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Autobus zur Gleichberechtigung

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Der amerikanische Ausdruck für Reiter und Mitfahrer ist ein und derselbe. Daher sind die „freedom-riders”, die in diesen Wochen beinahe täglich in der amerikanischen Presse erwähnt rn.iBine R?iter, Wfl&rn Fahrer genauer gesagt Autobus- und Eisen- bahnpässagiere. Sie erregen aber die Bewunderung der einen und den Haß der anderen kaum weniger als ihre geistigen Vorfahren, die Abolitionisten, die hoch zu Roß in den feindlichen Süden preschten.

Der große Unterschied zwischen ihnen und den Abolitionisten besteht nicht nur im Ziel, sondern auch in den Methoden. Die Abolitionisten zögerten nicht, den Sklavenhaltern ihr Eigentum ohne Entschädigung wegzunehmen und ihnen notfalls auch den Schädel einzuschlagen. Die freedom- riders dagegen, die völlige Reisefreiheit ohne Einschränkung durch die Hautfarbe anstreben, halten nur den eigenen Schädel hin. Glücklicherweise sind Prügel sowie, sehr vereinzelt, Quälereien sadistischer Gefängniswärter das Schlimmste, das ihnen bisher widerfahren ist schlimm genug.

Sobald diese aus Farbigen und Weißen gemischten Gruppen in einem Ort im Süden ankommen und sich unter Mißachtung der Rassentrennung in einem für Weiße reservierten Warteraum niederlassen, werden sie wegen Verletzung örtlicher Gesetze ins Gefängnis geworfen. Bisher sind etwa 300 von ihnen festgenommen worden.

Die Demonstrationen für die Gleichberechtigung in Warteräumen sind gewissermaßen die dritte Welle solcher Unternehmungen. Die erste Welle waren die „Sitzstreiks” in Restaurants, die Farbige nicht bedienten. Den Anfang dazu hatten ältere

Leute gemacht. Sie wurden aber bald von den jüngeren beiseite geschoben. Die zweite Welle waren die Sitzstreiks in Kinos.

Der Kongreß für die Gleichberechti- guri’g ddFäsS¥ri”‘tORE), JgnPdie er- böäffcn 80ifftatI®fSXÖinniiji,fistfsehe Be- zi eh ungen fiäths’ägfen, ohne diese Anschuldigung beweisen zu können, hatte die Reisekundgebungen anfangs organisiert, zog sich aber zurück, nachdem einige seiner Demonstranten verprügelt worden waren. Daraufhin übernahm eine Studentengruppe, die bereits bei den früheren Aktionen aktiv gewesen war, die Führung. Als die jungen Leute in Alabama Prügel bezogen, strömten Negerpfarrer aus allen Teilen des Südens dorthin, um bei der Weiterfahrt nach Mississippi dabei zu sein.

Die „freedom-riders” lassen sich verprügeln, ohne zurückzuschlagen. Teils aus echter Überzeugung, daß Liebe mehr Macht hat als Haß, teils aus Zweckmäßigkeitsgründen. In jedem Fall erregt die Disziplin, mit der sie sich verspotten, anspucken und prügeln lassen, Bewunderung, wenn man sie in der Wochenschau von einer Horde grölender, brutaler Weißer eingekreist sieht.

Aber nicht nur viele ältere Neger, sondern auch eine Anzahl nördlicher Liberaler (im heutigen amerikanischen Sprachgebrauch Vorkämpfer politischen und sozialen Fortschritts) sind gegen diese Demonstranten. Sie werfen ihnen vor, daß sie eine Situation, die bereits „kurz vor einer befriedigenden Lösung” stünde, unnötig verschärfen. Die Befürworter berufen sich unter anderem auf die Suffragetten. Diese gingen, nachdem ihre langjährigen Bemühungen sie nicht weitergebracht hatten, ab 1911 auf die Straße. Sie wurden von den auf- girbtachten Männern verhöhnt? ins Gefängnis geworfen und in -jed- Weise behindere. Aber 19’3 Wxate4er-49.Zh- satzantrag zur Verfassung, der Frauen das Wahlrecht gab, ratifiziert wurde, hatten sie gesiegt.

