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Der Christ und der Friede

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Bertha von Suttner, gestorben 1914 in Wien, hatte seinerzeit mit ihrem Roman „Die Waffen nieder“ einen seltenen literarischen und gesellschaftlichen Erfolg. Eine „Gesellschaft der Friedensfreunde“ (1890) in Deutschland und Österreich war die erste Antwort auf das aufsehenerregende Buch; die Autorin wurde Vizepräsidentin des Internationalen Friedensbüros in Bern und erhielt 1905 den Friedens-Nobelpreis. Die Verfasserin dieses Romans wurzelt in der Aufklärungszeit des fortschrittsgläubigen Bürgertums, das im Denken des Rationalismus befangen war: der Mensch ist natürlich gut und kann alles, wenn er nur die rechte Organisation gefunden hat, also ist auch der Friede nur eine Frage der „Internationalen Rechtsorganisation“. Wenn wir über Alfred Fried zum ersten Friedenskongreß in Paris (1849) zurückgehen, so stoßen wir überall auf die Spuren von Kant („Zum ewigen Frieden“ 1795; „ein philosophischer Versuch“).

Der bürgerlich aufgeklärte und an den Fortschritt der Menschheit glaubende Pazifismus unmittelbar vor dem ersten Weltkrieg hatte also bereits eine lange Geschichte. In der blutigen Wirklichkeit des ersten Weltkrieges ist er mit seinem Glauben an die Macht der Vernunft und an den Rousseauschen guten Menschen“ zusammengebrochen.

Nach dem ersten Weltkrieg setzt eine starke religiöse Friedensbewegung ein. Während auf protestantischer Seite die Quäker für unbedingte Kriegsdienstverweigerung eintraten, bildete sich auf deutscher Seite neben dem „evangelischen Friedensbund“ der „Friedensbund deutscher Katholiken“ (Kaplan Jocham, Metzger, C. Noppel). Auf französischer Seite zeichnete sich im Dienste der deutsch-französischen Versöhnung und in der Zusammenarbeit mit dem .Friedensbund deutscher Katholiken M. Sangnier aus. In England sammelte „The Catholic Council for International Relations“ die Katholiken zur Friedensarbeit. Im Bereiche der Hochschülerschaft begann die internationale Pax-Romana-Bewegung ähnliche Bestrebungen aufzunehmen. Einen mächtigen Antrieb gab der Friedensarbeit der Katholiken in allen Ländern Benedikt XV. in seiner Enzyklika „Pacem Dei Munus“ vom 28. Mai 1920, in der er für einen Völkerbund, allgemeine Abrüstung und internationale Schiedsgerichtsbarkeit eintrat. Er weist vor allem auf die wirksamen religiösen Kräfte des Christentums, auf das Gebot der Liebe, der Feindesliebe, die natürliche Einheit aller Völker im ersten Menschenpaar sowie die übernatürliche Einheit in Christus, als tragende Mächte hin. Ausdrücklich verwirft er die doppelte Moral; das Gebot der Gerechtigkeit und Liebe gilt nicht nur für die Individuen, sondern auch für die Völker. Pius XL fordert die Katholiken der Welt im Rundschreiben „Ubi arcano“, Weihnachten 1929, auf, wirkliche Friedens w i r k e r und nicht nur untätige Friedens freunde zu sein.

Daneben laufen Versuche, im Rahmen und kraft völkerrechtlicher Mittel, den Frieden durch die Ausschaltung eines jeden zukünftigen Krieges zu sichern. Nach den Bemühungen der Haager Friedenskonferenz (1899 und 1907), die die Errichtung eines ständigen internationalen Schiedsgerichtes anstrebten, sollte der „internationale Gerichtshof“ im Rahmen des Völkerbundes Richter zwischen den Staaten sein. Wie gering das Vertrauen in den Völkerbund und sein friedensicherndes Organ war, zeigte das Bestreben, eigene Friedenspakte abzuschließen: Locarno 1925, Briand-Kellogg-Pakt 1928; letzterer brachte den vertraglichen Verzicht auf den Krieg als politisches Mittel, damit die feierliche Absage an v. Clausewitz' Definition des Krieges als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Das Fiasko des Völkerbundes führt dann zur Bildung des mit formeller plenitudo potestatis ausgerüsteten „Sicherheitsrates“ im Rahmen der UNO.

