6759425-1968_09_01.jpg
Digital In Arbeit

Protest im Gleichschritt

Werbung
Werbung
Werbung

Als vor wenigen Wochen der Schah von Persien Wien besuchte, wußte der österreichische Rundfunk zu melden, daß demonstrierende Studenten, Perser und — merkwürdigerweise — Österreicher und Deutsche, von dier Polizei durch gütiges Zureden veranlaßt wurden, von ihrem wagemutigen Unternehmen abzulassen; die Demonstranten — so jener Bericht — zogen sich in ein Kaffeehaus zurück. Sehn Sie, das ist Österreich, ‘hätte man sicher gesagt, wäre main zur Zeit dieser Nachricht im Kreise deutscher Nachbarn gewesen. Man erinnert sich ja noch gut, daß mit Demonstrationen gegen Reza Pahlevi in Berlin eine Folge von Unruhen ihren ersten Höhepunkt gefunden hatte, die sich seither noch nicht eindeutig über ihr Ziel ausgewiesen hat. Da wir in Österreich, dank eines gewissen quietiist’iscihen Elements in Gharakiter und Neigungen, zumindest vorläufig noch auf unangefochtenem Beobachterposten verweilen können: Die kümmerlichen Versuche, zwischen Donaukanal und Gürtel das deutsche Vorbild zu kopieren, hatten nur geringen Effekt.

Fürs erste fällt die Aktivität junger Leute auf, die allgemein als Studenten gelten. An sich ist es durchaus einleuchtend, daß Hochschüler gegen überlieferte Einrichtungen, genauer gegen deren Formen, aber auch gegen etablierte soziale Verhaltensweisen und Normen etwas einzuwenden haben und diese Einwände erstens nicht immer auf akademische Weise zum besten geben, zweitens über den Polemikanlaß hinaus nicht nur demonstrieren, sondern auch ihre Lust am Demonstrieren äußern, dergestalt nach einer Weile die Empörung gar nicht mehr einem eindeutigen Motiv zuzuordnen ist. Es sei an den sogenannten Medizinerstreik im Herbst 1937 erinnert, dessen fakultätsbedingter Anlaß in einem beträchtlichen Aufruhr nationaler bis nationalsozialistischer Studenten zuletzt kaum mehr ersichtlich war. Vergleichbare Erscheinungen sind in diesen Tagen auch in Deutschland zu sehen. Die Berliner Demonstrationen richteten sich vorerst gegen den Schah als den Vertreter, besser Repräsentanten, eines als reaktionär wie anachronistisch empfundenen Feudalsystems, meinten aber auch die Politik in Bonn. Für den beiläufigen Zeitungsleser hat es den Anschein, als wäre da eine jugendliche neue Linke im Aufbruch.

Aber auch wenn man Begriffe wie: links, Mitte, rechts, richtigerweise für antiquiert hält, die also vermutete Linke ist als solche überhaupt nicht faßbar, weil einfach amorph. Im sozialistisch regierten Bremen erzwangen die Studenten eine Rücknahme der Straßenbahnerhöhungen, in Berlin legten sogenannte Kommunarden rote Mao- Bibeln auf die Orchesterpulte, während der Frankfurter Buchmesse wurden die Ausstellungslokalitäten der Springer-Erzeugnisse blockiert; die mit rosigem Make-up international appettitlich herausgeputzte Gruppe 47 hingegen mußte sich ebenfalls zu ihrer nicht geringer Überraschung demonstrierenden Besuch gefallen lassen. Dabei hatte doch die Gruppe, nicht nur des Schreibens kundig, sondern auch de Unterschreibens, ihr Scherflein zun Wohlergehen demokratischein Leben! dadurch beigetragen, daß sie zun Boykott der Springer-Presse aufrief Pikanterweise ergab die Unterschriftenliste schließlich dreimal s viel Namen, wie es 47er gibt. Hübsd zu sehen, daß auch eine literarischi Clique, der man die Verwaltung voitantiemenvollen Zapfstellen zutraut, Mitläufer züchtet. Es gibt eben für jede Katastrophe die Nuß, in der das Modell steckt. Peinlich an diesen Phänomenen ist für die Beteiligten in erster Linie die Lüge, die ihre Manifeste eben verdirbt. Der Bremer Bürgermeister äußerte nach seiner Niederlage gegen die Tarifrebellen, daß bei den Tumulten das allgemeine Unbehagen gegen die gesellschaftlichen und staatlichen Zustände eine sehr große Rolle gespielt habe. Und hier ist an der Sache eine besonders weiche Stelle.

Was heißt allgemeines Unbehagen an gesellschaftlichen und staatlichen Zuständen?

