"Ich bin ein kultureller Flüchtling"

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Der afghanische Schriftsteller Atiq Rahimi ("Erde und Asche") über sein Land, den Islamismus und seine Motivation, zu schreiben.

die furche: Sie haben Ihre Kindheit und Jugend im Afghanistan der sechziger und siebziger Jahre verbracht, einer Zeit also, in der es mehr Freiheit gab als je zuvor und je danach. Was sind Ihre wichtigsten Erinnerungen?

Rahimi: Es war eine großartige Zeit. Ich wuchs in einem wohlhabenden Milieu auf, mein Vater war Regierungsbeamter, meine Mutter Lehrerin, ich ging in eine Eliteschule. Es gab ein reiches Kulturangebot, einen großen Büchermarkt, viel Kino und Freiheit für die Philosophie. Es gab politische Parteien und Freiheit für die Frauen, die in manchen Berufssparten 40 Prozent der Arbeitskräfte stellten. Für eine gewisse soziale Schicht war das Leben wirklich sehr angenehm, wobei man nicht vergessen darf, dass es in den Provinzen viel Elend gab, Afghanistan war schließlich ein unterentwickeltes Land, auf dem noch dazu die Tradition schwer lastete.

Doch schon 1973, da war ich gerade elf Jahre alt, gab es den ersten Bruch. Prinz Daoud putschte sich an die Macht, setzte König Zahir Shah ab und beendet die Monarchie. Mein Vater, der Monarchist war, wurde verhaftet, und Schritt für Schritt wurden die Freiheiten eingeschränkt. Dann mit dem kommunistischen Putsch 1978 begann sofort der Terror. Davon handelt mein zweiter Roman, der im März auf Französisch erscheinen wird "(Les mille maisons du rêve et de la terreur"). Innerhalb eines einzigen Jahres wurden zehntausend Angehörige der afghanischen Elite hingerichtet. Dann kam die sowjetische Invasion. Da war ich 17, und plötzlich war alles vorbei.

die furche: Noch blieben Sie aber einige Jahre im Land, was veranlasste Sie dann, mit 22 ins Exil zu gehen?

Rahimi: Da kam einiges zusammen. Es gab Probleme in der Familie, ich verstand mich nicht mit meinem prokommunistischem Bruder. Schon mit 12 Jahren hatte ich begonnen zu schreiben, meist kleine Kurzgeschichten. Nun aber konnte ich nichts mehr schreiben. Ich hatte ständig Probleme mit der Zensur. Dann war ich völlig gegen diese Invasion und dieses Regime, und wenn ich mein Studium der französischen Literatur in Afghanistan beendet hätte, hätte ich Militärdienst machen müssen, ich bin aber unfähig, eine Waffe in die Hand zu nehmen.

die furche: Auch im französischen Exil haben Sie erst nach langen Jahren das erste Buch veröffentlicht. Was hinderte Sie so lange am Schreiben?

Rahimi: Als ich ins Exil ging, hörte ich auf zu schreiben und ging sehr auf Distanz zu Afghanistan. Nach dem sowjetischen Regime in Kabul sah ich bei meiner Ankunft in Pakistan diese andere Atmosphäre, alle die islamistischen Gruppen und Mudschaheddin, da war ich nur noch verzweifelter. Ich sage immer, ich bin kein politischer Flüchtling, ich bin ein kultureller Flüchtling, mit der Kultur des Totalitarismus und jener der Integristen habe ich nichts gemeinsam. In Frankreich sagte ich mir, auf Französisch werde ich nie schreiben können, also suchte ich mir eine andere Sprache und wandte mich dem Bild zu.

die furche: Welcher afghanischen Kultur fühlen Sie sich denn zugehörig?

Rahimi: Unserer kulturellen Vergangenheit bis zum 17., 18. Jahrhundert. Ich stehe auf diese Literatur und bin stark beeinflusst davon. Der Islam bis zum 17., 18. Jahrhundert beruhte auf buddhistischer und zoroastrischer Basis, er gründete nicht auf der Angst vor Gott, sondern auf der Liebe zu Gott. Es war eine Philosophie, die sich fast schon zu einer humanistischen Philosophie des Menschen hin wandelte, eine vom Sufismus geprägte mystische Philosophie, die gegen die muslimischen Dogmen ankämpfte. Und dann gab es diese wunderbare Dichtung, die von der Frau und vom Wein, sprach; die Liebe des Menschen zu Gott wurde stets mit der Trunkenheit durch den Wein verglichen, ohne die spätere Sakralisierung.

die furche: Wie erklären Sie sich dann den Weg, den Afghanistan von dort aus genommen hat?

