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Der Sofioter Fenstersturz

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Wieder einmal fällt es dem westlichen Zeitgenossen schwer, sich den Text dazu zu machen, warum drunten, weit und fast in der Türkei, die Volksführer aufeinanderschlagen. Eine wirklich erschöpfende, tief in die historischen und sozialen Voraussetzungen dieses Ereignisses eindringende Erklärung ist nicht nur im Rahmen eines Aufsatzes unmöglich, sie schüfe vermutlich mehr Verwirrung als Klarheit, wollten wir die vielen Namen durcheinanderschwirren lassen, von denen kaum zwei, drei dem politisch sehr Interessierten etwas, dem Durch-schnittsokzidentalen aber auch sie gar nichts sagten. Begnügen wir uns also mit einigen kräftigen Strichen, die politische Landschaft zu zeichnen, in der sich die jüngste „Wachablösung“ in Bulgarien vollzogen hat. Eigentlich wäre es allerdings das beste, Romain Hollands Drama aus der Französischen Revolution „Les Loups“ („Die Wölfe“) zu lesen und dort an die Stelle der französischen Schreckensmänner bulgarische Kommunistenführer als Akteure einzusetzen. Trägt nicht deren zweifellos geistig Bedeutendster und Furchtbarster, Tscherwenkoff, den Vornamen Vlko, zu deutsch: Wolf? .

Nomen est omenl Vlko Tscherwenkoff kam zur Macht in einem Lande, wo die politischen Sitten sich niemals durch besondere Milde auszeichneten.

Solange die große Sonne Stalin in Moskau strahlte, vermochte ihre bulgarische Nebensonne, Tscherwenkoff, in ihrem übertragenen Wirkungskreis ihrerseits hell zut leuchten. Ihr Nimbus war dadurch verstärkt, daß Tscherwenkoff eine jüngere Schwester Dimitroffs zur Gattin hatte. Als aber Stalin starb und zuerst Malenkow, dann das Duo Bulganin-Chriischtschow ans Ruder kam, wurde die Lage Tscherwenkoffs schwieriger. Er mußte sich die Gunst der neuen Herren im Kreml sichern, und es regten sich um ihn die den Kopf emporhebenden Rivalen. Mit Jugoff söhnte er sich scheinbar aus — nirgends trügt der Schein so sehr als im Nahen und im Nächsten Osten —; als Tscherwenkoff eines seiner beiden Führungsämter aufgeben mußte und die Ministerpräsidentschalt niederlegte, wurde Jugoff ein Nachfolger (1954). Zwei Jahre darauf, zur Zeit der Honigmonde der wiedergefundenen zärtlichen Gemeinschaft zwischen Moskau und Belgrad, wurde Tscherwenkoff auf dem Altar dieser Liebe geopfert. Tito betrachtete den bulgarischen Widerpart als den bedrohlichsten der kommunistischen Balkansatrapen. Ein Wink Chruschtschows, und Tscherwenkoff verzichtete auch als Erster Sekretär der KPB. Sein Erbe hieß Todor Schipkoff, bisher zweiter Parteisekretär und Mitglied des Politbüros; ein Stern zweiter Größe, von dem man meinte, er habe anfänglich sein Licht nur von Tscherwenkoff empfangen.

Jugoff, einstiger Titoist, und Schipkoff, wackerer Exstalinist, konnten einander nicht ausstehen, sie bildeten aber ein Gespann, das jedem Befehl aus Moskau gehorchte; in der Erwartung, einer den anderen irgendwie zu überrunden. Sie waren weit davon entfernt, auch nur annähernd die Autorität eines Tscherwenkoff oder gar eines Dimitroff auszuüben. Rings um sie meldeten sich andere Kandidaten zur Führung. Man konnte in Bulgarien mit Fug von einem regierenden Kollektiv sprechen. Zu den Mitsprechenden gehörten der Vorsitzende des kollektiven Staatsoberhauptes, des Präsidiums der Volksver- 1 Sammlung, Dimitri Ganeff, die Mitglieder des Politbüros, Georgi Cankoff, Generaloberst Michailoff und Rajko Damianoff, durchweg alte Kämpfer. Untersucht man die Vergangenheit der i sieben, die im Vordergrund der bulga- ; Tischen Geschichte seit Stalins Tod ! standen, so wird man zunächst fest- ] stellen, daß da rechter Hand, linker 1 Hand fast alles vertauscht ist. (Un)- i menschen, (Un)menschen san ma alle, könnte man ein Wienerlied variieren, j wollte man den Standpunkt der phari- 1 säischen Sittenrichter gegenüber den : Stalinisten einnehmen. Da aber weniger Irren, als Sich-Anpassen menschlich ist, J dürfen wir, ohne überflüssige Ent- i rüstung konstatieren, daß alle sieben ; einstens echte und rechte Stalinisten i gewesen sind; daß einzig Jugoff noch ! vor dem Hinscheiden Josip Wissario- i nowitschs nach Belgrad schielender Ab- -weichungen geziehen worden ist. Als ^ man darauf 1956 mit der nunmehr aus 1 Moskau ferngesteuerten ersten Säube- \ rung anihub, wurde Tscherwenkoff ab- 1 serviert; Cankoff strauchelte ein wenig, i doch ohne zu fallen. Die anderen ver- s harrten ungelcränkt an der Oberfläche. 1