Deutschland hat eine, parlamentarische Demokratie, das Kräfteverhältnis wird von allgemeinen geheimen Wahlen bestimmt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben ihre Institutionen, in denen die jeweiligen Interessen mündig werden, das Sozialprodukt wuchs in einem Maße, daß man dieses Wachstum ein Wunder, die Nutznießer spitznamentlich Wunderkinder nannte, die sozialen Sicherungen und Gratifikationen zählen zu den bemerkenswertesten der westlichen Welt. Worin also hat das Unbehagen seine Wurzeln? Man wird wohl zur Beurteilung ohne psychoanalytische Hilfsmittel nicht auskommen. Es ist auffällig, daß in Österreich trotz durchwegs vergleichbarer politischer und wirtschaftlicher Situation ein allgemeines Unbehagen an den gesellschaftlichen und staatlichen Zuständen mindestens insoweit nicht manifest ist, daß es sich in Demonstrationen äußerte.

Noch einmal sei der manchenorts monierte quietistische Zug des Österreichers angeführt. Eine Begabung nicht nur der Mentalität, sondern auch des Verstandes. Man zitiert heutzutage oft und gern den Intellektuellen, so gut wie nie den i Klugen. Daß der Kluge nicht nur Befunde erhebt, Situationen analy siert und links oder rechts protestierend buchstäblich wegtritt, sondern darüber hinaus die Verhältnismäßigkeit von Motiven und Handlungen in seinem Verhalten unterzubringen weiß, hat ihn immer wenig spektakulär sein lassen, dem Fortgang des Lebens hingegen, und ganz sicher auch dem des Staates und der Gesellschaft, ist er dienlicher.

Die Deutschen sind in einer fatalen Situation. Jahrzehnte hin war der Bürger am Obrigkeitsdenken orientiert, nun soll er demonstrieren und protestieren und kann sich dabei mit nichts anderem ausweisen, als mit einem allgemeinen Unbehagen. Da muß er geradezu neidvoll nach Portugal, Spanien, Griechenland, von den Ostländem nicht zu reden, blicken, wo überall die rechtsorientierte oder die linke Diktatur dafür sorgt, daß das Unrecht nicht schwindet, gegen das zu protestieren man im übrigen mehr riskiert als einen Wasserstrahl oder einen Stock, für die ohnehin die erreichte Pressepublicity bis zu einem gewissen Grade entschädigt. Denn es ist doch befriedigend, dabei- gewesan zu sein und auf Tagungen davon zu berichten, wie es gewesen. Anödend allerdings der Konformismus, durch den das geschulte Ohr den Gleichschritt der Kolonnen wahmimmt: Zum Protest — im Gleichschritt marsch! Zwei, drei, vier… er ist offenbar unausrottbar der einzige Schritt, der die Deutschen in Tritt hält.

Um nicht mißverstanden zu werden: Keinen auch nur einiger maßen sinnenwachen und urteilsfähigen Zeitgenossen wird seine gegenwärtige politische Umwelt zufriedenstellen. Literatur aber ist kein geeignetes Mittel, eine gesellschaftliche Situation zu verändern, auch dann nicht, wenn diese Gesellschaft sozusagen ein gigantisches Wellenbad subventioniert, auf dem sich die Brechtsahen Reiter tummeln. Und ebenso wenig ist es ein geeignetes Mittel, den Hosenboden anstatt auf der Bank des Hörsaales auf Pflaster und Tramwayschdenen abzuwetzen. Wem die Wohlstandsgesellschaft zu üppig scheint, die Produktion zu hybrid, für den gibt es ein Mittel wenigstens zur subjektiven Veränderung der Situation, ein Mittel, das die Religionen durch Jahrhunderte hin ihren Anhängern empfohlen haben: nämlich Askese. Es ist niemandem genommen, durch Verzicht auf die Teilnahme an der Wohlstandsgesellschaft zu protestieren, welcher Protest viel wirkungsvoller wäre als die genannten Banalformen, weil die Askese die Chancen bietet, Gesinnung und Handlung gegeneinander abzudek- ken, also auch der zu sein, als den man sich vorstellt, welche Einheit wohl alle Zeit für wünschenswert galt.

Eine solche Argumentation, käme sie dem Stamm der Kommunarden zu Ohren, erschiene ihnen nicht weniger utopisch und lächerlich, wie uns der Feldzug zur Selbstzweck gewordenen Veränderung. Zudem würde man diese Empfehlung als einen Akt desi bereits zweimal genannten Quietismus desavouieren. Dazu wäre abschließend zu sagen: Es ist nicht anzunehmen, daß die Schienen- und Asphaltsitzer aus dem Holz jener Vorfahren geschnitzt sind, welche die heute selbstverständlichen sozialen Rechte erkämpft haben. Zum anderen sehe ich in einem Verhalten, das auf Veränderung abzielt, ohne daß dessen Fürsprecher den Inhalt des Veränderten zu präzisieren imstande sind, eine durch und durch inhumane Verachtung des Lebens als Leben. Denn ich bin überzeugt, daß die Lebenssinnerfüllung ln keinem Fall vom gesellschaftskritischen Verhalten allein her zu definieren ist. Um das einzusehen, sahen unsere Alt- vorderen manchmal zu den Sternen auf; von den allemeuesten steht zu befürchten, daß ihnen diese Einsicht erst kommt, wenn sie zur Grube hinabsehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung