophe im Kosovo zu verhindern und das Regime in Serbien und Jugoslawien auch sonst in die Schranken zu weisen. Beides ist zumindest kurzfristig mißlungen. Kosovo kann mit Luftangriffen nicht pazifiziert werden, und Milosevic' sitzt heute fester im Sattel als vor Beginn des Krieges.

Unter dem Luftkrieg leidend hat die Bevölkerung auf die bisherigen Mißstände im Leben vergessen. Trotz regt sich. Anhänger Milosevic's in der größten serbischen Provinzstadt Nis wollen zum Beispiel, wenn Alarm gegeben wird, nicht in die Schutzräume gehen, sondern auf Straßen und Plätzen singen. Arbeiter der Autofabrik "Zastava" in der Stadt Kragujevac wollen auch in ihrer Fabrik bleiben und sie "... mit nackter Brust gegen die Raketen schützen!" So idiotisch das klingt, es sagt etwas über die Atmosphäre aus. Tatsächlich aber wird bei dem schönen Wetter in Belgrad, wo immer es geht, zwischen zwei Warnsirenen der Grill in der nächsten Grünanlage entfacht und Fleisch gebraten. Daß dazu auch getrunken wird, muß man, wenn es um Serben geht, nicht näher erklären.

Milosevic' hat von seinem Standpunkt aus richtig kalkuliert und scheint mit der Entwicklung ganz zufrieden zu sein. Es ist unverständlich, wieso angesehene Staatsmänner des Westens erklären, sie warten darauf, daß er einlenken werde. Er wird das nicht tun und sieht auch keine Ursachen, warum er nachgeben sollte.

Ein Mensch wie er ist dem Leiden seiner Bevölkerung gegenüber gleichgültig. Durch diese Angriffe, die vor allem gegen seine Person deklariert sind, die aber die breiten Massen treffen, hat er jetzt fast alle Mitbürger hinter sich. Einer der angesehensten, fast ein Jahrzehnt lang am schärfsten gegen ihn schreibenden Journalisten einer serbischen Oppositionszeitung sagte, so lange das Bombardement dauere, werde er nicht gegen die Regierung schreiben.

Da Kriegsrecht herrscht, kann das Regime jetzt bequem die gesamte Opposition, alle seine Gegner, mundtot machen. Aber wegen der allgemeinen Stimmung kann die Opposition auch sonst nichts unternehmen, alles gegen die Regierung würde von der Mehrheit der Bevölkerung als Verrat in einer schweren Stunde gedeutet.

Die Bomben auf Montenegro haben in dieser Teilrepublik Jugoslawiens die Reformfreudigkeit gestoppt, die stärksten inneren Gegner des Belgrader Herrschers für lange Zeit aus dem Rennen geworfen.

Die Wirtschaft Jugoslawiens stand ohnehin vor dem Bankrott. Gehälter, Löhne und Renten wurden mit monatelanger Verspätung ausgezahlt. Einst angesehene Menschen, Ärzte und Professoren, nagten als Rentner am Hungertuch und wühlten in Mülltonnen, mehr als ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung war schon arbeitslos, schätzungsweise zweihunderttausend junge, gut ausgebildete Fachleute haben dem Land für immer den Rücken zugekehrt. Die Versorgung mit vielen Gütern und Medikamenten war ausgesprochen schlecht. Selbst die früher vorbildliche Krankenversorgung ist so katastrophal geworden, daß Patienten, die sich einer Operation unterziehen müssen, die Gummihandschuhe für den Chirurgen und den Operationszwirn selbst mitbringen müssen. Zugleich haben sich Anhänger des Regimes dermaßen bereichert, daß sie es mit ihren Autos, Palästen mit Pools, dem Geschmeide ihrer Frauen und Mätressen und sonstigem Pomp mit dem Jet-Set im Westen aufnehmen können. Soziale Unruhen drohten. Jetzt aber hat das Regime für das Elend eine gute Begründung: die NATO, den Krieg.

Manch einer sucht Vergleich zwischen Jugoslawien und dem Irak. Der frühere Oppositionspolitiker Vuk Draskovic' hat schon 1991 Milosevic' mit Saddam Hussein verglichen. Heute ist Draskovic' allerdings in das Regime integriert und Vizepräsident der Bundesregierung. Aber der Irak hat ein anderes Land, Kuwait, militärisch angegriffen und besetzt, Giftgas gegen einen Teil seiner Bevölkerung angewendet, und die UNO hat auf Grund ihrer Charta beschlossen, ihm deshalb den Krieg zu erklären.

Im Fall Jugoslawien hat sich eine als Verteidigungsbündnis gegründete Gruppe von Staaten, die NATO, eigenmächtig zum Weltgendarmen ernannt. Das kann das Ende der UNO, so wie sie mit vielen Mühen nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde, bedeuten. Es ist ein schlechtes Omen an der Schwelle des nächsten Jahrtausends. Auch das Ende des Völkerbundes läutete eine böse Zeit ein. Und wenn die UNO und das bisher geltende Völkerrecht verachtet werden, hat das eine weitaus größere Bedeutung als Kosovo, Serbien und Milosevic' zusammen.

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