Eine von Angst gemarterte Welt wendet sich den Christen und der Christenheit fragend zu: „Wißt auch ihr keinen

Weg?“ — Sollen wir sagen, die allgemeine Lebensangst sei eine Geißel Gottes und eine Strafe für die diesseitig verhaftete Menschheit? Oder: Kriege sind eine hohe Schule der Mannestugend und rufen Mut, Einsatzbereitschaft, Treue, Kameradschaft auf den Plan? — Zur Antwort verweisen wir auf das Gutachten einer Arbeitsgemeinschaft katholischer Theologen aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz über die sittliche Erlaubtheit des Krieges aus dem Jahre 1931: in Anbetracht der Formen des modernen Krieges kommen sie zu dem Urteil, daß dieser durch seine „Technisierung“ und kraft der ihm eigenen Hemmungslosigkeit so gewaltige materielle und geistige Schäden für den einzelnen, die Familie, die Gesellschaft und sogar für die Religion nach sich zieht und eine so furchtbare Weltkatastrophe bewirkt, „daß er aufhört, ein seinem Zwecke, der Erreichung von Ordnung und Frieden, angemessenes Mittel zu sein“. Benedikt XV. nannte in der angeführten Enzyklika den ersten Weltkrieg ein entsetzliches „Blutbad, das Europa von jener stolzen Höhe der Kultur herabsinken läßt, zu der es die christliche Religion geführt hatte“; er spricht von einem „Selbstmord des zivilisierten Europa“. — Es gibt nichts, keine in der Kriegsnot entfaltete sittliche Eigenschaft, die man als gute Nebenwirkung zur Rechtfertigung des Krieges anführen könnte.

Die katholische Moraltheologie gibt in ihren heute gebräuchlichen Lehrbüchern noch eine relativ einfache Antwort auf die Frage, welche Lösung das Christentum bietet, um Kriege zu verhindern und den Frieden aufrechtzuerhalten. Sie unterscheidet „gerechte“ und „ungerechte“ Kriege und verbietet den ungerechten Krieg als schweres Unrecht; das heißt: für einen Soldaten, der an einem sicher ungerechten Krieg teilnimmt, besteht die absolute Pflicht, den Kriegsdienst zu verweigern. Im Falle einer „gerechten Sache“ sei aber der Offensivkrieg wie der Defensivkrieg erlaubt, solange es kein wirksames völkerrechtliches, überstaatliches Rechtsmittel gibt, um wirksam Recht zu schaffen und durchzusetzen. Als Voraussetzungen für einen „gerechten Krieg“ werden genannt: Unmöglichkeit einer Lösung durch völkerrechtliche Schiedsverfahren, ein gerechter und sehr schwerwiegender Grund, vorhandenes Unrecht durch Krieg zu beseitigen, über sein gutes Recht moralisch sicher zu sein.

Es scheint aber, daß diese Antwort heute nicht mehr hinreicht, um der ganzen Schwere und Tragweite der an uns Christen gestellten Frage gerecht zu werden. Wir müssen feststellen: 1. Der Begriff Krieg hat sich gewandelt. Der Begriff der Moraltheologie „Krieg“ (Offensiv- und Defensivkrieg) deckt sich nicht mehr mit dem Sachverhalt dessen, was man auf Grund der modernen Technik unter Krieg versteht; das gilt vor allem vom „totalen Krieg“, in dem nicht mehr zwischen Kampftruppe und Zivil unterschieden wird, der sich an keine internationalen Abmachungen, auch nicht an die Unterscheidung legitimer und illegitimer Kriegsmittel hält. 2. Wenn wir uns wieder besinnen auf die klassischen Lehren des Begründers des modernen Völkerrechts, Franz von Vitoria (f 1546), dann ergeben sich aus seiner Verbindung von moraltheologischen und völkerrechtlichen Grundsätzen neue Einsichten für unsere Stellungnahme zur Kriegsfrage: Ein Krieg kann nur dann als „gerecht“ bezeichnet werden, wenn sich folgende Voraussetzungen finden: a) Schweres Unrecht auf seifen einer und nur einer der beiden streitenden Parteien. b) Schwere formelle (nicht bloß materielle) moralische Schuld auf einer der beiden Seiten, c) Zweifelsfreie Nachweisbarkeit dieser Schuld, d) Unvermeidbarkeit des Krieges infolge Fehlschlagens aller friedlichen Verständigungsversuche, e) Rechtes Verhältnis zwischen Schuld und Strafmittel; das heißt ein das Maß der Schuld überschreitendes Strafmittel ist ungerecht und unerlaubt, f) Moralische Sicherheit darüber, daß der Sieg der gerechten Sache zuteil wird, g) Die rechte Absicht, durch den Krieg das Gute zu fördern und das Böse zu meiden, das heißt, das aus dem Krieg zu erwartende Gute muß das zu erwartende Übel übersteigen, h) Einhalten der Schranken der Gerechtigkeit und Liebe, i) Schwere- Erschütterungen von nicht unmittelbar in die Kriegshandlungen verwickelten Staaten sowie der gesamten Christenheit müssen vermieden werden, k) Kriegserklärung durch eine gesetzmäßige Obrigkeit im Namen Gottes zur Vollstreckung seiner Gerichtsbarkeit.