Was die gegenwärtigen Aktionen für die Gleichberechtigung der Neger betrifft, so muß man sich vergegenwärtigen, daß die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, welche die große Bresche in die Mauer der Rassentrennung schlug, bereits sieben Jahre zurückliegt. In dieser Zeit hat der Süden es verstanden, die Durchführung der Entscheidung geschickt zu sabotieren. Zum Beweis des „guten Willens” wurden da und dort Schulen mit großer Fanfare integriert. Dieses Jahrhundert ginge zu Ende, bevor — in diesem Tempo — alle Schulen integriert wären. Es kam dem Süden zugute, daß Eisenhower die Zügel schleifen ließ. Daraus entwickelte sich eine für die Herrschaft des Gesetzes bedrohliche Krise.

Die neue Regierung ist entschlossen, alle durch die bestehenden Gesetze gebotenen Möglichkeiten zum Abbau der Rassentrennung voll auszunützen. Dies sei wichtiger, als neue Gesetze zu erlassen. Erst dieser Tage hat der Präsident in einer Pressekonferenz erklärt: „Wir glauben, daß jeder, der reist, aus was für einem Grund auch immer, den vollen Schutz des Gesetzes und der Verfassung genießen solll” Sein Bruder, der Justizminister, hatte zuvor einer Delegation von Geistlichen erklärt: „Ich kann nicht verstehen, wie irgend jemand, der das geistliche Gewand trägt, es unterlassen kann, gegen dieses Übel seine Stimme zu erheben!” Die Delegation hatte ihn aufgesucht, nachdem neun Geistliche am Tag vorher in Jackson, Mississippi, im Warteraum des städtischen Flughafens verhaftet worden waren.

Die neue Administration tritt, in scharfem Gegensatz zu vorhergehenden, für die Gleichberechtigung der Neger ein, wo sie kann. Unternehmer mit Regierungsaufträgen müssen die Diskriminierung abstellen, Neger erhalten Beamtenstellungen, die ihnen bisher verschlossen waren, die Kommission für die Bürgerrechte wird durch Ernennung besonders fähiger Leute gestärkt.

Diese Haltung der Regierung gibt den „freedom-riders” natürlich einen Rückhalt, der ihr Unternehmen überhaupt erst ermöglicht, wenn er auch nicht seinen Erfolg garantiert. Infolge der rechtlichen Verhältnisse zwischen Einzelstaaten und Bund ist es nämlich für die Bundesregierung gerade in dieser Sache schwierig, sich gegen die Südstaaten durchzusetzen. Nach Bundesrecht ist die Rassentrennung im zwischenstaatlichen Verkehr verboten, staatliche Gesetze schreiben sie aber vor. Ungeklärt ist die Frage, wie weit das Kriterium des zwischenstaatlichen Verkehrs auf Warteräume angewendet werden kann. Bei den Flughäfen macht die Bundesregierung geltend, daß der Bundeszuschuß sie berechtigt, ihre Maßstäbe anzulegen. Wo aber keine Zuschüsse gegeben wurden, muß die Frage in jedem Fall gerichtlich entschieden werden. Die staatlichen Richter aber, die ihre Wähler nicht vor den Kopf stoßen möchten (denn während die Bundesrichter ernannt werden, werden die staatlichen Richter gewählt), drängen sich nicht darnach, diese Fälle zu entscheiden.

Ein großer Teil des Publikums fürchtet, daß sich das Verhältnis zwischen den Rassen durch die „freedom- riders” verschlechtern wird. Einer Um- frsgft des.Qallup-Instituts zufolge sind es 53 Prozent der Befragten, während nur 21-, Prozent Besserung erwarten. Die große Zahl der Unentschiedenen ist für solche Befragungen typisch. Im Süden erwarten sogar 65 Prozent eine Verschlechterung.

Man befürchtet, daß, sollte das friedliche Unternehmen scheitern, die „black muslims” („schwarze Muselmänner”) davon profitieren werden. Diese Organisation ist nur zu bereit, Gewalt mit Gewalt zu vergelten. Ihre Verachtung für die Weißen ist jener der fanatischesten Weißen für die Neger gleich.

Zur Abrundung des Bildes sei mitgeteilt, daß kürzlich ein Negerwohnviertel in Chikago abbrannte und weißer Mob das Rote Kreuz daran hinderte, die wohnungslosen Neger in einer Kirche in einer „weißen Gegend” einzuquartieren. Stolz entrüstete sich darüber einige Tage später ein Südstaatler im Senat und erklärte, so etwas könne im Süden nicht vorkommen. Dort sei die Bevölkerung notleidenden Farbigen gegenüber immer hilfsbereit.

Tatsächlich ist es seit den Tagen der Abolitionisten so, daß der Norden sich für die Prinzipien stark macht, während in den Südstaaten die Beziehungen zwischen Weißen und Negern persönlicher sind.

Im Guten wie im Bösen.

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