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Der rechte Weg

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Fahnen und Flaggen über Wien. Am Vorabend der Eröffnung der Wiener Frühjahrsmesse wurde in der Hofburg die zweitägige Ministerratssitzung der EFTA-Staaten erfolgreich beendet. Sehr zur Überraschung vieler Gegner und auch mancher Freunde wurde einstimmig ein konkretes Angebot an die EWG erarbeitet. Im Kommunique nach Abschluß der Wiener Verhandlungen unterstreichen die Minister der sieben EFTA-Staaten ihre Entschlossenheit, die wirtschaftliche Einigung Europas durch Beseitigung der Handelsschranken innerhalb der Freihandelsassoziation zu fördern und ihre Bemühungen um liberale Handelsbeziehungen mit anderen Ländern fortzusetzen. Die EFTA schlägt bei der bevorstehenden Konferenz des Handelsausschusses der „einundzwanzig“ in Paris der EWG vor, über eine Zollsenkung nach den Grundsätzen der GATT auf der Grundlage der Gegenseitigkeit zu verhandeln. In diesem Zusammenhang betonten die Minister der EFTA-Staaten, daß Diskriminierungen zwischen den beiden europäischen Wirtschaftsgruppen unter allen Umständen vermieden werden müßten und daß nichts geschehen dürfte, was die Aufsplitterung Europas beschleunigen oder verstärken könnte. Es sollten vielmehr alle Maßnahmen ergriffen werden, um sich bereits abzeichnende Diskriminierungen zu beseitigen. Das Ziel der EFTA-Staaten sei eine Lösung, die eine multilaterale Assoziierung aller europäischen Länder nicht präjudiziere und eine weitere schärfere Trennung in Europa vermeide. Allen europäischen Staaten sollte Zeit gelassen werden, die Möglichkeiten einer gemeinsamen Förderung der wirtschaftlichen Vereinigung zu prüfen.

„Wir haben keine Zeit“: dies scheint die Überzeugung Hallsteins in Brüssel zu sein und jener Mitarbeiter in der EWG, die möglichst schnell die EWG als eine geschlossene politische Gesellschaft konstituieren wollen. Ohne die EFTA in Wien offiziell zu verständigen, wie Minister Bock betonte, billigte der Ministerrat der sechs EWG-Staaten in Brüssel den Hallstein-Plan zur beschleunigten Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes im Prinzip. Gleichzeitig kommt aus Paris die Meldung: der bereits seit einem Jahr bestehende Mouvement pour une Societe Libre, eine Bewegung, der Politiker und Wirtschafter angehören, fordert: der wirtschaftliche Block der sechs müsse sich ohne Verzug in ein „p o 1 i t i s c h e s Europa“ verwandeln. Als Fernziel wird die Einführung einer gemeinsamen Währung bezeichnet, ein Fortschritt, der sich nur mit Hilfe einer gemeinsamen Exekutivbehörde der sechs erreichen lasse. Die Verfasser dieser programmatischen Erklärung rufen nach einer raschen Verwirklichung des in den Verträgen von Rom, in den Gründerverträgen der EWG, umschriebenen Gedankens, eine Assemblee parlementaire euro-peenne, ein Europa-Parlament, durch direkte Volkswahlen bestellen zu lassen.

Bedarf es noch eines Hinweises, daß ein solches „politisches Europa“ sich weder mit politischer Freiheit kleinerer Staaten noch mit der Neutralität Österreichs vereinen läßt?

In diesem Zusammenhang sind die politischen Invektiven gegen Österreichs EFTA-Mitglied-schaft im rechten Licht zu sehen. „EFTA für uns der falsche Weg“: dieser Schlagzeilentitel der größten Zeitung der Bundesländer wird durch einen in der „Neuen Zürcher Zeitung“ (10. März 1960), einer der bedeutendsten Zeitungen des freien Furopa, ins rechte Licht gestellt. In diesem Aufsatz, der den Titel trägt „Der Kampf um die EFTA in Österreich“, heißt es:

„Die österreichischen Zeitungen, die sich in manchen Fragen von der Presse Westdeutschlands inspirieren lassen, haben eine rechtzeitige Analyse der Situation und eine entsprechende Aufklärung der Bevölkerung versäumt... Zahlreiche Wirtschaftsliteraten zeichneten die Gefahren des Nichtbeitritts zur EWG, für die die EFTA niemals einen ausreichenden Ersatz bieten könne. Überall wurde das Schreckgespenst an die Wand gemalt, die Regierung hätte die Hochkonjunktur für ein Linsengericht verkauft. Manche Kreise scheinen noch immer im Banne der seit langem überholten Vorstellung zu leben, daß das Wohl und Wehe Österreichs ausschließlich vom Handel mit Deutschland und den Donauländern abhänge. An diesem Punkt hat nun die oppositionelle Freiheitliche Partei mit einer politischen Aktion gegen die Kleine Freihandelszone eingesetzt, um den einzelnen Bundesländern die großdeutsche Mission in Erinnerung zu rufen die, durch einen Anschluß Österreichs an den Gemeinsamen Markt erfüllt werden sollte ... Da ein Anschluß Österreichs an den Gemeinsamen Markt nach den Darlegungen Außenministers Kreiskys im Widerspruch zum Staatsvertrag und zur Neutralitätsakte stünde, bot die Kampagne gegen die Kleine Freihandelszone der Opposition auch einen willkommenen Anlaß zur Kritisierung der Neutralitätspolitik . .. Der neue Führer , der FPÖ ... Peter, machte den Vorschlag, die parlamentarischen Fraktionen sollten ihren Abgeordneten die Stimme freigeben, weil es sich nicht um ein wirtschaftliches Problem, sondern um eine Gewissenfrage handle . .. Die Angelegenheit erinnert an die Taktik der ehemaligen Großdeutschen Partei, die im Frühjahr 1920 in Tirol und Salzburg eigene .Volksabstimmungen über einen länderweisen Anschluß -an Deutschland inszeniert hatte, bis die Wiener Regierung später der weiteren Ausbreitung des Unfugs einen Riegel vorschob.“

Bewußt wird zudem die Tatsache verschwiegen, daß gerade der Vater des deutschen Wirtschaftswunders, Minister Erhard, und namhafte westdeutsche Wirtschaftskreise gegen Hallsteins politisches Europa ernste Bedenken haben und auch aussprechen. Es ist kein Zufall, daß neben der weltpolitischen Hallstein-Doktrin auch seine Europaidee gegenwärtig schärfste Kritik herausfordert.

Für Österreich gibt es gegenwärtig nur einen rechten Weg: mit der EFTA für ein freieres, größeres, im rechten Sinne liberaleres Europa, als es die ungeduldigen Europa-Baumeister um Hallstein gegenwärtig vorstellen. Die Mitarbeit in diesem Sinne ist den Politikern in der EWG abzuringen; jede Preisgabe der eigenen Position ist Verrat, nicht nur an Österreich, sondern an Europa, das nimmermehr auf dem Prokrustesbett einer so engen Verbindung geboren werden kann.

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