Daraus ergibt sich mit eindeutiger Sicherheit, daß in unserer Zeit der nur totalitären Kriege ein gerechter Offensivkrieg nicht mehr vertretbar ist. Msgr. Ottaviani, Assessor beim hl. Offizium, stellt in der dritten Auflage seines Lehrbuches für Kirchen-recht die These auf: „Der Krieg ist völlig zu untersagen.“ Pius XII. hat wiederholt und eindringlich den Angriffskrieg mit ausdrücklichen Worten abgelehnt: „Eine Pflicht obliegt übrigens allen ... alles, was möglich ist, zu unternehmen, um ein für allemal den Angriffskrieg (la guerra di aggressione) als gerechte Lösung internationaler Konflikte zu verurteilen und zu richten ... Wenn jemals eine Generation den Ruf .Krieg dem Kriege', der aus den Tiefen ihrer Gewissen aufstieg, vernehmen mußte, dann ist es sicher die unsrige. Sie ist durch ein Meer von Blut und Tränen geschritten wie vielleicht kaum eine Zeit zuvor.“ (Weihnachtsanspracbe vom 24. Dezember 1944.)

So bleibt nur noch der Verteidigungskrieg gegen einen ungerechten verbrecherischen Angreifer als erlaubter und möglicher Krieg. Wenn sich der Angreifer in der öffentlichen Meinung der Welt ipso facto ins flagrante Unrecht setzt, ist dergestalt eine wirksame Hemmung gegenüber der verbrecherischen Machtgier, aber keine unfehlbare Bannung derselben gegeben. — Diese Feststellungen werden allerdings erst dann ein in die Wirklichkeit eingreif e,n der Faktor, wenn sich die 390 Millionen

Katholiken der Welt im Sinne einer mittelalterlichen Treuga Dei zu einer gemeinsamen Front zusammenschließen. Von hier aus ergibt sich die besondere Dringlichkeit, die internationale Zusammenarbeit der Katholiken noch enger und intensiver zu gestalten.

Tolstoj hat als Mittel, um auch den ungerechten Angriffskrieg zu verhindern, die Non-Resistenz gegen das Böse, das heißt gegen den Angreifer, vorgeschlagen. Dort, wo es sich um eine damit verbundene Knechtung religiöser Überzeugung und unveräußerlicher Menschenrechte geht, versagt dieser Weg Tolstojs. Die letzte Ursache eines solchen ungerechten Angriffskrieges ist das Böse als Machtgier, als Dämon der Verneinung, dessen Zurückdämmung nur durch die Ausbreitung des Reiches Gottes möglich ist. In der Apokalypse (6, 4) wird die „Wegnahme des Friedens von der Erde“ zu den großen Plagen der Endzeit gerechnet. Ein zukünftiger Krieg könnte nur mehr mit dem Mysterium iniquitatis in Verbindung gebracht werden.

Die letzte, tiefste Antwort des Christentums lautet daher: Der wahre Friede ist nur in der Verbindung mit Gott zu finden, im „Evangelium des Friedens“, durch die Versöhnungstat Christi, des messianischen „Friedensfürsten“. — Die Gewinnung des Friedens ist Aufgabe einer „Z u s t a n d s-r e f o r m“, vor allem aber auch einer „G e s i n n u n s r e f o r m“, der Läuterung der Herzen von allen Formen des Bösen, in dem allein heute Kriege noch ihre Wurzel haben können.

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