„Wir können und wir werden weder i Versuche dulden, sich in die Ideologie unserer Länder und unserer Parteien \ einzumengen, noch irgendeine Revision f der wesentlichen Grundlagen des Mar- r xismus-Leninismus oder gaT das Be- s mühen der Revisionisten und der Op- i portunisten, Irrlehren in die Reihen g der sozialistischen Bewegung zu tragen, r einen Keil in die Einigkeit unseres so- s zialistisehen Lagers zu treiben. Wir S sind mit der Sowjetunion auf Leben t und Tod verbunden; keine finstere Macht ist imstande, uns zu trennen das Lager der sozialistischen Ländei

— mit der Sowjetunion an der Spitze -zu vernichten und unsere sozialistisch Entwicklung aufzuhalten.“ Dies Treuebekenntnis wurde von Jugoff ii Plovdiv, in Gegenwart rumänische] Gäste — des Ersten Parteisekretärs Gheorghiu-Dej, und des Ministerpräsidenten Chivu Stoica — abgelegt, un<ä obwohl man gerade den 1. April schrieb, war das kein Aprilscherz, sondern bitter ernst gemeint. Chruschtschow hatte denn auch den in Moskau auf Besuch weilenden drei bulgarischen Prominenzen, Schipkoff, Jugoff und dem wieder aus der Versenkung hervorgeholten, zum Kulturdiktator bestellten und allmählich wieder alle Zügel zurückbekommenden Tscherwenkoff, das Lob zugebilligt: — auch Cankoff und Rajko Damianoff waren mit von der Partie und ins gute Kollektivzeugnis eingeschlossen —, sie beharrten „entschieüC* nnd unverbrüchlich auf dem Standpunkt des Marxismus-Leninismus, und sie bekämpften jederlei Revisionismus“.

Diese schöne Harmonie wurde freilich getrübt, seit sich allmählich der Gegensatz zwischen China und der UdSSR schärfer abzeichnete und auf europäischem Boden in Jugoslawien — hin zu Moskau — und in Albanien — hin zu Peking — unmittelbar an Bulgariens Grenzen Widerhall weckte, fugoff weilte im Herbst 1957 als Gast bei den Chinesen. Er ließ sich dort irgendwie vom damals vorbereiteten „Sprung nach vorwärts“, vom gigantischen Wahngebilde der Volkskom-tnunen blenden. Völlig verändert kehrte er heim. Er wollte bei sich zu Hause Ähnliches verwirklichen. Die meiden Sprünge, der große in Fernost ind der kleine auf der Balkanhalbinsel, endeten gleichermaßen im Abgrund und edenfalls in einem Morast, aus dem nan sich nur schwer selbst herausgehen vermochte. Schipkoff kreidete las dem Nebenbuhler weidlich an. In Vloskau sah man auf Jugoff nicht mehr nit so vertrauensvollen Blicken wie :uvor. Die Mißstimmung wuchs, da lieh in Bulgarien, anders als zum Bei-ipiel in Polen, Ungarn, Rumänien und logar in der DDR und in der CSSR — offen kritische Äußerungen hervorragten: in Presse und Rundfunk, die leftig Jugoslawien angriffen, mit dem rhruschtschow immer freundschaft-icheren Kontakt pflegte; da man ruffallend eifrig Lobhymnen auf China ang uqd endlich gar, da die (ubapolitik Nikita Sergejewitschs ibgelehnt wurde. Das war zuviel les Schlechten. Der Mann, Jugoff, md seine Spießgesellen mußten ort, dem wieder in Ungnade ge-atenen Tscherwenkoff nach. Denn onst riskierte Chruschtschow nicht iur, ein zweites Albanien sich legenüber zu sehen — wenn nan nämlich Jugoff Zeit ließe, sich eines moskautreuen Gegenspielers chipkoff zu entledigen —, sondern luch die innenrussische Opposition der inentwegten Stalinisten zu stärken.

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