Rahimi: Ich mache gerade einen Film für arte über das zeitgenössische Afghanistan, und da stelle ich mir genau diese Frage. Ein armes Land wie Afghanistan ist binnen drei Jahrzehnten von einem Extrem ins andere gegangen, von der konstitutionellen Monarchie auf Basis des britischen Systems über die Republik von Afghanistan auf französischer Basis, einen nationalistischen Kommunismus von 1978 bis 1979, dann den internationalistischen prosowjetischen Kommunismus, hin zur islamistischen Republik, die sich am Iran orientierte, und schließlich zu den Taliban mit einem islamistischen Staat nach dem Modell Saudiarabiens. Was da gelaufen ist, hat sicher viel mit der geopolitischen Lage zu tun, es ist ein Land, das immer alle angezogen hat, was zu einer großen ethnischen und kulturellen Vielfalt geführt hat, aber auch zu Konflikten zwischen Zivilisationen und politischen Ambitionen, die keine Ruhe zugelassen haben.

die furche: Welche der genannten Entwicklungen hat Sie dann wieder zum Schreiben veranlasst?

Rahimi: Das war die Machtübernahme der Taliban 1996. Ich erinnere mich, als ich Mitte der achtziger Jahre nach Frankreich kam, da wurden die tapferen Afghanen hochgejubelt, die sich gegen die Sowjets zur Wehr setzen. Aber ich sagte mir, die Afghanen sind doch nicht einfach Krieger, sie haben eine Kultur, aber jeder sprach von Afghanistan nur als dem Land der Krieger, keiner redete über unsere Zivilisation, das machte mir Angst. Als dann die Taliban kamen, sah ich wieder diese Bilder von den Afghanen als Krieger, als Idioten, als Fanatiker, die nichts anderes zu tun wissen, als Hände abzuhacken. Da begann ich wieder zu schreiben, denn ich musste mich mit der Gewalt in meinem Land auseinandersetzen.

Ich kam zu dem Schluss, das wir in unserem Land nie eine Periode der Trauer einlegen, unter den Sowjets gab es immerhin eine Million Tote, aber das Land fand keine Zeit sie zu betrauern, sondern ging sofort zur Rache über. Betrauern aber ist so wichtig. Da schrieb ich meinen Roman "Erde und Asche" darüber, wie die Zukunft taub ist, die Gegenwart verraten, die Vergangenheit mit ihrem Schmerz und ihrem Leiden unterdrückt.

die furche: Können Sie sich vorstellen, wieder nach Afghanistan zurückzugehen? Was wären die Voraussetzungen?

Rahimi: Jetzt, denke ich, gibt es eine Chance für das Land, wenn die Politiker genügend Reife zeigen, aber man darf nicht vergessen: 20 Jahre Krieg haben alles zerstört, die Mentalität, den Mut, den Esprit, die Einstellung, da ist eine junge Generation herangewachsen, die nur Krieg gekannt hat.

Ich selbst fahre nach 17 Jahren nun das erste Mal wieder hin, aber um einen Film zu drehen. Da brauche ich Distanz und darf nicht in Sentimentalität verfallen. Um dort zu leben, müsste ich sein dürfen, wie ich jetzt hier bin, frei in meinen Gedanken, frei in meinem Schreiben, akzeptiert als der, der ich bin. Nie mehr könnte ich dort leben, wenn ich schweigen muss.

Das Gespräch führte Brigitte Voykowitsch.

Zur Person: Atiq Rahimi

Als Atiq Rahimis Roman "Terre et Cendres" im Juni 2000 in Frankreich erschien, nahm kaum jemand Notiz davon. Mit dem internationalen Interesse an Afghanistan wuchs auch die Nachfrage nach Rahimis Roman über das staubige, zerstörte Land. Soeben ist das Buch unter dem Titel "Erde und Asche" in deutscher Sprache erschienen (siehe Seite 22).

Geschrieben hat Rahimi seinen ersten Roman im französischen Exil, wo er Mitte der achtziger Jahre politisches Asyl erhielt. In Paris studierte der 1962 in Kabul geborene Autor audiovisuelle Kommunikation und arbeitete als Dokumentar- und Werbefilmer. "Ein Schriftsteller ist Sprecher seiner Epoche, nicht eines Volkes", wehrt Rahimi alle Fragen über Politik und Zukunft seines Landes ab. MK

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