Huntington war gestern

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Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nahmen kulturelle Konflikte weltweit zu. Eine Studie zeigt: Von einem „Kampf der Kulturen“ kann dennoch keine Rede sein.

Vielleicht hat man dem vor Jahresfrist verstorbenen Politologen ja Unrecht getan. Aber auch wenn Samuel Huntington als differenzierter Denker und Analytiker wahrzunehmen gewesen wäre: Sein Postulat vom „Clash of Civilizations“, das – leider mäßig exakt übersetzt – als „Kampf der Kulturen“ in den deutschen Wortschatz einging, eignete sich in der vereinfachenden, durch die Medien wahrgenommenen Welt nur allzu gut als Keule bipolarer oder gar manichäischer Weltsicht. Man sollte nachsichtig sein: Denn eine Art Manichäismus und/oder Bipolarität war ja seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Paradigma des politischen Weltdenkens. Kalter Krieg, so lautete das Schlagwort dazu. Und der zog sich weit über die einschlägig Verdächtigen, die McCarthys im guten Westen oder die Ulbrichts im bösen Osten hinweg. Die Sowjetunion sei das „Evil Empire“ – „Reich des Bösen“ hatte Ronald Reagan noch 1983 geschimpft. Unter ihm war der christliche Fundamentalismus in den USA zur politischen Größe geworden.

Dschihad statt Sowjetunion?

Auch wenn ein Zeitgenosse nach 1989 gar das „Ende der Geschichte“ ausgerufen hatte: Dass ein Konservativer wie Samuel Huntington, das kollabierende Reich des Bösen vor Augen, sich eine neue Polarität ausmalte, überraschte kaum. Statt an den Bruchlinien zwischen Freiheit und Kommunismus würden sich globale Verwerfungen an kulturellen Konflikten entzünden. Huntington postulierte den Islam und China als die Kampfzonen der Zukunft. Sonderbar, dass China wohl als wirtschaftliche Bedrohung herhielt, den Part der politischen Gefahr übernahm der Welt-Islam (den es in solcher Vereinfachung ja gar nicht gibt).

Die Geschichte schien Huntington Recht zu geben: Waren 9/11 und die Anschläge von Bali über Madrid bis London nicht der beste Beweis dafür, dass der Dschihad die Weltherrschaftsgelüste der Sowjetunion übernommen hatte? Und zeigte nicht eine vergleichsweise läppische Affäre, die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Muhammad in einer dänischen Lokalzeitung, wie absurd eine Sache eskalieren konnte, wenn muslimisches Sentiment im Spiel war?

Ob Huntingtons Thesen tragfähig waren und sind, lässt nicht so leicht beantworten, denn die normative Kraft des Faktischen, sprich. Das Verdikt der Schlagzeilen der Welt scheint längst gefällt: Der Westen und seine Werte sind – kulturell – in der Defensive, ein neuer Aggressor – der als Monolith dargestellte und wahrgenommene Islam – ist der aufstrebende Global Player. Das alles verunsichert ganze Gesellschaften, europaweit schwingt sich das Gespenst der schleichenden Islamisierung längst aus den Schmuddelecken der Rechtsextremen in den gesellschaftlichen Mainstream empor. In der Schweiz wird dieser Tage über ein Verbot von Minaretten abgestimmt, in Österreich besorgen das Gleiche die Bauordnungen der Provinz: Es sei gegen das Ortsbild, die gebauten Religions-Symbole zuzulassen.

Doch die mediale Wahrnehmung ist nicht ident mit der globalen Wirklichkeit. Die Heidelberger Politikwissenschafter Aurel Croissant, Uwe Wagschal, Nicolas Schwank und Christoph Trinn haben in einer Publikation der Bertelsmann Stiftung die Huntington-Thesen aufgenommen und fast 800 politische Konflikte seit 1945 empirisch analysiert. Sie verstehen unter kulturellen Konflikte innerstaatliche, zwischenstaatliche und transnationale Auseinandersetzungen, in denen „die Akteure die Konfliktfelder Sprache, Religion und/oder geschichtliche Zusammenhänge … thematisieren“.

Huntingtons Postulat steht seit Jahren in der Kritik der Sozialwissenschaften, aber da sich der „Kampf der Kulturen“ eben hartnäckig in den Medien hält, sind die empirischen Zugänge der Bertelsmann-Studie hilfreich. Croissant & Co folgern aus ihrer Untersuchung, dass kulturelle Konflikte seit dem Ende des Kommunismus massiv zugenommen haben, aber überwiegend (zu 80 Prozent!) ein innerstaatliches Phänomen sind. Im Gegensatz dazu hatte Huntington ja behauptet, dass diese Konflikte die internationalen Beziehungen bestimmen würden – in Wirklichkeit, so die Studie, seien internationale kulturelle Konflikte „ein Ausnahmephänomen“.

Kulturelle Konflikte sind aber, so die Studie, besonders anfällig für Gewalt. Die Untersuchung zeigt jedoch auch, wie schwer eine globale Betrachtungsweise ist: So sind religiöse Konflikte für den Nahen und Mittleren Osten typisch, während in Asien dagegen geschichtliche Auseinandersetzungen dominieren. In Europa wiederum ist die Sprachfrage (Beispiel: Belgien) bei innerstaatlichen Konflikten führend. Und Nord- wie Südamerika wird „deutlich durch nichtkulturelle Auseinandersetzungen“ geprägt.

Die Welt ist einfach nicht einfach

So kann von einer eindeutigen Situation keine Rede sein; auch die Vermutung, die Religion sei an den Konflikten der Welt prioritär beteiligt, scheint kaum haltbar. Laut der Studie spielt die Sprache als Konfliktpotenzial eine viel größere Rolle als etwa die Religion. Grundsätzlich können aber kulturelle Faktoren allein Konflikte nicht erklären, da „Konflikte komplexer Natur sind“. So erhöht ein nichtkultureller Faktor wie ein hoher Anteil junger Männer in einer Bevölkerung die Ausbildung von Konflikten massiv.

Die Autoren erteilen schließlich der Vermutung eine Absage, dass Konflikte umso häufiger auftreten, je heterogener die religiöse Struktur einer Gesellschaft ist. Das Ergebnis legt anderes nahe: Länder, die religiös besonders zersplittert (etwa die USA), und solche, die besonders homogen (z. B. Dänemark) sind, sind weniger von kulturellen Auseinandersetzungen betroffen als Länder mit zwei oder drei großen religiösen Lagern.

Die Studie legt nahe: Eine verkürzte Weltsicht, auch wenn sie Huntington bemüht, stimmt mit der Wirklichkeit nicht überein. Und die Religion als solche ist keineswegs mit dem Aufbrechen von Konflikten zu identifizieren. Die Welt ist einfach nicht einfach. Wer sie verstehen will, wird sich weiter anstrengen müssen.

Kultur und Konflikt in globaler Perspektive – Die kulturellen Dimensionen des Konfliktgeschehens 1945–2007.

Hg.: Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2009. 101 Seiten, kt. € 18,50

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