6699703-1963_22_17.jpg
Digital In Arbeit

Gegen Uniformierung der Programme

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist bekannt, daß das internationale Stagnieren der Festivals in erster Linie dadurch herbeigeführt wurde, daß die prominenten Dirigenten, Solisten und Orchester ein gewisses Reiserepertoire haben, das ihnen ein Minimum an Proben, also ein Maximum an Ausnützung ihrer immer kostbarer werdenden Zeit ermöglicht. So kam es, daß fast überall immer wieder die gleichen Brahms- und Beethoven-Symphonien, die gleichen Instrumentalkonzerte, die gleichen Soloabende zu hören waren. Bisher waren die Anstrengungen der für die Wiener Festwochen Verantwortlichen hauptsächlich darauf ausgerichtet gewesen, gegen diesen Trend in der Uniformierung der Programme so zu kämpfen, daß zumindest Programmwiederholungen vermieden wurden. Für heuer drehten wir den Spieß um: Wir wählten nicht aus den uns von den Künstlern und Orchestern angebotenen Programmen das uns am geeignetsten Scheinende aus, sondern ließen umgekehrt die Künstler und die Orchester aus den von uns fixierten Programmen jenen Komponisten auswählen, der ihnen ihrer (und selbstverständlich auch unserer) Meinung nach am meisten lag. Und auf jene, die keinen unserer Vorschläge akzeptieren wollten, verzichteten wir.

Dies klingt vielleicht einfach und sicherlich logisch. Wer aber die Usancen des internationalen Musiklebens kennt und vor allem mit den Großen dieses Musiklebens Kontakt hat, weiß, daß ein solches unbedingtes Primat der Programme nur sehr schwer durchzusetzen, weil aus der Übung gekommen ist. Die vielfältigsten Umstände spielten da mit (um von gewissen persönlichen Interessen und den Interessen der Schallplattenfirmen und der Rundfunkanstalten nicht erst zu reden). Wenn beispielsweise das London Symphony Orchestra in Wien fünf Abende gibt, die je einem Komponisten gewidmet sind (Tschaikowsky, Bartök, Beethoven, Debussy, Berlioz), so bedeutet dies, daß es nicht einfach die Programme seiner letzten fünf Londoner Abonnementkonzerte wiederholen kann, sondern etwa zehn Tage neu proben muß, ehe es sich nach Wien auf die Reise machen kann; und wenn zwei so eminente Beethoven-Spieler wie Backhaus und Serkin eingeladen werden, heißt dies, daß einer von beiden freiwillig auf den Komponisten, mit dem er die größten Erfolge zu haben pflegt, verzichten muß. All dies bedingt äußerste Vorsicht während der Vorbereitungsarbeiten, ein hohes Maß an Überredungskunst, eine vollständige Offenheit den

Künstlern gegenüber, einen Verzicht auf jede Art von Intrige. Und den festen Willen, sich nicht auf den kleinsten Kompromiß einzulassen. Und auf der anderen Seite Verständnis. Zur Ehre der bei uns während des 11. Musikfestes auftretenden Künstler sei gesagt, daß sie alle dieses Verständnis aufbrachten, nachdem sie begriffen hatten, worum es ging. Wir präsentieren diesmal unser ureigenstes Programm, und für den Musikliebhaber sind nicht dessen Hintergründe, sondern dessen Qualität von Belang. Zwölf Festwochentage, also nahezu die Hälfte unseres Musikfestes, stehen im Zeichen von Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts. Wir halten damit an unserer bisherigen Meinung fest, daß das Panorama der abendländischen Musik von der Gegenwart aus belichtet werden muß, und rücken, damit dies augenfällig werde, ganz bewußt die zeitgenössischen Komponisten in den Vordergrund. Und wenn neben Debussy, Ravel, Mahler, Richard Strauss, Bartök, Kodäly, Strawinsky, Blacher, Prokofieff, Janacek, Britten und Henze beispielsweise die Wiener Schule mit Schönberg, Berg und Webern fehlt, so ist nicht der mangelnde Wille daran schuld gewesen, sondern die Unmöglichkeit, bei den verfügbaren Orchestern ausreichende Probentermine zu erhalten. (Auch daraus werden wir für die Zukunft eine Lehre ziehen.)

Zu neuen Ufern also sind wir aufgebrochen. Zu einer programmatischen Erneuerung der Wiener Festwochen. Mögen die musikalischen Ereignisse der künftigen Festwochen halten, wai unser 11. Musikfest für heuer verspricht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung